Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
71. Sitzung vom 24. November 1977
Stellv. Präsident Baetge: So, Herr Ulzen, Sie haben jetzt
das Wort.
Ulzen (CDU); Herr Senator, im Anschluß an Ihre Erklä
rung zu den Lehrern darf ich Sie fragen, wie Sie dann eine
Presseerklärung des Verbandes der Lehrer an Oberstufen
zentren von heute werten, worin steht: Die Lehrer an
berufsbildenden Schulen sind nicht vorbereitet auf diese
Aufgabe. Die Konzeption für die pädagogische Betreuung
ist unklar, und die Aufnahmefähigkeit der berufsbildenden
Oberschulen hat bereits jetzt ihre Grenze erreicht, und
durch die beabsichtigten Maßnahmen wird das berufs
bildende Schulwesen überfordert ?
Basch, Senator für Schulwesen: Herr Abgeordneter Ul
zen, selbstverständlich habe ich den Brief auch gelesen,
wenn auch mit einer gewissen Verwunderung, weil genau
diese Berufsschullehrer heute, zum Beispiel in den berufs
befähigenden Lehrgängen, mit diesem Personenkreis in
hervorragender Weise fertigwerden.
(Abg. Ulzen: Aber wie viele sind denn das?)
Insofern verstehe ich die vorsichtige Kritik des VLO nicht
ganz. Ich gehe davon aus, Herr Abgeordneter Ulzen, daß
hier auch Mißverständnisse und Unkenntnis vorliegen, und
ich werde dem VLO wie auch allen anderen Verbänden und
Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite,
selbstverständlich mit Informationen zur Verfügung ste
hen. Das ist gar keine Frage.
(Abg. Ulzen: Das kann ich mir denken!)
Meine Damen und Herren! Ich möchte
Stellv. Präsident Baetge: Herr Senator, erlauben Sie noch
eine Zwischenfrage, des Abgeordneten Peilcke ?
Basch, Senator für Schulwesen: Selbstverständlich!
Stellv. Präsident Baetge: Bitte, Herr Feilcke, Sie haben
das Wort.
Feilcke (CDU): Herr Senator! In Kenntnis der Tatsache,
daß es Lehrer gibt, die Praxiserfahrung haben, insbeson
dere auch mit den vollzeitschulischen Lehrgängen an den
allgemeinen Berufsschulen, darf ich Sie fragen: Um wie
viele Lehrer, glauben Sie, handelt es sich denn wohl in
Berlin, wenn wir entsprechend einer Antwort auf eine
Kleine Anfrage, die zu den Abgängern nach neun Schul
jahren gestellt worden ist, erfahren, daß es mehr als 1 500
allein in diesem Jahr gewesen sind, die nach der siebten,
achten oder neunten Klasse ohne Abschluß abgegangen
sind? Glauben Sie, daß der Bestand an Lehrern ausreicht,
eben diesen Personenkreis berufsorientiert weiterzubilden?
Basch, Senator für Schulwesen: Herr Abgeordneter, ich
bin der Ansicht, das ist möglich, und beantworte Ihre
Frage mit einem klaren Ja. Der Berufsschullehrer ist quali
fiziert, in berufsbefähigenden Lehrgängen genau das zu
leisten, was wir von ihm erwarten. Seine Ausbildung hat
ihn nämlich darauf vorbereitet. Die Frage der gesamten
Zahlen werden wir genauer stellen können, Herr Abgeord
neter Feilcke, wenn wir die Übergänge kennen. Ich habe
Ihnen hier schon einmal in meinem ersten Beitrag gesagt,
daß wir heute nicht mit Sicherheit sagen können, wenn
wir Wahlfreiheit für die „Abbrecher“ geben, ob sie nun
noch zwei Jahre oder ein Jahr in der Hauptschule bleiben
wollen oder ob sie in den Lehrgang im zehnten Schuljahr
gehen wollen. Das ist ja gerade das Ergebnis der Wahl
freiheit, und deshalb müssen wir abwarten, wie sich das
entwickelt. Auf einige Problembereiche habe ich ja in
meinen Ausführungen schon hingewiesen.
