Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
71. Sitzung vom 24. November 1977
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich ver
suche ja, Ihre Zustimmung hier zu erzielen, und ich ent
nehme Ihren Gesten, daß Sie durchaus bereit sind, In dieser
Position eine gleiche Stellung einzunehmen. — Nein, das
war schlechtes Deutsch! In einer Position nimmt man keine
Stellung ein! — Sie sind wohl durchaus bereit, an unserer
Seite die gleichen Positionen zu vertreten.
(Abg. Franke: Der Schulsenator ist ja nicht da!)
— Ach wissen Sie, man kann mit der deutschen Sprache
gar nicht ordentlich genug umgehen, Herr Kollege Franke.
(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)
Als eine große Hilfe für die Wiedereingliederung in den
normalen Arbeitsprozeß haben sich die mit den ABM-
Programmen verbundenen beruflichen Fortbildungsmaß
nahmen erwiesen, die unter Einschaltung des Berufsfortbil
dungswerks des DGB speziell den arbeitslosen Angestellten
und Jugendlichen während ihrer Tätigkeit in den ABM-
Programmen kostenlos angeboten werden.
Der Senat ist bemüht, vor allem auch arbeitslosen
Schwerbehinderten in seinen ABM-Programmen bevorzugt
eine vorübergehende Tätigkeit anzubieten. Hier muß ich
noch mal versuchen, Ihre Aufmerksamkeit besonders her
vorzurufen. Daß diese Bemühungen erfolgreich waren, be
weist die Tatsache, daß in den ABM-Programmen für An
gestellte nahezu jeder dritte Arbeitsplatz mit einem
schwerbehinderten Arbeitslosen besetzt werden konnte. Ich
glaube, das ist ein gutes Ergebnis.
(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)
Auch wenn die Jugendarbeitslosigkeit nicht als ein spe
zielles Problem des Berliner oder des westdeutschen Ar
beitsmarkts bezeichnet werden kann, sondern eine Erschei
nung ist, die gegenwärtig mit unterschiedlicher Intensität
in allen Industrieländern beobachtet werden kann, hat der
Senat frühzeitig besonders für diesen Personenkreis eine
Reihe von Maßnahmen zur Sicherung von Arbeits- und
Ausbildungsplätzen ergriffen. Ich darf in diesem Zusam
menhang auf den Bericht des Senats über die Jugendar
beitslosigkeit und Ausbildungsplatzsituation in Berlin
verweisen. Als besonders erfolgreich haben sich für diese Per
sonengruppen die bisherigen Arbeitsbeschaffungsmaßnah
men des Senats erwiesen. Dafür spricht, daß sich z. B. von
den 1976/77 bisher insgesamt 1900 eingestellten Jugend
lichen während der Beschäftigungszeit 817 Jugendliche aus
dem Programm vorzeitig abgemeldet haben, weil sie zwi
schenzeitlich einen Dauerarbeitsplatz gefunden haben oder
ein Ausbildungsverhältnis eingegangen sind. Die neben der
Berufsschule spezielle sozialpädagogische Betreuung der
Jugendlichen in enger Verbindung mit den Fortbildungs
maßnahmen durch Kurse, die vom Berufsfortbildungswerk
des DGB durchgeführt werden, hat sich klar erkennbar
motivierend auf die jugendlichen Arbeitslosen ausgewirkt.
Angesichts der nach wie vor relativ großen Zahl arbeits
loser Jugendlicher — ich hatte die Zahlen genannt — ist
eine Fortführung der bisherigen Arbeitsbeschaffungsmaß
nahmen auch für das kommende Jahr beschlossen worden.
Der Senat trägt hierbei in einer erweiterten Konzeption
auch der Erkenntnis Rechnung, daß vor allem diejenigen
jugendlichen ABM-Kräfte, die erhebliche Bildungsdefizite
aufweisen, nach Beendigung der Beschäftigung in Arbeits
beschaffungsmaßnahmen beim Wettbewerb um einen Ar
beits- oder Ausbildungsplatz nach wie vor auf der Strecke
bleiben. Für diesen Personenkreis ist ein Anschlußpro
gramm vorgesehen, in dem durch mehr berufsorientierende
Maßnahmen die Vermittlungsfähigkeit in eine berufliche
Tätigkeit oder einen Ausbildungsplatz weiter gesteigert
werden soll. Dabei soll eine sechsmonatige Tätigkeit in
Werkstätten der Berufsfelder Metall, Holz, Elektro, Druck-
und Vervielfältigung geboten werden.
