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Volume Nr. 51, 10. März 1977

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1977, 7. Wahlperiode, Band III, 46.-74. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode 
51. Sitzung vom 10. März 1977 
— Bald danach wurde für die Kontrollorgane an den 
Sektorengrenzen der Ärmelstreifen mit der Aufschrift 
„Grenztruppen der DDR“ eingeführt. 
— Am 1. Januar 1977 folgten die Einführung der Visa 
pflicht für Ausländer und die Schließung der Kontroll 
posten an den Straßen zwischen dem Ostsektor und der 
DDR. 
— Am 1. März 1977 schließlich wurden auch für Ost 
berlin Straßenbenutzungsgebühren eingeführt. 
Alles dies sind Maßnahmen eines Staates, dessen über 
steigertes Souveränitätsdenken es nicht ertragen kann, 
daß als Erbe der deutschen Geschichte die deutsche Staats 
gewalt, insbesondere hier in Berlin, besondere Verantwort 
lichkeiten der vier Mächte weiterhin hinnehmen muß. Hier 
wird, kurz gesagt, Geschichte geklittert. Man muß sich 
nur die Erklärung des Sprechers des Außenministeriums 
der DDR vom 31. Dezember 1976 ansehen, in der behauptet 
wird, daß seit 1949 der Viermächte-Status nicht mehr für 
den Ostsektor gilt und daß das Viermächte-Abkommen nur 
die Westsektoren betrifft. In jenem Außenministerium ist 
alles, was nach 1949 für den Ostsektor von Berlin geregelt 
worden ist, offenbar unbekannt. Alle Normen und Prakti 
ken, die besonderen Rechte der Sowjetunion und der West 
mächte, kennt man dort wohl nicht oder —- damit komme 
ich der Wahrheit wohl näher —, möchte man die Welt ver 
gessen lehren. Man kann es nicht ertragen, daß auch die 
DDR ein Staat in Deutschland ist und in dem besonderen 
Verhältnis zu der Rechtslage dieses Landes und insbeson 
dere dieser Stadt steht, die sich in der Kriegs- und Nach 
kriegszeit entwickelt hat und bis heute fortdauert. 
Deshalb haben wir es begrüßt, daß die drei Westmächte 
sehr schnell und sehr klar deutlich gemacht haben, wie die 
Lage wirklich ist. Nach sorgfältiger Prüfung der Ostber 
liner Maßnahmen haben die drei Mächte erklärt: 
Weder Handlungen noch Erklärungen dritter Staaten 
können die Rechte und Verantwortlichkeiten der vier 
Mächte oder den Status von Groß-Berlin, die unver 
ändert bleiben, berühren. 
(Beifall) 
— Und sie haben hinzugefügt: 
Die Regierungen der Vereinigten Staaten, Frankreichs 
und des Vereinigten Königreichs teilen mit der Regie 
rung der Sowjetunion die Verantwortung für die Auf 
rechterhaltung des Status von Groß-Berlin, der nur 
durch Vereinbarungen aller vier Mächte verändert 
werden kann. Sie erwarten von der Regierung der 
Sowjetunion, daß sie ihren Verpflichtungen in bezug 
auf Berlin nachkommt. 
Diese Erklärung ist, wie wir alle wissen, nach enger 
Konsultation mit der Bundesregierung abgegeben worden, 
und sie gilt auch für die Erklärungen, von denen ich eben 
gesprochen habe, die Botschafter Abrassimow zu dieser 
Frage am heutigen Tage abgegeben hat. Wir begrüßen es 
ausdrücklich, daß so der Standpunkt und daß so die Ent 
schlossenheit der drei Mächte und der Bundesrepublik 
Deutschland eindeutig und zweifelsfrei zum Ausdruck ge 
bracht worden sind. 
(Beifall bei der SPD und der F.D.P.) 
So, wie die DDR nicht ihrer Geschichte entfliehen kann, 
so kann sie auch nicht der Gegenwart entkommen; und 
auch da versucht sie es. Sie versucht wegzukommen von 
der Realität unserer Nation, die sich auch und vor allem 
in der Praktizierung des Reise- und Besuchsverkehrs durch 
die West-Berliner unübersehbar ausdrückt. Diese Tatsachen 
sind Ihnen allen hier bekannt. Jährlich fuhren über drei- 
millionenmal West-Berliner in den Ostteil unserer Stadt 
und in die DDR. Wir wußten von Anbeginn, daß diese 
Praxis für die Machtträger in der DDR Schwierigkeiten 
bringen würde, weil hier ein bißchen nie dagewesener Aus 
tausch von Informationen und Vorstellungen stattfinden 
würde. Ostberlin hat darum sehr früh schon, von der um 
ständlichen Handhabung des Reise- und Besuchsverkehrs 
einmal abgesehen, den Versuch unternommen, dem ver 
traglich festgelegten Zwang zur Öffnung durch vertrags 
widrige Abgrenzung zu begegnen. Ich erinnere an die Ver 
weigerung der Sofortbesuche, ich erinnere an die Verdop 
pelung des Mindestumtauschs. Immer wieder haben wir 
uns in langen und schwierigen Verhandlungen bemühen 
müssen, die DDR auf den Boden der Vereinbarungen zu 
rückzuholen. Sie hat sich — das sei angemerkt — im 
großen und ganzen dort auch immer wieder eingefunden. 
