Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
49. Sitzung vom 10. Februar 1917
Und wenn Sie allesamt unserem Antrag widersprechen
und ihn hier nicht unterstützen, dann tun Sie im Grunde
nichts anderes, als sich selbst in die Tasche lügen.
(So ist es! — Beifall bei der CDU)
Dann leisten Sie allenfalls einen Entwicklungsbeitrag für
eine neue Technik des Selbstbetruges, aber nicht mehr.
Sie sollten sich vielleicht fragen, ob Sie sich nicht zu
schade sind, so etwas zu tun. Natürlich kennt jedermann
die Motivation inzwischen. Herr Papenfuß hat das heute
mittag in einer Diskussion, gewiß in Erregung, in der wir
alle waren, ziemlich unmißverständlich zum Ausdruck ge
bracht. Er hat gesagt: Hier geht es nicht um Geschäfts
ordnung oder irgendeinen Antrag, hier geht es um die
Koalition. Ja, darum geht es allerdings.
(Abg. Papenfuß: Verletzen wir die Geschäftsordnung?)
Und dann interessiert die Geschäftsordnung wohl nicht
(Abg. Haus: Das ist das Letzte!)
und auch Ihre Meinung von vorgestern nicht mehr.
(Abg. Papenfuß: Das ist geschäftsordnungswidrig,
oder was ? Da lachen ja die Hühner!)
Wenn es darumgeht, dann kann man hier im Parlament
einmal hüh und einmal hott sagen. Dann stimmen Sie
wider Wissen und wider Gewissen gegen unseren Antrag,
meine Damen und Herren, oder versuchen noch den Trick,
daß Sie von einer solchen Abstimmung befreit werden.
Dies ist sehr bedauerlich, und dies kann man, glaube ich,
nirgendwo verstehen.
Nun gab es noch einen Versuch von seiten eines Sena
tors, den ich hier kurz erwähnen muß, die Stimmung wie
der aufzupäppeln — die ist ja wohl angekratzt —, indem
er darauf verwies, die Koalition stünde ganz gut da, zu
mindest die SPD, denn wenn es jetzt Wahlen gäbe, dann
hätten Sie 45% und die CDU 36%.
(Abg. Lorenz: Machen wir doch in vier Wochen
die Probe!)
— Ja, meinetwegen sofort! — Aber ich muß etwas zu den
Zahlen sagen. Was Herr Histock vielleicht nicht weiß, aber
Sie sollten es wissen: Sie sollten wissen, meine Damen und
Herren — diejenigen, die sich berufsmäßig damit im Senat
beschäftigen, wissen es mit Sicherheit —, daß hier von
Herrn Ristock nichts anderes gemacht wird als ein Sta
bilisierungsversuch mit frisierten Zahlen.
(Beifall bei der CDU)
Warum, meine Damen und Herren, warum? Ich muß das
mal, da er diese Zahlen ja publiziert hat, zu diesen Infas
prognosen sagen, damit Sie demnächst genau bewerten und
nicht irgendwo falsche Orientierungshilfen bekommen. In
den letzten zwölf Jahren sind solche Befragungen durch
geführt worden, und sie sind auch jeweils immittelbar vor
den Wahlen durchgeführt worden, vier bis eine Woche vor
den Wahlen. Die Befragungen von Infas haben immer er
geben, daß das tatsächliche Ergebnis der CDU 10% bis
12% über dem Infaswert lag.
(Abg. Dr. Haus: Dann hätten Sie ja hier eine Mehrheit!)
Und wenn Sie das wissen und wissen, daß bei der Sozial
demokratie keine Verschiebung vorhanden ist, dann wissen
Sie, daß die CDU aus einer Wahl — selbst nach Infas —
gestärkt hervorgehen würde, und zwar wesentlich gestärkt,
meine Damen und Herren.
(Widerspruch und Heiterkeit bei der SPD)
Dieses muß man zur Korrektur sagen, damit sich hier
keine falsche Vorstellungen einschleichen.