Zuletzt möchte ich noch die Frage der Motivation an
sprechen. Ich habe darauf hingewiesen, daß immerhin 96 %
der Übergänger in die neunte Klasse die zehn Schuljahre
durchlaufen wollen. Hier liegt also eine hohe Lernmotiva
tion vor. Ich finde es abenteuerlich, ständig zu behaupten,
daß dann, wenn man die Schüler zu zehn Klassen ver
pflichtet, die vorhandene Lemmotivation auf einmal weg
wäre. Es ist einfach nicht vorstellbar, daß auf einmal die
Lemmotivation, die vorhanden war, aufhört. Sie sollten
sich lieber einmal sachlich die Frage stellen, warum die
Schüler in der Zwischenzeit abgehen.
(Abg. Ulzen: Ja, warum?)
Ich beziehe das nur auf den Schülerkreis, der in der allge
meinbildenden Hauptschule bleibt, und nicht auf den Schü
lerkreis, den wir gerade besonders durch das zehnte Voll
zeitschuljahr erfassen. Ich aber kann gute Gründe nennen,
die nichts mit mangelnder Lemmotivation zu tun haben.
(Abg. Ulzen: Weil die Zusammensetzung der Klassen
anders geworden ist!)
Ich kann sagen, wo diejenigen bleiben, die noch in der
achten und neunten Klasse eine Motivation hatten; Sie
suchen sich einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz. Von dem
versprechen sie sich nämlich angesichts der Arbeitsmarkt
lage mehr als von einem längeren Schulbesuch. Diese
Gründe sind wahrscheinlich naheliegender als die von Ihnen
dargestellten für das Schwinden der Motivation. Es wird
u. a. Aufgabe der Pädagogen sein, die Schüler auch in der
zehnten Klasse der Hauptschule weiterhin und verstärkt
zu motivieren.
Ich darf abschließend noch darauf hinweisen: Denken Sie
an die Bildungsziele, die Bildungsinhalte, die Strukturvor
stellungen, die auch Sie gemeinsam mit unterzeichnet ha
ben. Sie sollten das einmal gelegentlich nachlesen.
(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)
Stellv. Präsident Baetge: Meine Damen und Herren!
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit hat
die Große Anfrage ihre Erledigung gefunden.
Ich rufe auf
lfd. Nr. 7, Drucksache 7/1063:
Große Anfrage der Fraktionen der F.D.P. und der
SPD über Arbeitsmarktprobleme in Berlin
Wir fragen den Senat:
1. Wie hat sich die Lage auf dem Berliner Arbeits
markt seit der Beantwortung der Großen An
frage am 14. Oktober 1976 entwickelt?
2. Welche Personengruppen und welche Berufs
gruppen sind nach dem Ergebnis der Struktur
analysen der Bundesanstalt für Arbeit von der
Arbeitslosigkeit besonders betroffen, und welche
Maßnahmen trifft der Senat für diese Problem
gruppen ?
3. Welche Besonderheiten weist die Berliner Ar
beitsmarktsituation gegenüber dem Bundes
durchschnitt auf?
4. In welchem Maße werden die sogenannten Ein
gliederungsbeihilfen nach § 54 AFG für arbeits
lose ältere Arbeitnehmer von den Arbeitgebern
in Anspruch genommen ?
5. Welche Umschulungsmöglichkeiten bestehen in
Berlin, welche weiteren Maßnahmen sind geplant,
und in welchem Umfang werden sie von den
Arbeitnehmern wahrgenommen?
6. Ist der Senat der Auffassung, daß die Bereit
schaft der Wirtschaft, noch mehr zur Erhaltung
und Schaffung von Arbeitsplätzen in Berlin bei
zutragen, gefördert werden kann ?
7. In welcher Weise beteiligt sich der Senat an
Überlegungen zu längerfristigen Lösungen der
Arbeitsmarktprobleme ?
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