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Volume Nr. 51, 10. März 1977

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1977, 7. Wahlperiode, Band III, 46.-74. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode 
51. Sitzung vom 10. März 1977 
gen allgemein einig sein müsse, dann kann doch die Ant 
wort nur lauten: Dann kann man doch erst recht auf die 
Idee, etwas in der Verfassung zu regeln, nur kommen, 
wenn man allenthalben einig ist. Und, wie gesagt, für ein 
einfaches Gesetz ist die Frage ja diskutierbar. Es wurde 
auch vom Herrn Kollegen Schmitz darüber gesprochen, daß 
durch zwei Stimmen Wahlen manipuliert werden könnten, 
und da lag so unausgesprochen drin, dies sei also nun 
furchtbar undemokratisch. Nun ist das Manipulieren 
sicherlich nicht demokratisch. Nur ist es merkwürdig, daß 
bisher keiner auf die Idee gekommen ist, das seit 1949 
geltende Wahlrecht für den Bundestag für ein solches zu 
halten, das Manipulationen Tür und Tor offenlasse. Auf 
die Idee ist bisher vernünftigerweise kein Mensch gekom 
men. Und, Herr Kollege Schmitz, wenn Sie etwas näher 
über das, was Sie soeben gesagt haben, nachdenken wer 
den, bin ich auch sicher, daß Sie hier revozieren werden; 
vielleicht nicht ausdrücklich, aber darauf erheben wir ja 
keinen Anspruch; die Hauptsache ist, Sie tun es in der 
Sache selbst. 
Im übrigen, was Manipulationen angeht, was Wahlge 
rechtigkeit angeht, ist doch zu fragen; Ist es nicht bei 
einem Mischwahlsystem sogar eine größere Gerechtigkeit, 
zwei Stimmen zuzulassen? Denn wenn man sagt, der per 
sönliche Kandidat in dem betreffenden Wahlkreis solle ja, 
weil er eben diese Persönlichkeit ist, das Vertrauen haben, 
dann erscheint es nicht gerade als Kulminationspunkt 
aller Gerechtigkeit, daß er durch dieses persönliche Ver 
trauen plötzlich seine Partei bevorteilt. Denn unser jetziges 
System ist so, daß der Kandidat X, der also im Wahl 
kreis Y ohne Rücksicht auf seine Parteizugehörigkeit — 
weil er ein so guter Mann ist — gewählt wird, diesen 
Stimmenvorsprung beim Verhältnisausgleich zugunsten 
seiner Partei in den Verhältnisausgleich einbringt. Dar 
über, ob das erträglich ist, kann man sogar noch reden, 
solange nur politische Parteien im Wettstreit sind; aber 
benachteiligt wird auf jeden Fall ein Einzelkandidat, dem 
ein solches Umladen seiner Stimmen — eine zusätzliche 
Gewichtung der von ihm erzielten Stimmen — nicht mög 
lich ist. Und gerade dieses, nämlich die Zulassung von 
Einzelkandidaten, wollen wir hier ja aufgrund des Spruchs 
des Wahlprüfungsgerichts ermöglichen. 
Meine Damen und Herren von der CDU, ich habe aber 
noch eine zusätzliche Frage: Wir wollen den Artikel 26 
ändern, um dem Spruch des Wahlprüfungsgerichts gerecht 
zu werden. Wir brauchen gleichwohl für diese Verfassungs 
änderung eine Zweidrittelmehrheit. Die Koalition weiß na 
türlich, daß sie in dieser Legislaturperiode die Zweidrittel 
mehrheit ohne die Stimmen der CDU nicht hat. Wollen 
Sie nun, meine Damen und Herren, etwa die Anpassung 
der Verfassungsbestimmungen an den Spruch des Wahl 
prüfungsgerichts dadurch blockieren, daß Sie diese Ihre 
zusätzliche Forderung damit kombinieren, eine^Sache, die 
wirklich üblicherweise nichts mit Verfassungsrang zu tun 
hat, und von der auch nicht ersichtlich ist, weshalb sie 
Verfassungsrang bekommen soll? Rechtlich würden Sie 
daran nichts ändern, denn auch ohne eine Änderung des 
Wortlauts der Berliner Verfassung müssen wir entgegen 
dem Wortlaut des Artikel 26 entsprechend dem Spruch des 
Wahlprüfungsgerichts bei der nächsten Wahl verfahren. 
Nur, es erscheint ein unangemessenes Umgehen der Volks 
vertretung mit der Verfassung, wenn die Verfassung nicht 
den Sprüchen höchster Gerichte aufgrund noch höherrangi 
ger Normen entspricht oder eine solche Anpassung dann 
von gewünschten Extrawürsten, die hier gebraten werden 
sollen, abhängig gemacht wird. Dieses wäre kein verant 
wortliches Umgehen mit der Berliner Verfassung. Ich 
hoffe — ich bin sogar sicher —, daß in den Ausschußbera 
tungen die CDU es sich nicht nehmen lassen wird, die 
Gelegenheit zu ergreifen, nicht in den Geruch zu kommen, 
unverantwortlich mit der Berliner Verfassung umzusprin 
gen. — Schönen Dank! 