(Bm Neubauer: Das war wohl nichts! —
Zurufe von SPD)
— Nun, wenn Sie den Mut haben, dann machen Sie doch
mit. Dann geben Sie doch dem Wähler eine Chance, wenn
Sie sich selber nicht trauen, einen neuen Regierenden
Bürgermeister zu finden, meine Damen und Herren!
(Starker Beifall bei der CDU)
Die Schwierigkeiten einer Regierungsfraktion sind ganz
gewiß unverkennbar; und ganz gewiß wird mein hier
wissen müssen, daß nur Sie allein in der Lage sind, den
Knoten durchzuhauen. Aber Sie können es uns nicht ver
übeln, daß wir Ihr Verhalten vor der Öffentlichkeit als
das darstellen, was es tatsächlich ist.
(Abg. Papenfuß; Aus moralischem Impetus!)
Wenn es um den Erhalt der Koalition geht — so scheint
es bis jetzt, wenn Sie Ihre Meinung nicht ändern —, dann
haben Sie Verständnis dafür und tolerieren, daß ganz un
berechtigte Persilscheine ausgestellt werden.
(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)
Wenn es um den Bestand der Koalition geht, dann tole
rieren Sie auch ein Stück Verdrehung und Verbiegung der
Wahrheit. Und wenn es um den Erhalt der Koalition geht,
dann sind Sie auch intern bereit, das Verhalten und die
Äußerung des Regierenden Bürgermeisters zu mißbilligen,
aber vor dem Angesicht des Wählers, in diesem Parlament,
wo der Regierende Bürgermeister die Worte gesprochen
hat, tun Sie es nicht. Aber genau das wird es ja sein. Hier
ist ein Wort gesprochen worden, eine Ehrenerklärung für
Herrn Schwäbl, das steht im Protokoll, und wenn es nach
Ihrem Willen geht, bleibt es dort stehen.
(Abg. Papenfuß: Bleibt in jedem Fall stehen!
Ergibt sich aus der Geschäftsordnung!)
Dann wird weder der Regierende Bürgermeister wider
rufen, noch werden Sie es mißbilligen. Und dies ist ein
Verhalten, das einer politischen Partei von Format un
würdig ist.
Meine Damen und Herren! Ehre dein Amt, damit dein
Amt dich ehrt! Was wollen Sie dem Wähler eigentlich
sagen? Werden Sie es ihm übelnehmen, können Sie es
ihm übelnehmen, wenn der Wähler Ihnen dann eines
Tages sagt: Sie kriechen, wenn es um Entscheidungen
zur Sache geht. Oder Sie lassen sich wie Stimmvieh für
die Koalition behandeln. Es hat doch eine Reihe von So
zialdemokraten gegeben, die das nicht wollten, was Herr
Schütz gesagt hat, und die hier im Parlament — so hatten
sie gesagt — für unseren Antrag stimmen wollten.
(Was? und Widerspruch bei der SPD)
Warum tun sie es denn nicht? Seien Sie doch ehrlich zu
sich selbst. Denn nur wenn Sie diese Bereitschaft haben,
dann werden Sie auch in der Lage sein, Ihre Partei aus
dem Tief herauszubringen, in dem Sie ist.
(Abg. Papenfuß: Schon wieder ein Gerücht,
was nicht stimmt!)
Daran kann wohl kein Zweifel bestehen. Aber wenn Sie
es nicht tun, dann hat niemand von Ihnen ein Recht, die
zu kritisieren, die jenes anonyme Papier verfaßt haben;
denn Sie fliehen ja zurück in dieselbe Anonymität und in
dieselbe Feigheit und in dieselbe Unfähigkeit, vor dem
Wähler für das geradezustehen, was Sie gesagt und getan
haben.
(Anhaltender Beifall bei der CDU)
Stellv. Präsident Sickert: Meine Damen und Herren! Ich
hoffe, daß inzwischen der Änderungsantrag der Fraktionen
der SPD und der F.D.P. verteilt worden ist, so daß keine
Unklarheit mehr besteht.
(Zurufe von der CDU: Ohne Unterschrift!)
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