Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
85. Sitzung vom 33. September 1976
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einem gewissen Umfang die Befürchtung, daß die unter
den Fragen 4 und 5 angesprochenen Pflegeeinrichtungen
bzw. die dort untergebrachten Mitbürger unter Umständen
Einrichtungen bzw. Patienten einer niedrigsten Klasse
werden könnten. Ich will dies nicht ausweiten, denn ich
glaube, die Vorstellungskraft jedes sozialpolitisch engagier
ten Menschen reicht aus, um sich auszudenken ) welche
negativ abgestuften Pflege- oder Bewahrungseinrichtungen
möglich sein können. Hier gilt es, sehr schnell Regelungen
zu finden. Entsprechende Absichtserklärungen zu diesem
Problemkreis könnten uns für den heutigen Tag in ge
wisser Weise zufriedenstellen; Rom ist ja auch nicht an
einem Tag gebaut. — Ich danke Ihnen, meine Damen und
Herren, für das Zuhören.
(Beifall bei der CDU)
Alterspräsident Dr. Biel; Herr Senator Pätzold, bitte!
Pätzold, Senator für Gesundheit und Umweltschutz:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich erspare es Ihnen und mir zunächst, zum Antrag der
Fraktion der CDU Stellung zu nehmen, und darf die Große
Anfrage der Fraktion der CDU wie folgt für den Senat
beantworten, dabei aber einzelne Hinweise zum Antrag der
CDU-Fraktion geben.
Zu Frage 1: Der Senat hat in seiner Sitzung am 15. Juni
1976 von den vom Senator für Gesundheit und Umwelt
schutz eingebrachten Vorschlägen zur Umstellung von
Krankenhäusern auf den Institutionstyp Krankenheim
Kenntnis genommen und beschlossen, das Abgeordneten
haus und auch den Rat der Bürgermeister von diesen Vor
schlägen zu unterrichten. Die entsprechende Vorlage, in
der die wesentlichen Einzelheiten für die Einrichtung von
Krankenheimen ausgeführt sind, wurde inzwischen dem
Abgeordnetenhaus zur Kenntnisnahme unterbreitet, und
der Entwurf dazu war wohl auch der anfragenden Frak
tion zum Zeitpunkt der Fragestellung bekannt.
Meine Damen und Herren, aus Gründen der knappen
Abhandlung darf ich bitten, auch die Mitteilung des Senats
zur Hand zu nehmen, und es wird sicher gut sein, die Ein
zelheiten dazu dann intensiv noch einmal im Gesundheits
ausschuß zu behandeln. Aber zusammenfassend darf ich
hier folgendes feststellen: Das Krankenheim soll für Patien
ten zur Verfügung stehen, die ihrer Krankheitsnatur ent
sprechend auch ohne den Aufwand des personell und
apparativ hochausgestatteten Krankenhauses gut behandelt
werden können. Ihrem Wesen nach werden die Kranken
heime für Aufenthalte von unbestimmter Dauer eingerich
tet sein, der medizinische Charakter tritt in den Hinter
grund, eine wohnliche Atmosphäre an seine Stelle, so daß
bei den Patienten viele Formen persönlicher Entfaltung er
halten bleiben. Eine solche Umgebung wird auch dem indi
viduellen Bedürfnis der Patienten weitaus besser Rechnung
tragen, als das in der notwendigerweise — ich sage einmal
— sterilen Atmosphäre eines Krankenhauses möglich ist.
Im Vordergrund steht die durch ärztliche Behandlungs
maßnahmen begleitete Pflege. Diese Pflege soll soweit wie
möglich eine aktivierende Pflege sein. Die Patienten sollen
unter fachlicher Anleitung das ihnen mögliche Maß an
Selbständigkeit erlangen oder zumindest bewahren. Dazu
gehören sowohl Krankengymnastik als auch Beschäfti
gungstherapie und heilpädagogische Maßnahmen bei jünge
ren Patienten. In Berlin soll noch in diesem Jahr damit be
gonnen werden, kleinere Krankenhäuser in Krankenheime
umzuwandeln, sofern die Träger dazu bereit sind und die
erforderlichen Voraussetzungen erfüllen. Dazu werden zur
Zeit von der Senatsverwaltung für Gesundheit und Um
weltschutz Ausstattungsrichtlinien erarbeitet, in denen
Grundsätze für die Personalausstattung und die an die
Räume zu stellenden Anforderungen enthalten sind. Mit
ihrer Veröffentlichung kann noch in diesem Jahr gerechnet
werden. Bis zu diesem Zeitpunkt kann eine Inbetriebnahme
eines Krankenheims nach Abstimmung zwischen dem
Träger und der Senatsverwaltung für Gesundheit und Um
weltschutz als aufsichtsführender Behörde erfolgen.