(Beifall bei der SPD und der F.D.P.) 
Stellv. Präsident Baetge: Nächster Redner ist der Abge 
ordnete Schmitz. 
Schmitz (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Her 
ren! Herr Kollege Pawlak! Ein Beispiel für, glaube ich, 
unschädliche Manipulation haben Sie soeben erlebt. Ich 
habe gewartet, bis Sie sich gemeldet haben, um nicht nach 
der Geschäftsordnung in der richtigen Reihenfolge hier zu 
sprechen, sondern nach Ihnen. 
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige 
wenige Sätze noch ergänzend zu dem hinzufügen, was ich 
vorhin bei der Begründung unseres Antrags gesagt habe, 
und in Antwort auf das, was von den Kollegen Kayser und 
Pawlak angesprochen wurde. Zum einen, Herr Kollege 
Kayser und auch Herr Kollege Pawlak, die Bundestags 
wahl als Ganzes ist sicher nicht manipuliert und sicher 
nicht anfechtbar geworden. Aber insgesamt ist bei den 
letzten beiden Bundestagswahlen aufgefallen, daß in den 
letzten Wochen vor der Bundestagswahl ganz deutlich dar 
auf hingewiesen wurde, daß man durch ein Stimmensplit 
ting sich parteiinterne Vorteile verschaffen könne; und daß 
das nicht gerade zu großer Befriedigung bei allen Beteilig 
ten geführt hat, davon können wir wohl alle ausgehen. 
Zum zweiten, Herr Kollege Pawlak, haben Sie bestritten, 
daß der von uns aufgestellte Satz „Ein Wähler, eine 
Stimme“ keinen Verfassungsrang haben könne, weil er 
kein Grundsatz sei. Nun, ich weiß nicht, ob eine solche 
Manipulationsmöglichkeit, wenn auch nur auf einem ver 
schwindend kleinen Teil — und die taktischen Kniffe sind 
Ihnen genauso gut wie allen anderen geläufig —, nicht 
geradezu die Aufforderung ist, dann zu verdeutlichen, daß 
hier eine Manipulation eben nicht erwünscht ist. Darum 
geht es uns. Und ich meine, da das bisher noch nicht in 
einer anderen — und da haben Sie recht — Deutschen Ver 
fassung steht oder stand, daß das nicht Anlaß dafür sein 
kann, eine solche Frage nicht ganz präzise zu bedenken 
und zu erörtern; und wir stehen im Ausschuß — und dazu 
stehe ich hier auch — für jede Argumentation zur Ver 
fügung; wir werden uns dort auseinandersetzen müssen. 
Aber lassen Sie mich auch sagen: Auffällig ist, Herr 
Kollege Pawlak und auch Herr Kollege Kayser, daß Sie zu 
der dahinterstehenden Sachfrage selbst, wenn überhaupt, 
dann nur sehr eingeschränkt und sehr verklausuliert Stel 
lung genommen haben. Und diese Sachfrage ist: Wenn Sie 
entsprechend dem Spruch des Wahlprüfungsgerichts im 
Pall Zehlendorf den parteiunabhängigen Bewerber zur Teil 
nahme an den Wahlen zum Abgeordnetenhaus zulassen, ob 
Sie dann auch wollen, daß die Stimme, die auf diesen 
parteiunabhängigen Bewerber fällt, möglicherweise noch 
woanders auf einer Bezirksliste durch Stimmensplitting 
angerechnet werden kann. Diese Frage, Herr Kollege Paw 
lak, haben Sie sehr durch die Blume in Frage gestellt, der 
Herr Kollege Kayser hat sie überhaupt nicht angesprochen. 
Und das ist die Kernfrage, denn da ist der Punkt, wo wir 
auseinandergehen. Ich meine, daß wir diesen Punkt in aller 
Klarheit und Deutlichkeit ansprechen sollten; wenn sich 
da Bedenken ausräumen lassen, wird sicher auch die Mög 
lichkeit eines einheitlichen Willens dieses Hauses für die 
Wahlrechtsänderung vorhanden sein. 
Lassen Sie mich zum Abschluß folgendes sagen: Wenn 
wir hier so rechtzeitig auf diesen Punkt hingewiesen haben, 
dann deshalb, weil Ihre schlichte Antragstellung zunächst 
gar nicht vermuten läßt, was dahintersteckt. 
(Abg. Pawlak: Ist doch Ihr Antrag!) 
Dahinter steckt im Grunde eine Abkehr dessen, was Sie 
bisher in den Vorbesprechungen und Besprechungen in den 
Ausschüssen gesagt haben. Das wollten wir hier markie 
ren. Wir werden im Verfassungsausschuß die Dinge weiter 
zu beraten haben. 
(Beifall bei der CDU) 
Stellv. Präsident Baetge: Meine Damen und Herren! 
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe 
damit die Aussprache. Der Ältestenrat empfiehlt die Über 
weisung der beiden Anträge an den Verfassungsausschuß. 
Wer dem zustimmen will, den bitte ich. das Handzeichen 
zu geben. — Danke schön! Die Gegenprobe! — Enthaltun 
gen? Das war einstimmig. 
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