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Volume Nr. 55, 30. April 1977

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1977, 7. Wahlperiode, Band III, 46.-74. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode 
55. Sitzung vom 30. April 1977 
Der Senat hat es aber nicht vermocht, diese Aufgabe zu 
erfüllen. Es ist ihm auch nicht gelungen, die Bundesregie 
rung dazu zu veranlassen, ihre Verantwortung gegenüber 
Berlin nachdrücklicher und erfolgreicher wahrzunehmen, 
als dies tatsächlich geschehen ist, obwohl diese Bundes 
regierung von den gleichen Parteien getragen wird wie der 
Senat in Berlin. 
(Zuruf von der SPD; Und das ärgert Sie!) 
Einstimmige Beschlüsse des Abgeordnetenhauses, wie z. B. 
die Forderung nach wirksamen Gegenmaßnahmen gegen 
die Diskriminierung Berlins durch die Bulgarische Luft- 
fahrtgesellschaft oder Beschlüsse zur Errichtung der Natio- 
nal-Stiftung mit dem Sitz in Berlin, konnten vom Senat 
nicht durchgesetzt werden. 
Die CDU-Fraktion in diesem Haus hat, obwohl sie sich 
in der Opposition befindet, dem Senat mehrfach ihre Un 
terstützung und ihre Hilfe bei der Bewältigung wesent 
licher Fragen angeboten, 
(Zuruf von der SPD: Aber nur angeboten!) 
Fragen, die für die Lebensfähigkeit unserer Stadt von aus 
schlaggebender Bedeutung sind, aber meistens wurde ein 
solches Angebot unbekümmert zurückgewiesen. Man ließ 
es bei der Behandlung früherer Gegensätze bewenden, 
ohne die Gemeinsamkeit in den Grundfragen für die Zu 
kunft unserer Stadt zu suchen. 
In den letzten Jahren haben wir in unserer Stadt ja 
noch andere besorgniserregende Entwicklungen verzeich 
nen müssen. Die Bevölkerungszahl ist rapide zurückgegan 
gen, vor allem der Rückgang der in der Produktion tätigen 
Arbeitnehmer ist alarmierend für die wirtschaftliche Ent 
wicklung Berlins. Der Verlust von industriellen Arbeits 
plätzen hat sich in den vergangenen sechs Jahren auf 23 °/o 
beziffert, und wie die Ereignisse in der Zehlendorfer 
Spinnstoffabrik zeigen, ist ja diese Talfahrt noch nicht be 
endet. Natürlich haben die weltweite Rezession und der 
technische Fortschritt an diesem Verlust von Arbeitsplät 
zen mitgewirkt, aber diese Ursachen erklären doch nicht, 
warum in Berlin proportional doppelt soviel industrielle 
Arbeitsplätze verlorengingen wie in Westdeutschland, 
(Beifall bei der CDU) 
und sie erklären auch nicht, warum im vergangenen Jahr 
die Investitionen in Westdeutschland um 7 o/ 0 gestiegen 
und in Berlin um 11 °/o gesunken sind. Da kommt man doch 
mit Hinweisen auf internationale wirtschaftliche Schwie 
rigkeiten nicht aus. 
(Abg. Hucklenbroich: Nun mal was Positives 
über BMW!) 
Berlins wirtschaftliche Gesundheit ist seit dem Ende des 
zweiten Weltkrieges immer eine Frage des Vertrauens in 
die Zukunft der Stadt gewesen. Investitionsentscheidungen 
und Beweggründe für Zuzüge und Fortzüge werden hier in 
besonderem Maß von der Politik beeinflußt. Und es hätte 
einer kraftvollen Politik des Senats bedurft, um das Ver 
trauen in die Zukunft dieser Stadt wieder zu stabilisieren; 
an der hat es aber gefehlt. 
(Beifall bei der CDU) 
Der Senat hätte alles daransetzen müssen, um eine größt 
mögliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung, 
der deutschen Wirtschaft und deren Verbände zu erreichen, 
um die wirtschaftlichen Grundlagen für die Zukunft der 
Stadt zu sichern. Das blieb aber alles weitgehend aus. 
Stattdessen richtete sich dieser Senat auf den Bevölke 
rungsrückgang, der von den Statistikern vorausgesagt war, 
ein. In seinen Planungen stellte er darauf ab, ohne von sich 
aus sichtbare Anstrengungen zu machen, sich dieser Ent 
wicklung entgegenzustemmen. 
(Abg. Mertsch: Das ist doch schwach, sehr schwach!) 