Aufgrund der vorgesehenen Aufgabenstellung — zum
Beispiel Krankenheim für körperlich behinderte Patienten,
Krankenheim für psychisch Kranke, Krankenheim für
Diabetiker — wird für jedes Haus geprüft und festgesetzt
werden, welche Bedingungen im Interesse der Patienten
erfüllt werden müssen. Es wird erwartet, daß die Träger
sich berechtigten Forderungen nicht verschließen, wenn sie
einen kostendeckenden Pflegesatz erhalten, der auch Inve
stitionsanteile mit einschließt. Die Pflegeentgelte für
Krankenheime werden von der Senatsverwaltung für Ge
sundheit und Umweltschutz nach einer der Bundespflege
satzverordnung angeglichenen sogenannten Heimpflegeent
geltvereinbarung geregelt werden. Der Entwurf dieser Ver
einbarung wird zur Zeit mit den Beteiligten beraten. Mit
dem Inkrafttreten kann ebenfalls noch im Laufe dieses Jah
res gerechnet werden.
Die bisher mit Krankenhausträgern geführten Verhand
lungen lassen erkennen, daß durchaus Interesse an dem
neuen Institutionstyp besteht. Ein Krankenheim mit 118
Plätzen für Behinderte wurde bereits im Bezirk Spandau
konzessioniert; für neun weitere Einrichtungen mit 670
Plätzen liegen Anträge vor, die zur Zeit geprüft werden.
Weiterhin kommt insbesondere ein Teil der 37 Kranken
häuser in Betracht, die nach dem 1972 in Kraft getretenen
Krankenhausfinanzierungsgesetz des Bundes nicht in den
Krankenhausbedarfsplan einbezogen werden und deshalb
nicht aus öffentlichen Mitteln gefördert werden können. Die
Eignung für eine Umstellung muß jeweils unter Berück
sichtigung der genannten Ausstattungsrichtlinien im Ein
zelfall geprüft werden. Sofern die räumlichen und personel
len Bedingungen erfüllt werden können, werden Mittel nach
§ 8 Abs. 2 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes zur Er
leichterung der Umstellung auf den Betrieb eines Kranken
heims gewährt werden können.
Zu Frage 2: Im Krankenhausbedarfsplan für das Land
Berlin vom 18. Dezember 1973 ist angemerkt, daß die Zahl
der Plätze in Krankenheimen auf rund 1 500 geschätzt wird.
Grundlage war eine Stichtagerhebung, die in Krankenhäu
sern und Abteilungen für Chronischkranke durchgeführt
worden ist und rund 6 000 Patienten erfaßte; 20% der
Patienten wurden dabei als solche bezeichnet, die nicht
einer Versorgung im Krankenhaus bedürfen. Bezogen auf
rund 8 000 Betten für Chronischkranke bedeutet das min
destens 1 500 Plätze im Krankenheim. In dieser Zahl nicht
enthalten sind rund 600 Plätze in bisher als Großfamilien
pflegestellen betriebenen Einrichtungen für psychisch Chro
nischkranke. Da jedoch ein Teil der aufgrund der Stichtag
erhebung errechneten Krankenheimpatienten auch psy
chisch gestörte Menschen umfaßt, wird die Gesamtzahl
der Krankenheimplätze nach jetzigem Stand auf etwa 1 800
geschätzt. Ob ein so dimensioniertes Angebot in der Zu
kunft ausreicht, wird die sorgfältige Beobachtung der Be
darfssituation ergeben. Die endgültig erforderliche Platz
zahl wird auch davon abhängen, wie die Bevölkerung den
neuen Institutionstyp Krankenheim annimmt und welche
Bettenzahl künftig in Krankenhäusern vorgehalten wird.
Von daher stellt sich für mich die Frage, ob entsprechend
dem Antrag der CDU-Fraktion in der Tat eine Bedarfs
planung für Krankenheime in einem formellen Sinn zweck
mäßig ist; denn die Krankenhausbedarfsplanung ist eine
formalisierte Planung mit zwangsläufigen Folgen — öffent
liche Förderung oder Nichtförderung — und hat von daher
formell mindestens auch mittelbaren Einfluß auf die Aus
steuerung des gesamten Bettenangebots im Krankenhaus
bereich. Hier könnte es ohnehin nur um eine möglichst
präzise Vorausschätzung dessen gehen, was wohl künftig an
Plätzen in Krankenheimen benötigt werden könnte. Und
ich kann nicht ausschließen, daß wir nach intensiver Bera
tung im Gesundheitsausschuß gemeinsam zu dem Ergebnis
kommen, daß hier vielleicht weniger eine formelle Bedarfs
planung und vielleicht, wie bisher, eine möglichst präzise
Schätzung dann im Krankenhausbedarfsplan — aber mit
mehr nachrichtlichem Zuschnitt — die zweckmäßigere Lö
sung sein könnte.
Zu Frage 3; In Berlin werden, wie bereits ausgeführt,
zur Zeit von freigemeinnützigen und privaten Trägern neun
sogenannte Großfamilienpflegestellen mit rund 600 Plätzen
betrieben, die auf der Grundlage eines Vertrags mit einem
psychiatrischen Krankenhaus Zusammenarbeiten.