Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
40. Sitzung vom 11. November 1976
1649
Und Sie wissen genau so gut, Herr Rösler, aus der Sitzung
des Justizausschusses — wir haben uns ja lange darüber
unterhalten —, daß die Hereinnahme der Entscheidung in
das Haus — und zwar nicht nur dieser beiden Fälle, sondern
aller künftigen nicht nur zustimmenden, sondern auch ab
lehnenden Fälle — im Einvernehmen mit dem Herrn
Kammergerichtspräsidenten erfolgt ist.
Ich bedaure zweitens, daß die Opposition die Entschei
dung bezüglich dieser beiden Ausbildungsverhältnisse
politisiert. Meiner Meinung nach handelt es sich hier um
eine rechtliche Entscheidung, die nicht dazu mißbraucht
werden darf, sich in irgendeiner Form in Szene setzen zu
wollen. Es geht hier schlicht — jedenfalls für mich — um
die Befolgung des Beschlusses des Bundesverfassungs
gerichts vom Mai 1975, und es geht zweitens um die Pro
gnose des Wohlverhaltens dieser beiden Bewerber, um
gar nichts sonst.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht daß ich
meinte, daß Sie nicht alle den Beschluß des Bundesver
fassungsgerichts vom Mai 1975 kannten und auch voll
ständig präsent hätten, aber ich möchte mir doch erlauben,
einige Passagen, die für meine Entscheidung wichtig waren,
hier noch einmal zu Ihrer Erinnerung vorzulesen. Ich darf
zunächst mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten das Bundes
verfassungsgericht auf Seite 48 seines Beschlusses zitieren.
Dort wird ausgeführt:
Dieser Vorbereitungsdienst muß nicht so organisiert
sein, daß der Referendar im Bamtenverhältnis steht.
Er kann auch so geregelt werden, daß er innerhalb
eines privatrechtlichen Angestelltenverhältnisses oder
in einem besonderen öffentlich-rechtlichen Verhältnis,
das nicht ein Beamtenverhältnis ist, abgeleistet wird.
Es ist Sache des Gesetzes oder der staatlichen Organi
sationsgewalt, welche Form gewählt wird oder welche
Formen nebeneinander zugelassen werden.
Ich zitiere leider etwas länger
(Abg. Schmitz: Lesen Sie mal weiter!)
— aber Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts wer
den Sie ja niemals langweilen, Herr Abgeordneter
Schmitz —, von Seite 49/50,
(Abg. Schmitz: Lesen Sie mal weiter, Herr Senator!)
mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten:
Der juristische Vorbereitungsdienst ist nicht nur für
Anwärter auf den Staatsdienst im Beamtenverhältnis
eingerichtet; seine Ableistung wird auch gesetzlich
gefordert für bestimmte Berufe außerhalb des Staats
dienstes (z. B. Rechtsanwalt oder Notar, die die „Be
fähigung zum Richteramt“ besitzen müssen), oder
gehört wenigstens in den Augen der Gesellschaft und
der freien Wirtschaft für gewisse Berufe zu einer
„abgeschlossenen Berufsausbildung“ (Leiter der
Rechtsabteilung eines Privatuntemehmens,, juristi
scher Mitarbeiter in einem privatwirtschaftlichen Ver
band oder einer sonstigen nichtstaatlichen Organisa
tion).
In einem solchen Fall kann man weder von Ver
fassung wegen verlangen, daß der Staat um der
Bewerber für einen freien Beruf willen allgemein
von der Berufung der im Vorbereitungsdienst Stehen
den in das Beamtenverhältnis absehen muß; noch läßt
sich vertreten, daß der Staat, weil er generalisieren
darf und der Vorbereitungsdienst überwiegend dem
Nachwuchs für den Staatsdienst im Beamtenverhältnis
dient, für alle, auch für die, für die ein juristischer
Beruf außerhalb des Staatsdienstes in Betracht kommt,
die Übernahme in das Beamtenverhältnis für die Dauer
des Vorbereitungsdienstes vorschreiben darf. Das
Letztere steht im Widerspruch zu Artikel 12 GG.
