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Volume Nr. 51, 10. März 1977

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1977, 7. Wahlperiode, Band III, 46.-74. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode 
51. Sitzung vom 10. März 1977 
— das ist schon etwas mehr als eine Seltsamkeit — ein 
Schreiben der ÖTV-Betriebsgruppe an den Gesamtpersonal 
rat vom 22. Februar 1977. Kurzgefaßter Inhalt: Ver 
trauenserklärung für den GPR. Damit geht man innerhalb 
des Betriebes hausieren, und wehe dem, der es wagt, sich 
nicht dieser Vertrauenserklärung der ÖTV-Betriebsgruppe 
anzuschließen. Hier bin ich bei einem Punkt, der wichtig 
ist, ausgesprochen zu werden. Wir sprechen dies nicht an, 
weil wir gegen die Verbesserung der sozialen und der Ar 
beitssituation in diesem Betrieb wären. Wir greifen dies 
auf, weil nur eine bestimmte Personengruppe über 
wiegend und fast ausschließlich Einrichtungen dieses Be 
triebes nutzt, die letzten Endes von der Gesamtheit aller in 
dem Betrieb getragen werden. Es geht nicht darum, etwa 
wohlverdiente Entlohnungen und Anerkennungen für die 
jenigen in Frage zu stellen, die seit eh und je dort in dem 
Betrieb werkeln und unsere Stadt sauberhalten, so wie es 
in dem gequälten Aufschrei eines in der BSR Beschäftigten 
— Tageszeitung vom 9. März 1977 — zu erkennen ist: Uns 
— sagt er solidarisierend — ich würde sagen: fälsch 
licherweise solidarisierend — mit denen, die es da oben 
treiben — alten Müllmännem werden Vorwürfe gemacht, 
weil wir im Jahr 1954 — wie sagt er so nett — für einen 
Hungerlohn von 68 DM die Woche bereits der BSR die 
Treue gehalten haben und heute so etwas wie einen ver 
späteten Lohn kriegen. — Wir sind völlig der Meinung 
dieses Kollegen bei der BSR. Darum geht es nicht. Im 
übrigen aber — wenn er hier wäre, würde ich ihm das 
einmal sagen —: Der „Hungerlohn“ aus dem Jahr 1954 
muß in seiner Relation gesehen werden. Der Durchschnitts 
verdienst, Herr Kollege Sickert, in der Berliner Metall 
industrie im Jahre 1954 betrug 62,50 DM. Der vom Kolle 
gen Müllwerker fälschlicherweise als Hungerlohn bezeich- 
nete Lohn von 68 DM im Jahr 1954 lag demnach immerhin 
schon damals 11 % über dem Durchschnittslohn des Ber 
liner Metallarbeiters — Quelle: Statistisches Landesamt. 
An diesem Lohnvorsprung hat sich bis heute nichts ge 
ändert; unsere städtischen Bediensteten sind — was die 
Betriebe betrifft — in vergleichbaren Tätigkeiten nach wie 
vor den Durchschnittslöhnen in der Berliner Metallindu 
strie und in anderen Industriezweigen so etwa in der 
Größenordnung voraus, wie schon im Jahre 1954. Das 
walte Kluncker! kann man doch da wohl sagen. So war es 
immer, und so wird es ja wohl noch eine Weile bleiben. 
Viele Anzeichen sprechen dafür, daß sich bei der BSR 
ein exklusiver Kreis von besondere gleichen Leuten gebil 
det hat. Vieles spricht dafür, daß es vielfache Kreuz- und 
Querverbindungen gibt. Diese zeigen alle Anzeichen des 
inzwischen bekannten Markenartikels „Berliner Filz", ich 
sagte es schon. Wir sind alle im letzten Jahr zu Recht 
sehr sensibel geworden und alle grimmig bereit, alle An 
sätze dieses Filzes zu erkennen und diesen Filz zu beseiti 
gen und zu bekämpfen. Der Senator wird heute die ersten 
Ansätze uns sicher andeuten können, was er bereits be 
schlossen und unternommen hat. Meine freundlichen Worte 
hier, Herr Senator, mögen aber nun nicht mißverstanden 
werden, besondere nicht von den Akteuren, die es in die 
sem Betrieb angeht. Man kann das alles auch, was hier 
nett und freundlich vorgetragen wurde, sehr hart und 
drastisch ausdrücken, nämlich, daß alle Anzeichen dafür 
sprechen, daß sich innerhalb der BSR ein relativ kleiner 
Kreis von Parasiten etabliert hat, 
(Beifall bei der CDU) 
der Vergünstigungen und Begünstigungen in abgestuf 
ter Form verteilt und sich somit eine Dauerherrechaft 
sichert. Der typische Fall des alten klassischen Wortes: 
Teile und herrsche! 
(Abg. Matthes; Korruption ist das, 
aber nicht „teile und herrsche“!) 
