Abgeordnetenhaus von Berlin — 7. Wahlperiode
88. Sitzung vom 21. Oktober 1976
1574
bewußte Anmaßung, wenn der DDR-Außenminister Fischer
in der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New
York erklärte, das Volk der DDR habe sich in freier
Selbstbestimmung für Immer für den Sozialismus und die
Zugehörigkeit zu den Staaten der sozialistischen Gemein
schaft entschieden. Von freier Selbstbestimmung kann
leider in der DDR und in Ostberlin nicht die Rede sein.
Am 20. Oktober 1946 fiel eine politische Grundsatzent
scheidung, die bis heute fortwirkt. Ohne die Absage der
Berliner an die SED, ohne ihr Bekenntnis zum freiheitlich
demokratischen Rechtsstaat und ohne die feste Haltung
der alliierten Schutzmächte, die durch das politische Votum
der Berliner wesentlich bestärkt wurde, gäbe es für die
Bürger unseres Teiles der Stadt keine verfassungsmäßig
verankerten Grundrechte, keine Rede- und Meinungs
freiheit, keine freien Wahlen.
Wir haben deshalb Grund, jener Männer und Frauen ln
Dankbarkeit zu gedenken, die damals das demokratische
Berlin repräsentierten. Ich möchte hier insbesondere
Louise Schroeder, Emst Reuter, Walther Schreiber und
Otto Suhr nennen. Am 25. Jahrestage des 20. Oktober 1946
wurden Ferdinand Friedensburg, Franz Neumann und Hans
Reif, die sich ebenfalls in der Zeit des Kampfes um die
Freiheit Berlins bleibende Verdienste erworben haben, zu
Ehrenbürgern der Stadt ernannt. Auch ihnen gilt unser
Dank ebenso wie den Berliner Bürgern, die damals mit dem
Stimmzettel über die Zukunft Berlins entschieden haben.
Als die Entscheidung der Berliner für Freiheit und
Demokratie fiel, gab es noch keine Bundesrepublik Deutsch
land. Aber der Wille der Berliner, zum freien Teil
Deutschlands zu gehören, war bereits damals stark und
fest. Zwei Jahre später entsandte die Stadtverordneten
versammlung fünf Vertreter Berlins in den Parlamenta
rischen Rat nach Bonn, um an der Ausarbeitung des
Grundgesetzes mitzuwirken. So war Berlin — wenn auch
ohne Stimmrecht — bereits beim Entstehen der Bundes
republik beteiligt. Heute fühlen wir uns — bestärkt durch
das Viermächte-Abkommen — mehr denn je mit der
Bundesrepublik Deutschland verbunden.
Bei allen politischen Gegensätzen ist eine politische
Grundlinie erkennbar, die von 1946 bis 1976 unverändert
geblieben ist; das Bekenntnis zum freiheitlich-demokra
tischen Rechtsstaat, verankert im Grundgesetz der Bundes
republik Deutschland und in der Verfassung des Landes
Berlin.
Meine Damen und Herren! Wir kommen nunmehr zum
einzigen Tagesordnungspunkt unserer heutigen Sitzung;
Rundfahrt zur Besichtigung von Bauvorhaben
Für eine kurze Einführung erteile ich Herrn Senator
Ristock das Wort.
Ristock, Senator für Bau- und Wohnungswesen: Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
freue mich, daß wir — nach vier Jahren wieder — mit dem
gesamten Plenum auf die Reise gehen, um uns einen Teil
ausschnitt städtebaulicher Entwicklungen bei einer Rund
fahrt mit meinem Hause anzusehen. Die letzte Rundfahrt
fand am 28. September 1972 statt.
Es ist völlig klar, daß ich in dieser kurzen Einführung
keine Ausführungen zur Baupolitik machen will; das haben
wir ja miteinander umfänglich mehrere Male getan. Ich
darf deshalb in drei oder vier Minuten nur ein paar— lassen
Sie es mich so sagen — Meditationen über den Sinn der
Route vornehmen, die wir miteinander jetzt erleben
werden. Wir wollen uns die Veränderung im Stadtbild auf
dieser Route ansehen, die nur ein kleines Teilstück des
480 qkm großen Stadtgebietes erfaßt.
