Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
55. Sitzung vom 30. April 1977
Der Senat hat es aber nicht vermocht, diese Aufgabe zu
erfüllen. Es ist ihm auch nicht gelungen, die Bundesregie
rung dazu zu veranlassen, ihre Verantwortung gegenüber
Berlin nachdrücklicher und erfolgreicher wahrzunehmen,
als dies tatsächlich geschehen ist, obwohl diese Bundes
regierung von den gleichen Parteien getragen wird wie der
Senat in Berlin.
(Zuruf von der SPD; Und das ärgert Sie!)
Einstimmige Beschlüsse des Abgeordnetenhauses, wie z. B.
die Forderung nach wirksamen Gegenmaßnahmen gegen
die Diskriminierung Berlins durch die Bulgarische Luft-
fahrtgesellschaft oder Beschlüsse zur Errichtung der Natio-
nal-Stiftung mit dem Sitz in Berlin, konnten vom Senat
nicht durchgesetzt werden.
Die CDU-Fraktion in diesem Haus hat, obwohl sie sich
in der Opposition befindet, dem Senat mehrfach ihre Un
terstützung und ihre Hilfe bei der Bewältigung wesent
licher Fragen angeboten,
(Zuruf von der SPD: Aber nur angeboten!)
Fragen, die für die Lebensfähigkeit unserer Stadt von aus
schlaggebender Bedeutung sind, aber meistens wurde ein
solches Angebot unbekümmert zurückgewiesen. Man ließ
es bei der Behandlung früherer Gegensätze bewenden,
ohne die Gemeinsamkeit in den Grundfragen für die Zu
kunft unserer Stadt zu suchen.
In den letzten Jahren haben wir in unserer Stadt ja
noch andere besorgniserregende Entwicklungen verzeich
nen müssen. Die Bevölkerungszahl ist rapide zurückgegan
gen, vor allem der Rückgang der in der Produktion tätigen
Arbeitnehmer ist alarmierend für die wirtschaftliche Ent
wicklung Berlins. Der Verlust von industriellen Arbeits
plätzen hat sich in den vergangenen sechs Jahren auf 23 °/o
beziffert, und wie die Ereignisse in der Zehlendorfer
Spinnstoffabrik zeigen, ist ja diese Talfahrt noch nicht be
endet. Natürlich haben die weltweite Rezession und der
technische Fortschritt an diesem Verlust von Arbeitsplät
zen mitgewirkt, aber diese Ursachen erklären doch nicht,
warum in Berlin proportional doppelt soviel industrielle
Arbeitsplätze verlorengingen wie in Westdeutschland,
(Beifall bei der CDU)
und sie erklären auch nicht, warum im vergangenen Jahr
die Investitionen in Westdeutschland um 7 o/ 0 gestiegen
und in Berlin um 11 °/o gesunken sind. Da kommt man doch
mit Hinweisen auf internationale wirtschaftliche Schwie
rigkeiten nicht aus.
(Abg. Hucklenbroich: Nun mal was Positives
über BMW!)
Berlins wirtschaftliche Gesundheit ist seit dem Ende des
zweiten Weltkrieges immer eine Frage des Vertrauens in
die Zukunft der Stadt gewesen. Investitionsentscheidungen
und Beweggründe für Zuzüge und Fortzüge werden hier in
besonderem Maß von der Politik beeinflußt. Und es hätte
einer kraftvollen Politik des Senats bedurft, um das Ver
trauen in die Zukunft dieser Stadt wieder zu stabilisieren;
an der hat es aber gefehlt.
(Beifall bei der CDU)
Der Senat hätte alles daransetzen müssen, um eine größt
mögliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung,
der deutschen Wirtschaft und deren Verbände zu erreichen,
um die wirtschaftlichen Grundlagen für die Zukunft der
Stadt zu sichern. Das blieb aber alles weitgehend aus.
Stattdessen richtete sich dieser Senat auf den Bevölke
rungsrückgang, der von den Statistikern vorausgesagt war,
ein. In seinen Planungen stellte er darauf ab, ohne von sich
aus sichtbare Anstrengungen zu machen, sich dieser Ent
wicklung entgegenzustemmen.
(Abg. Mertsch: Das ist doch schwach, sehr schwach!)