Unsere Stadt ist in ihrer schwierigen Situation mehr 
denn je auf die Solidarität der Menschen im größeren Teil 
des freien Deutschland angewiesen. Für sie war Berlin 
früher immer trotz des Verlustes seiner Hauptstadtfunk 
tion und trotz der Spaltung ein attraktiver geistiger und 
politischer Mittelpunkt geblieben. Hier wurde die Ausein 
andersetzung zwischen der freiheitlichen Ordnung und dem 
totalitären Kommunismus am sichtbarsten und stellver 
tretend für alle Deutschen geführt, und ich sage: Daran, 
daß sich die freie Demokratie hier in Berlin behauptet hat, 
hatte die Sozialdemokratische Partei besonders in den 
ersten Jahren nach den Kriegen bedeutenden Anteil und 
große Verdienste. 
(Beifall bei der SPD) 
Aber die Sozialdemokratische Partei von damals ist leider 
nicht mehr die Sozialdemokratische Partei von heute, mei 
ne Damen und Herren. 
(Beifall bei der CDU und Zurufe: Bravo! — 
Abg. Papenf uß: Was haben Sie damals zu Brandt 
gesagt? — Zuruf von der SPD: Sind Sie unsterb 
lich? — Abg. Rheinländer: Auch Adenauer 
ist mal gestorben!) 
Berlin war in der Auseinandersetzung mit den Folgen der 
Teilung, mit den Konfrontationen zwischen Freiheit und 
Zwang, mit dem Siegeswillen der Diktatoren und der Sie 
gesgewißheit der Demokratie stets ein Beispiel, ein Beispiel 
für das Belastende und auch ein Beispiel für das Ermuti 
gende. Berlin war aber mehr als das, nämlich geistiges 
Zentrum des nationalen Zusammenhaltens, Bewährungs 
stätte freiheitlicher Würde, Klammer unseres Volkes und 
seiner Gemeinsamkeiten und Sinnbild unzerstörbarer Men 
schenrechte. Diese besondere Stellung Berlins ist in den 
letzten Jahren häufig überlagert worden von schwinden 
dem Selbstbewußtsein und von falschen Hoffnungen dar 
auf, man könnte die freie Welt und die Diktatur, die un 
sere Stadt jetzt noch umgibt, durch Annäherung mitein 
ander versöhnen. Die Ausstrahlungs- und Anziehungskraft 
Berlins ist durch andauernde innere Schwäche, durch Feh 
ler der politischen Führung der Stadt und auch durch 
übertriebene Liberalität gegenüber den Feinden der Demo 
kratie beeinträchtigt worden. 
(Beifall bei der CDU) 
Das Erscheinungsbild unserer Stadt hat erheblich gelit 
ten. Aus einer Stadt, auf die die Welt mit Bewunderung 
blickte, ist eine Stadt geworden, die immer mehr Negativ 
schlagzeilen macht. Aus einer Freien Universität, die einst 
gegen totalitäre Bevormundung gegründet wurde, ist ein 
Tummelplatz für Aktivitäten geworden, die die Freiheit 
der Lehre und des Studiums in ganzen Bereichen bedroht 
und teilweise sogar abgeschafft hat. Aus der Pädagogi 
schen Hochschule, die aus Protest gegen kommunistischen 
Zwang einst aus Ostberlin nach West-Berlin umzog, wurde 
eine kommunistische Kader-Schmiede; 
(Abg. Papenf uß: Unerhört! Das ist negative 
Propaganda!) 
aus einer Stadt, deren Bürger sich sicher fühlten, ist eine 
Stadt geworden, bei der der tägliche Bankraub kaum noch 
Schlagzeilen lohnt, meine Damen und Herren. So denken 
doch auch die Bürger unserer Stadt. 
(Heiterkeit bei der SPD — Beifall bei der CDU — 
Abg. Fröhner: Wegen so eines Geschwafels kommen 
wir heute her! — Weiterer Zuruf von der SPD: 
Und sowas will Regierender Bürgermeister werden!) 
Und die Berliner Verwaltung, die einst unter schwierig 
sten Bedingungen die Stadt wieder mitaufgebaut hat, wird 
heute weit über Berlin hinaus als Beispiel der Verfilzung 
und der parteipolitischen Vetternwirtschaft genannt. 
(Beifall bei der CDU) 
Aus einem Berlin, dessen Repräsentanten einst Führer des 
Kampfes um Freiheit und Demokratie waren und als sol 
che anerkannt worden sind, ist leider im Bewußtsein der 
deutschen Öffentlichkeit ein Berlin geworden, dessen politi 
sche Führung von einer Krise in die andere stürzt. Das 
sind nur einige Beispiele für die bedenkliche Verschlechte 
rung der Verhältnisse in unserer Stadt und für den Nieder- 
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