Wir werden in den Norden und dann nach dem Westen
fahren, um uns hier Aufgaben anzusehen, die wir bereits
bewältigt haben oder die noch vor uns liegen. Wir fahren
am Anfang über eine Autobahn, die die höchstbelastete in
der Bundesrepublik Deutschland ist; das ist im übrigen
auch ein Argument dafür, den Autobahn-Ring in einigen
Jahren zu schließen, um hier zu einer Entlastung zu kom
men. Wir passieren die Baustelle des internationalen
Kongreßzentrums; hier liegen wir — ich lasse das jedesmal
genau prüfen — auch heute, am 21. Oktober 1976, im Zeit-
und Kostenrahmen. Wir passieren U-Bahn-Baustellen in
Reinickendorf, Charlottenburg und Spandau, fahren durch
Dorfauen und Altstadtkeme und werden uns von Experten
der Schering AG den Ausbau ihres Werkbereichs in
Wedding erklären lassen — eines der bedeutendsten Bei
spiele für die Wirtschafts- und Forschungskraft in unserer
Stadt. Einige unter uns meinen — ich meine das nicht
böse, sondern nur liebevoll ironisch —, wegen des Zehs
hätten sie zu Petrus einen direkten Draht; ich habe tele
foniert, das Wetter ist gut, wir können das voll genießen,
und auch die Sonne wird ein bißchen später untergehen,
so daß wir noch etwas mehr von der Zitadelle sehen. Das
in die Richtung von Herrn Lummer gesagt.
Im Märkischen Viertel werden wir aussteigen. Dieses
Märkische Viertel ist konzipiert und bebaut als großer,
neuer Stadtteil. Es stand jahrelang in der Kritik nicht nur
von einzelnen Fachleuten, sondern von sehr vielen, aber
die Menschen dort haben sich eigentlich von Anfang an
— das wissen wir in der Zwischenzeit — wohlgefühlt, und
das Märkische Viertel — wir werden einen Ausschnitt
sehen — ist ein Stück echtes Berlin geworden, ein wichtiges
Teilstück unserer Stadt. Manche noch vorhandene Mängel
werden wir in den nächsten Jahren abstellen. Wir werden
auch sehen, daß das Grün in der Zwischenzeit aus der
Radieschen-Situation herausgewachsen ist und heute be
reits durchaus eine zusätzliche Komponente zeigt.
Lassen Sie mich noch sagen: Streiten wir uns nachher
nicht bei den Bussen; ich habe mir sagen lassen, seit
Schwedlers Urzeiten gab es immer Streit, in welchem Bus
wer fährt. Ich habe hier noch eine Bitte: Der Bauausschuß
und der Planungsausschuß möchten gern im ersten Bus
mitfahren. Wir haben für jeden genügend Platz. Wir wer
den zweieinhalb Stunden durch die Stadt fahren und einiges
sehen, was uns nachdenklich stimmt, und sicher auch eini
ges, was unsere gemeinsame Arbeit weiter befruchten wird.
Einige technische Details: Sie werden Verständnis haben
— und da bitte ich um Entschuldigung, daß wir das so ein
bißchen militärisch organisieren müssen, denn sonst wer
den wir das Programm nicht bewältigen können —, wenn
wir Sie bei allem Respekt vor den Mitgliedern dieses Hohen
Hauses ab und zu ein bißchen anstoßen und sagen:
Jetzt müssen wir weiter. Die Damen und Herren Abgeord
neten bitten wir, in den Bussen I bis IV Platz zu nehmen.
Im Märkischen Viertel wird uns der Reinickendorfer
Bezirksbürgermeister Griegers am Brunnen vor dem Ein
kaufszentrum begrüßen. Wir werden dann — und dieses
ist jetzt möglich, ich hatte auch eine Alternativrede für
das Regenwetter vorbereitet — einen Fußweg durch die
interessantesten Teile des Märkischen Viertels machen, den
wir zu einer Besichtigung des großen Saales im neuen
Fontane-Haus unterbrechen werden, weil das gerade der
Öffentlichkeit übergeben worden ist. Wir werden dann an
gleicher Stelle die Busse besteigen und nach Snandau
fahren, wobei ich die Bitte habe, sich wirklich an den Zeit
plan zu halten, da für das Märkische Viertel nur 30 Minu
ten zur Verfügung stehen.
Bei der Fahrt nach Spandau werden die Busse vor der
Zitadelle halten. Im Innenhof der Zitadelle wird uns der
Spandauer Bezirksbürgermeister, Herr Dr. Kleusberg,
begrüßen. Wir werden ein sehr kurzes, aber, meine ich,
notwendiges Referat des Landeskonservators hören. Wr
wollen dann zusammen in das Kommandantenhaus zu einer
Abschlußbesprechung gehen. Dort werden wir auch noch
ein paar kleine Festreden — jeweils wieder nur em paar
Minuten — hören. Es wird ein Rahmen sein, von dem ich
hoffe, daß er Ihnen gefallen wird. Ich freue mich darauf,
Sie jetzt herunterbitten zu dürfen.