Unsere Stadt ist in ihrer schwierigen Situation mehr
denn je auf die Solidarität der Menschen im größeren Teil
des freien Deutschland angewiesen. Für sie war Berlin
früher immer trotz des Verlustes seiner Hauptstadtfunk
tion und trotz der Spaltung ein attraktiver geistiger und
politischer Mittelpunkt geblieben. Hier wurde die Ausein
andersetzung zwischen der freiheitlichen Ordnung und dem
totalitären Kommunismus am sichtbarsten und stellver
tretend für alle Deutschen geführt, und ich sage: Daran,
daß sich die freie Demokratie hier in Berlin behauptet hat,
hatte die Sozialdemokratische Partei besonders in den
ersten Jahren nach den Kriegen bedeutenden Anteil und
große Verdienste.
(Beifall bei der SPD)
Aber die Sozialdemokratische Partei von damals ist leider
nicht mehr die Sozialdemokratische Partei von heute, mei
ne Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU und Zurufe: Bravo! —
Abg. Papenf uß: Was haben Sie damals zu Brandt
gesagt? — Zuruf von der SPD: Sind Sie unsterb
lich? — Abg. Rheinländer: Auch Adenauer
ist mal gestorben!)
Berlin war in der Auseinandersetzung mit den Folgen der
Teilung, mit den Konfrontationen zwischen Freiheit und
Zwang, mit dem Siegeswillen der Diktatoren und der Sie
gesgewißheit der Demokratie stets ein Beispiel, ein Beispiel
für das Belastende und auch ein Beispiel für das Ermuti
gende. Berlin war aber mehr als das, nämlich geistiges
Zentrum des nationalen Zusammenhaltens, Bewährungs
stätte freiheitlicher Würde, Klammer unseres Volkes und
seiner Gemeinsamkeiten und Sinnbild unzerstörbarer Men
schenrechte. Diese besondere Stellung Berlins ist in den
letzten Jahren häufig überlagert worden von schwinden
dem Selbstbewußtsein und von falschen Hoffnungen dar
auf, man könnte die freie Welt und die Diktatur, die un
sere Stadt jetzt noch umgibt, durch Annäherung mitein
ander versöhnen. Die Ausstrahlungs- und Anziehungskraft
Berlins ist durch andauernde innere Schwäche, durch Feh
ler der politischen Führung der Stadt und auch durch
übertriebene Liberalität gegenüber den Feinden der Demo
kratie beeinträchtigt worden.
(Beifall bei der CDU)
Das Erscheinungsbild unserer Stadt hat erheblich gelit
ten. Aus einer Stadt, auf die die Welt mit Bewunderung
blickte, ist eine Stadt geworden, die immer mehr Negativ
schlagzeilen macht. Aus einer Freien Universität, die einst
gegen totalitäre Bevormundung gegründet wurde, ist ein
Tummelplatz für Aktivitäten geworden, die die Freiheit
der Lehre und des Studiums in ganzen Bereichen bedroht
und teilweise sogar abgeschafft hat. Aus der Pädagogi
schen Hochschule, die aus Protest gegen kommunistischen
Zwang einst aus Ostberlin nach West-Berlin umzog, wurde
eine kommunistische Kader-Schmiede;
(Abg. Papenf uß: Unerhört! Das ist negative
Propaganda!)
aus einer Stadt, deren Bürger sich sicher fühlten, ist eine
Stadt geworden, bei der der tägliche Bankraub kaum noch
Schlagzeilen lohnt, meine Damen und Herren. So denken
doch auch die Bürger unserer Stadt.
(Heiterkeit bei der SPD — Beifall bei der CDU —
Abg. Fröhner: Wegen so eines Geschwafels kommen
wir heute her! — Weiterer Zuruf von der SPD:
Und sowas will Regierender Bürgermeister werden!)
Und die Berliner Verwaltung, die einst unter schwierig
sten Bedingungen die Stadt wieder mitaufgebaut hat, wird
heute weit über Berlin hinaus als Beispiel der Verfilzung
und der parteipolitischen Vetternwirtschaft genannt.
(Beifall bei der CDU)
Aus einem Berlin, dessen Repräsentanten einst Führer des
Kampfes um Freiheit und Demokratie waren und als sol
che anerkannt worden sind, ist leider im Bewußtsein der
deutschen Öffentlichkeit ein Berlin geworden, dessen politi
sche Führung von einer Krise in die andere stürzt. Das
sind nur einige Beispiele für die bedenkliche Verschlechte
rung der Verhältnisse in unserer Stadt und für den Nieder-
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