— So kann man es auch sehen, und, Herr Senator — das 
sage ich wieder freundlich —, so sehe ich es auch. Das 
alles, was ich Ihnen hier auf gezeigt habe, alles, was sich 
dahinter zu verbergen scheint — vieles spricht dafür —, 
ist Begründung genug für die von der CDU beantragte 
Sonderprüfung durch den Rechnungshof, die wir hier 
gleichzeitig mitbehandeln. Übrigens: Sonderprüfung — 
Senatsbeschluß: Wir lasen in diesen Tagen, der Senat 
habe sich zu einem generellen Prüfungsvorhaben in allen 
Betrieben unserer Stadt entschlossen. Dieser zeitliche Zu 
sammenhang ist sicher rein zufällig. Das ist also vor 
gestern, am 8. März 1977, passiert, aber dieser Beschluß, 
Herr Senator, ist ja auch ein seltsamer, wenn man seinen 
Text genau liest. Da wird nämlich — und das muß man 
vorlesen — beschlossen: „Die Eigenbetriebe werden im 
Rahmen der erteilten Prüfungsaufträge (Sonderprüfung 
und Jahresabschlußprüfung) durch Prüfungsgesellschaften 
oder durch den Rechnungshof schnellstmöglich auch dar 
aufhin untersucht in welchen Fällen“ usw. Das eine 
machen wir sowieso, und das andere kriegen Sie heute 
durch den Auftrag des Hauses erst mit. Was soll denn 
dieser seltsame Dachbeschluß, der inhaltlich ja nicht sagt, 
daß jetzt alle Betriebe untersucht werden. Keineswegs! Da 
verläßt sich der Senat in seinem weisen Beschluß von vor 
gestern wieder auf dieses Haus. Er fühlt sich gar nicht an 
gesprochen, von sich aus Aktivitäten zu entwickeln. — 
Bitte, wenn ich das mißverstehe, dann interpretieren Sie 
mir den Text des Beschlusses. Wir wären Ihnen dankbar 
dafür. 
Eine letzte Bemerkung, sie kann nicht ausbleiben: Wie 
ist es eigentlich mit der Aufsichtspflicht über diesen Be 
trieb? Wer kontrolliert ihn? Wer hat ihn kontrolliert, 
Herr Kollege Striek? Wie weit reichten die Kontrollen der 
früheren und der jetzigen Senatoren? Wie weit sind sie 
informiert über das, was dort der zuständige Verwaltungs 
rat beschließt und wie er regiert? Der Herr Regierende 
Bürgermeister jedenfalls war von dem ganzen Objekt, 
das in den nächsten Tagen feierlich mit Musik eröffnet 
wird, am 16. Februar 1977 völlig überrascht, wie wir der 
Presse entnehmen durften, 
(Heiterkeit bei der CDU) 
— Na, lassen wir ihn mal! — und hat schnell den zustän 
digen Senator zwecks Informationseinholung in Trab ge 
setzt. Ist ja richtig gewesen, was der Regierende Bürger 
meister da gemacht hat. 
(Abg. Rheinländer: Das halten wir fest!) 
Aber erstaunlich ist doch, daß er es nicht gewußt hat. Das 
spricht in diesem Falle nicht unbedingt gegen den Regie 
renden Bürgermeister, möchte ich der Fairneß halber ein 
mal sagen, aber es spricht sehr gegen die Leute in diesem 
Betrieb, die dort in Eigenregie tun und machen und treiben 
und lassen können, was sie wollen. 
(Abg. Boehm: Die heißen ja auch „Eigenbetriebe“; 
— Heiterkeit bei der CDU) 
— Ich kann das nur bestätigen, Herr Kollege! Wir haben 
das an anderer Stelle auch schon mehrfach festgestellt, 
daß hier offenbar eine Begriffsverwirrung bei den Nut 
zem dieses Eigenbetriebes vorliegt, daß sie eben meinen, 
das sei ihr Betrieb, weil er so heißt. — Damit bin ich nun 
wirklich zum Schluß beim Eigenbetriebsgesetz. 
(Zuruf von der SPD) 
— Na, was heißt „hoffentlich“ ? War das nicht interessant 
genug? 
(Zuruf von der SPD) ■ 
— Das haben Sie nicht gesagt ? — 
(Heiterkeit) 
Hier stellt sich nun für uns alle die Frage nach den Aus 
wirkungen des Eigenbetriebsgesetzes von 1973, das die 
Mitwirkung von Abgeordneten in den Aufsichtsgremien 
ausschließt. Ich bin fest davon überzeugt, wenn im Jahr 
1974, wie der Senator uns sagte, der Verwaltungsrat einen 
solchen Beschluß gefaßt hat, über den Unklarheit hin 
sichtlich des finanziellen Umfangs bestanden hätte — es 
muß ja wohl so gewesen sein, sonst hätten sie ja nicht von 
1975 zu 1976 das Doppelte zulegen müssen —, daß kri 
tische Abgeordnete das bemerkt hätten — es muß ja nicht 
unbedingt immer der oder jener sein, aber irgendeiner 
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