Der Senat ist gemeinsam mit der Arbeitsverwaltung in
Berlin der Auffassung, daß angesichts des relativ großen
Anteils arbeitsloser Jugendlicher ohne qualifizierten Schul
abschluß, deren Teilnahme an berufsqualifizierenden Maß
nahmen vorrangig ist. Dazu steht ein Angebot von rund
1000 Plätzen in berufsvorbereitenden Maßnahmen (ein
schließlich der Eingliederungslehrgänge für behinderte
Jugendliche) zur Verfügung. Eine Kapazitätsausweitung
erscheint in Anbetracht der derzeitigen Nachfrage gegen
wärtig nicht erforderlich. Sie kann aber im Bedarfsfall so
fort auf bis zu 1200 Plätze vorgenommen werden.
Für ausländische arbeitslose Jugendliche führt das Jugend
sozialwerk im Aufträge des Senats seit Mai 1976 Einglie
derungslehrgänge von halbjähriger Dauer durch. Durch
die Bereitstellung von zunächst 100 Plätzen soll die Einglie
derung von arbeitslosen Jugendlichen in den Arbeitsprozeß
gefördert werden. In diesem Zusammenhang möchte ich
darauf hinweisen, daß aufgrund einer Initiative des Senats
der bisherige Stichtag für die Erteilung einer Arbeits
erlaubnis nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes
im Wege des Familiennachzugs zugewanderter auslän
discher Jugendlicher vom November 1974 auf den 1. Januar
1977 verschoben wurde. Der Senat sieht darin einen wich
tigen Schritt zur Verbesserung der schulischen und beruf
lichen Chancen der zweiten Ausländergeneration. Im
übrigen erhofft sich der Senat aufgrund dieser Regelung
auch eine gewisse Aufhellung der — ja, mit allem Vor
behalt möchte ich sagen — der bisherigen „Dunkelziffer“,
weil wir nicht genau wissen, wie viele ausländische Jugend
liche es eigentlich sind, da sie sich nicht alle beim Arbeits
amt melden, von ausländischen Jugendlichen, die in unserer
Stadt Arbeit suchen.
Mit der Bildung der Sonderkommission „Ausbildungs
platzsituation“ Ende 1975 unter dem Vorsitz des Regieren
den Bürgermeisters wurde ein wichtiger Schritt getan, ge
meinsam alles zu unternehmen, um das Ausbildungsplatz
angebot in Berlin zu erhöhen. Nach wie vor gilt zwar, was
auch früher schon vor diesem Hause festgestellt werden
konnte, nämlich daß „Jugendarbeitslosigkeit“ in erster
Linie auf fehlende Arbeitsplätze und nicht auf fehlende
Ausbildungsplätze zurückzuführen ist. Und ich gehe davon
aus, daß sich dies — jedenfalls was Berlin angeht — bis
zum Jahresende, wenn das statistische Material vorliegt,
erneut bestätigen wird.
(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)
Dennoch ist die berufliche Qualifizierung aller Schulabgän
ger in den nächsten Jahren auch eine fundamentale arbeits
marktpolitische Aufgabe. Alle seriösen Arbeitsmarktpro
gnosen kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß in
der gesamten Volkswirtschaft die Zahl der Arbeitsplätze,
die keine besondere Qualifikation erfordern, weiterhin ab
nehmen wird. Das ist im übrigen eine der wenigen überein
stimmenden Aussagen in solchen Prognosen. Da gibt es ja
nur ganz wenige Punkte, von denen man sagen kann, daß
diese eigentlich nicht ernsthaft bestritten werden können.
Eine wachsende Zahl ungelernter Erwerbstätiger — die
haben wir ja bisher verhindern können und werden es auch
weiterhin tun — ohne die Motivation und die Fähigkeit zur
Weiterbildung oder Umschulung würde auf ein ständig
schrumpfendes Arbeitsplatzangebot treffen. Da der Ar
beitsmarkt für Fachkräfte fast jeder Art in der Praxis
weitaus größer ist, als es die Zahl der bei den Arbeits
ämtern gemeldeten freien Stellen anzuzeigen scheint, tref
fen wir hier auf eine Erfahrung, die uns schon bekannt ist.
Erst vor wenigen Tagen habe ich in Beantwortung einer
Kleinen Anfrage des Abgeordneten Schwarz über die Aus
bildungssituation behinderter Jugendlicher in Berlin be
richtet. Sie wird sich deutlich verbessern, wenn Ende 1979
das Berufsbildungswerk in Britz mit rund 280 Ausbildungs
plätzen fertiggestellt sein wird. Es wird dann nicht mehr
notwendig sein, daß die betroffenen Jugendlichen in vielen
Fällen zur Ausbildung in ein Berufsbildungswerk im übri
gen Bundesgebiet vermittelt werden müssen.
(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)
Der Senat hat die seit einiger Zeit zu beobachtende Ver
schlechterung der Beschäftigungssituation für Hochschul-
und Fachhochschulabsolventen zum Anlaß verschiedener
Initiativen genommen. Zusätzlich wird der Senat eine res-
sortübergreifende Arbeitsgruppe einsetzen, die ausloten
soll, welche Ansätze für ihn bestehen, um die Beschäfti
gungslage dieses Personenkreises zu verbessern.
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