Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
51. Sitzung vom 10. März 1977
gen allgemein einig sein müsse, dann kann doch die Ant
wort nur lauten: Dann kann man doch erst recht auf die
Idee, etwas in der Verfassung zu regeln, nur kommen,
wenn man allenthalben einig ist. Und, wie gesagt, für ein
einfaches Gesetz ist die Frage ja diskutierbar. Es wurde
auch vom Herrn Kollegen Schmitz darüber gesprochen, daß
durch zwei Stimmen Wahlen manipuliert werden könnten,
und da lag so unausgesprochen drin, dies sei also nun
furchtbar undemokratisch. Nun ist das Manipulieren
sicherlich nicht demokratisch. Nur ist es merkwürdig, daß
bisher keiner auf die Idee gekommen ist, das seit 1949
geltende Wahlrecht für den Bundestag für ein solches zu
halten, das Manipulationen Tür und Tor offenlasse. Auf
die Idee ist bisher vernünftigerweise kein Mensch gekom
men. Und, Herr Kollege Schmitz, wenn Sie etwas näher
über das, was Sie soeben gesagt haben, nachdenken wer
den, bin ich auch sicher, daß Sie hier revozieren werden;
vielleicht nicht ausdrücklich, aber darauf erheben wir ja
keinen Anspruch; die Hauptsache ist, Sie tun es in der
Sache selbst.
Im übrigen, was Manipulationen angeht, was Wahlge
rechtigkeit angeht, ist doch zu fragen; Ist es nicht bei
einem Mischwahlsystem sogar eine größere Gerechtigkeit,
zwei Stimmen zuzulassen? Denn wenn man sagt, der per
sönliche Kandidat in dem betreffenden Wahlkreis solle ja,
weil er eben diese Persönlichkeit ist, das Vertrauen haben,
dann erscheint es nicht gerade als Kulminationspunkt
aller Gerechtigkeit, daß er durch dieses persönliche Ver
trauen plötzlich seine Partei bevorteilt. Denn unser jetziges
System ist so, daß der Kandidat X, der also im Wahl
kreis Y ohne Rücksicht auf seine Parteizugehörigkeit —
weil er ein so guter Mann ist — gewählt wird, diesen
Stimmenvorsprung beim Verhältnisausgleich zugunsten
seiner Partei in den Verhältnisausgleich einbringt. Dar
über, ob das erträglich ist, kann man sogar noch reden,
solange nur politische Parteien im Wettstreit sind; aber
benachteiligt wird auf jeden Fall ein Einzelkandidat, dem
ein solches Umladen seiner Stimmen — eine zusätzliche
Gewichtung der von ihm erzielten Stimmen — nicht mög
lich ist. Und gerade dieses, nämlich die Zulassung von
Einzelkandidaten, wollen wir hier ja aufgrund des Spruchs
des Wahlprüfungsgerichts ermöglichen.
Meine Damen und Herren von der CDU, ich habe aber
noch eine zusätzliche Frage: Wir wollen den Artikel 26
ändern, um dem Spruch des Wahlprüfungsgerichts gerecht
zu werden. Wir brauchen gleichwohl für diese Verfassungs
änderung eine Zweidrittelmehrheit. Die Koalition weiß na
türlich, daß sie in dieser Legislaturperiode die Zweidrittel
mehrheit ohne die Stimmen der CDU nicht hat. Wollen
Sie nun, meine Damen und Herren, etwa die Anpassung
der Verfassungsbestimmungen an den Spruch des Wahl
prüfungsgerichts dadurch blockieren, daß Sie diese Ihre
zusätzliche Forderung damit kombinieren, eine^Sache, die
wirklich üblicherweise nichts mit Verfassungsrang zu tun
hat, und von der auch nicht ersichtlich ist, weshalb sie
Verfassungsrang bekommen soll? Rechtlich würden Sie
daran nichts ändern, denn auch ohne eine Änderung des
Wortlauts der Berliner Verfassung müssen wir entgegen
dem Wortlaut des Artikel 26 entsprechend dem Spruch des
Wahlprüfungsgerichts bei der nächsten Wahl verfahren.
Nur, es erscheint ein unangemessenes Umgehen der Volks
vertretung mit der Verfassung, wenn die Verfassung nicht
den Sprüchen höchster Gerichte aufgrund noch höherrangi
ger Normen entspricht oder eine solche Anpassung dann
von gewünschten Extrawürsten, die hier gebraten werden
sollen, abhängig gemacht wird. Dieses wäre kein verant
wortliches Umgehen mit der Berliner Verfassung. Ich
hoffe — ich bin sogar sicher —, daß in den Ausschußbera
tungen die CDU es sich nicht nehmen lassen wird, die
Gelegenheit zu ergreifen, nicht in den Geruch zu kommen,
unverantwortlich mit der Berliner Verfassung umzusprin
gen. — Schönen Dank!