Für eine berufliche Tätigkeit in der freien Wirtschaft
gibt es, was die politischen Aktivitäten anlangt, nur die
Schranken der allgemeinen Strafgesetze und die An
drohung der Verwirkung von Grundrechten gemäß
Artikel 18 GG; im übrigen gilt das Grundrecht der
Berufsfreiheit. Sie wird eingeschränkt — und zwar im
entscheidenden Augenblick des Zugangs zum Beruf —,
wenn der Bewerber vom gesetzlich oder faktisch not
wendigen Vorbereitungsdienst ausgeschlossen wird,
weil dieser nur in einem Bcamtenverhäitnis abgeleistet
werden kann und ihm (dem Bewerber) die dafür er
forderliche Eignung (Gewähr der Verfassungstreue)
fehlt. Für diese Einschränkung lassen sich im Lichte
der Freiheitsgarantie des Artikels 12 GG durch
greifende plausible Gründe des Gemeinwohls nicht
geltend machen — vergleiche . . .
— und nunmehr ein Zitat.
Aus all dem folgt: Dem Staat steht es frei, einen
Vorbereitungsdienst, dessen erfolgreiche Absolvierung
Voraussetzung sowohl für den Staatsdienst im Beam
tenverhältnis als auch für einen freien Beruf ist,
allgemein so zu organisieren, daß er in einem zivil-
rechtlichen Anstellungsverhältnis oder in einem be
sonderen öffentlich-rechtlichen Verhältnis außerhalb
des Beamtenverhältnisses („Praktikantenverhältnis“,
wie es bereits teilweise für die einstufige Juristcnaus-
bildung vorgesehen ist) abzuleisten ist.
Und nun, um Ihre Geduld nicht zu ermügen, ein letztes,
aber ganz kurzes Zitat:
Wie immer der Vorbereitungsdienst für Anwärter auf
einen Beruf außerhalb des Staatsdienstes ausgestaltet
wird, in jedem Fall bleibt unberührt, daß der in den
Vorbereitungsdienst übernommene Referendar fristlos
aus diesem Vorbereitungsdienst entfernt werden kann,
wenn er sich verfassungsfeindlich betätigt.
Ich betone: betätigt!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ist die
Konsequenz aus diesen Rechtsausführungen des Bundes
verfassungsgerichts? Nun, die Konsequenz ist, daß es für
uns um die Frage gehen muß: Werden diese beiden Be
werber, Insbesondere Frau August, während ihrer Tätigkeit
hier in Berlin gegen die freiheitlich-demokratische Grund
ordnung und gegen unseren Staat aktiv kämpfen? Das ist
die Frage, die beurteilt werden muß. Werden diese beiden
die Ausbildungssituation hier in Berlin mißbrauchen?
Werden sie die Ausbildungsmöglichkeit hier in Berlin
nützen? Wer hier die Ansicht vertritt, daß Kommunisten,
Marxisten, Leninisten oder Maoisten keine Ausbildungs
chance bezüglich eines juristischen Berufs haben dürfen,
der möge das doch einmal hier in aller Offenheit vertreten.
(Abg. Rösler: Sollen die denn nun alle
nach Berlin kommen?)
— Das also, Herr Rösler, ist zu beurteilen, und das müßten
auch Sie, wenn Sie an meiner Stelle stünden,
(Abg. Glagow: Um Gottes Willen! —
Beifall bei der F.D.P.)
was ich niemandem wünsche, auch dem Hohen Hause
nicht
(Abg. Luster: So schlimm ist es, da zu stehen?)
— Warten Sie doch ab, Sie werden gleich noch viel
interessierter zuhören, — Das künftige Verhalten dieser
beiden im Ausbiidungsverhältnis ist zu beurteilen und nicht,
ob das für uns bequem ist. Ich darf Ihnen versichern, daß
ich keine Freude daran habe. Und wenn es darum geht, in
die sogenannte Drecklinie zu gehen und für den freiheitlich
demokratischen Rechtsstaat einzustehen, wo auch immer
sich das hier in Berlin als notwendig erweist, das wissen
Sie, habe ich das bereits getan. Ich bin nicht von der
Couleur dieser Leute, und von einem Vergnügen kann bei
einer solchen Entscheidung überhaupt keine Rede sein. Nur
meine ich, müssen wir hier für den Rechtsstaat in die
Schranken treten, auch bei dieser Entscheidung über die
beiden Praktikantenverhältnisse. Wir müssen Auseinander
setzungen mit dem Kommunismus, Leninismus und dem
Maoismus führen, aber diese Auseinandersetzung muß
streng rechtsstaatlich geführt werden. Tun wir das nicht,
so arbeiten wir nur denen in die Hände, die diese Rechts
ordnung, die wir lieben, zerstören wollen.
(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)