Seit Beginn dieses Jahres nun verwehren die Behörden 
der DDR zwei Gruppen von West-Berlinern den Besuch 
Ostberlins und der DDR. Zum Teil sind Berliner an den 
Übergängen zurückgewiesen worden, obwohl sie im Besitz 
ordnungsgemäßer Papiere waren, zum Teil sind die Ein 
reiseanträge gleich abschlägig beschieden worden. Es han 
delt sich dabei fast ausschließlich um Personen, die von 
1974 bis 1976 mit Genehmigung der DDR-Behörden nach 
West-Berlin übergesiedelt sind, und um Personen, die Fa 
milienzusammenführung mit Bewohnern Ostberlins und der 
DDR betreiben. Von 576 Beschwerden über Einreiseverwei 
gerung zwischen dem 1. Januar und dem 9. März dieses 
Jahres betreffen allein 418 Einreiseverweigerungen diese 
beiden Personengruppen. Nur um die Zahl aufzufüllen, 
teile ich mit, daß in 49 Fällen für die Binreiseverweigerung 
kein Grund ersichtlich ist und in 109 Fällen die Beschwer 
den wohl unbegründet waren, weil die Betroffenen gegen 
Gesetze der DDR verstoßen haben. 
Ich stelle dazu fest: In der Vereinbarung über den Reise- 
und Besucherverkehr vom 20. Dezember 1971 hat sich die 
DDR in der mündlichen Erklärung von Staatssekretär 
Kohrt dahingehend festgelegt, daß Einreiseverweigerungen 
nur gegen solche Personen ausgesprochen werden, die 
gegen die Gesetze der DDR verstoßen haben. Es ist auch 
nach der Auffassung der DDR außer jeder Frage, daß 
Erklärungen wie diese voll zum Abkommen gehören. Dar 
aus folgt, daß die Einreiseverweigerungen und Zurück 
weisungen, die wir jetzt haben, nicht im Einklang mit der 
Reise- und Besuchervereinbarung stehen. Sie stehen damit 
gleichzeitig im Widerspruch zum Viermächte-Abkommen 
insgesamt. 
Ein Antrag auf Familienzusammenführung, den ein 
Westdeutscher für einen in der DDR lebenden Deutschen 
gestellt hat, oder eine frühere legale Ausreise aus der DDR 
oder Ostberlin, ist auch nach dem Recht der DDR keine 
Gesetzesverletzung. Eine Zurückweisung dieser Personen 
ist also in keiner Weise gerechtfertigt. Ich sage hier un 
mißverständlich, das Antasten und das Verweigern von 
Rechten, die der einzelne aus den Vereinbarungen hat, ist 
auf seine Weise so gravierend wie irgendein Vergehen am 
Viermächtestatus von Berlin. Es ist ein vertraglich ver 
bürgtes Reckt der West-Berliner nach Ostberlin und in die 
DDR zu gehen und zu fahren, und dieses Recht darf weder 
eingeschränkt noch gebrochen werden. 
Was die DDR-Führung in dieser Beziehung unternimmt, 
paßt zusammen mit den Straßenbenutzungsgebühren für 
Ostberlin und zeigt die Stoßrichtung an. Erstens: Die DDR- 
Behörden wollen das Treffen von Freunden und Verwand 
ten soweit wie nur möglich drosseln. Zweitens: Die DDR- 
Behörden wollen mit dieser Maßnahme eines der Sonder 
merkmale des Viermächtestatus in Berlin einebnen: und 
drittens: Die DDR-Behörden wollen mehr Devisen einstrei 
chen. Der sogenannte Arbeiter- und Bauernstaat will sich 
wieder einmal bereichern auf Kosten der Arbeitnehmer 
hier bei uns in West-Berlin. 
Die Straßenbenutzungsgebühren werden jetzt seit zehn 
Tagen erhoben, und das erste Resultat: In dieser kurzen 
Zeitspanne sind die Einreisen mit dem PKW nach Ost 
berlin um ein Drittel zurückgegangen. Das schlägt dem, 
was in der Reise- und Besuchervereinbarung und im Vier 
mächte-Abkommen insgesamt gewollt ist, ins Gesicht. Das 
läuft dem Vereinbarten zwischen den beiden deutschen 
Staaten ebenso zuwider wie den Erklärungen der Schluß 
akte der KSZE. Dies alles ist klar. Ebenso klar ist aber, 
daß es uns nicht dazu verführen darf, diese Situation mit 
den Krisen und den Konfrontationen das kalten Krieges zu 
verwechseln. Wir täuschen uns nicht über die Zielrichtung 
der Politik der DDR. Aber diese Politik muß sich heute im 
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