(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)
Stellv. Präsident Baetge: Nächster Redner ist der Abge
ordnete Schmitz.
Schmitz (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Her
ren! Herr Kollege Pawlak! Ein Beispiel für, glaube ich,
unschädliche Manipulation haben Sie soeben erlebt. Ich
habe gewartet, bis Sie sich gemeldet haben, um nicht nach
der Geschäftsordnung in der richtigen Reihenfolge hier zu
sprechen, sondern nach Ihnen.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige
wenige Sätze noch ergänzend zu dem hinzufügen, was ich
vorhin bei der Begründung unseres Antrags gesagt habe,
und in Antwort auf das, was von den Kollegen Kayser und
Pawlak angesprochen wurde. Zum einen, Herr Kollege
Kayser und auch Herr Kollege Pawlak, die Bundestags
wahl als Ganzes ist sicher nicht manipuliert und sicher
nicht anfechtbar geworden. Aber insgesamt ist bei den
letzten beiden Bundestagswahlen aufgefallen, daß in den
letzten Wochen vor der Bundestagswahl ganz deutlich dar
auf hingewiesen wurde, daß man durch ein Stimmensplit
ting sich parteiinterne Vorteile verschaffen könne; und daß
das nicht gerade zu großer Befriedigung bei allen Beteilig
ten geführt hat, davon können wir wohl alle ausgehen.
Zum zweiten, Herr Kollege Pawlak, haben Sie bestritten,
daß der von uns aufgestellte Satz „Ein Wähler, eine
Stimme“ keinen Verfassungsrang haben könne, weil er
kein Grundsatz sei. Nun, ich weiß nicht, ob eine solche
Manipulationsmöglichkeit, wenn auch nur auf einem ver
schwindend kleinen Teil — und die taktischen Kniffe sind
Ihnen genauso gut wie allen anderen geläufig —, nicht
geradezu die Aufforderung ist, dann zu verdeutlichen, daß
hier eine Manipulation eben nicht erwünscht ist. Darum
geht es uns. Und ich meine, da das bisher noch nicht in
einer anderen — und da haben Sie recht — Deutschen Ver
fassung steht oder stand, daß das nicht Anlaß dafür sein
kann, eine solche Frage nicht ganz präzise zu bedenken
und zu erörtern; und wir stehen im Ausschuß — und dazu
stehe ich hier auch — für jede Argumentation zur Ver
fügung; wir werden uns dort auseinandersetzen müssen.
Aber lassen Sie mich auch sagen: Auffällig ist, Herr
Kollege Pawlak und auch Herr Kollege Kayser, daß Sie zu
der dahinterstehenden Sachfrage selbst, wenn überhaupt,
dann nur sehr eingeschränkt und sehr verklausuliert Stel
lung genommen haben. Und diese Sachfrage ist: Wenn Sie
entsprechend dem Spruch des Wahlprüfungsgerichts im
Pall Zehlendorf den parteiunabhängigen Bewerber zur Teil
nahme an den Wahlen zum Abgeordnetenhaus zulassen, ob
Sie dann auch wollen, daß die Stimme, die auf diesen
parteiunabhängigen Bewerber fällt, möglicherweise noch
woanders auf einer Bezirksliste durch Stimmensplitting
angerechnet werden kann. Diese Frage, Herr Kollege Paw
lak, haben Sie sehr durch die Blume in Frage gestellt, der
Herr Kollege Kayser hat sie überhaupt nicht angesprochen.
Und das ist die Kernfrage, denn da ist der Punkt, wo wir
auseinandergehen. Ich meine, daß wir diesen Punkt in aller
Klarheit und Deutlichkeit ansprechen sollten; wenn sich
da Bedenken ausräumen lassen, wird sicher auch die Mög
lichkeit eines einheitlichen Willens dieses Hauses für die
Wahlrechtsänderung vorhanden sein.
Lassen Sie mich zum Abschluß folgendes sagen: Wenn
wir hier so rechtzeitig auf diesen Punkt hingewiesen haben,
dann deshalb, weil Ihre schlichte Antragstellung zunächst
gar nicht vermuten läßt, was dahintersteckt.
(Abg. Pawlak: Ist doch Ihr Antrag!)
Dahinter steckt im Grunde eine Abkehr dessen, was Sie
bisher in den Vorbesprechungen und Besprechungen in den
Ausschüssen gesagt haben. Das wollten wir hier markie
ren. Wir werden im Verfassungsausschuß die Dinge weiter
zu beraten haben.
(Beifall bei der CDU)
Stellv. Präsident Baetge: Meine Damen und Herren!
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe
damit die Aussprache. Der Ältestenrat empfiehlt die Über
weisung der beiden Anträge an den Verfassungsausschuß.
Wer dem zustimmen will, den bitte ich. das Handzeichen
zu geben. — Danke schön! Die Gegenprobe! — Enthaltun
gen? Das war einstimmig.
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