Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
84. Sitzung vom 9. September 1976
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Hucklenbroich (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Betreuung von Haftentlassenen ist eine
Frage praktischer Arbeit mit Menschen in einer schwie
rigen Situation. Deshalb muß der, der zu diesen Dingen
mehr beisteuern will als Agitation, sich mit jenen unter
halten, die diese Aufgaben in ihrer täglichen Arbeit zu
bewältigen haben, und das sind die Mitarbeiter in den
Bezirken. Dort wird die entscheidende Arbeit geleistet.
Und da Sie ln den Bezirken vertreten sind, haben Sie die
Möglichkeit, sich die Sorgen der Betroffenen und
die Ansichten der Betreuer anzuhören, Herr Kollege
Rzepka, Sie machen es zu einfach, wenn Sie sagen, „die
ser" Senator und „dieser“ Senat habe keine Konzeption. —
Und von Ihnen kommt nichts, da kommt der große Wurf
nicht, da kommt das übergeordnete Konzept nicht. Ent
weder haben Sie das Thema erst jetzt entdeckt, oder Sie
reden hier Blabla, wo doch auf den Menschen abgestellt
und immer im Einzelfall entschieden werden muß und wo
allenfalls auf der Senatsebene koordiniert werden kann,
wenn Grundsatzprobleme anstehen.
(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)
Und wenn hier aus den Zwischenfragen erkennbar wird,
daß Ihnen auch die Verfassung gleichgültig ist, wenn man
Ihnen sagt, kümmert Euch mal darum, wo das erörtert
werden kann — Wir haben doch Bezirksverordnetenver
sammlungen, wir haben dort Kollegen, die ernsthafte
Arbeit leisten und sich um die Dinge bemühen. Aber das
wird ja überhaupt nicht berücksichtigt, auch Ihre eigenen
Leute würdigen Sie hier nicht. —, dann fragt man sich
doch — und das ist hier durch Senator Korber gesche
hen —, ob dieser Personenkreis nun wirklich das geeignete
Menschenmaterial darstellt, um Polemik gegen den Senat
zu betreiben.
(Beifall bei der SPD)
Der Kollege Rzepka hat vorhin erklärt, er habe den
Senator heute in der Sitzung nicht gesehen. Herr Kollege
Rzepka, das mag sein, dann waren Sie draußen, ich weiß
bloß nicht, ob im Wandelgang oder in der Kantine. Der
Herr Baumann hat bis fünf vor acht hier gesessen und
hatte nicht den Vorzug, Sie ins Visier zu bekommen. So
lange war der Senator hier im Hause. Es steht Ihnen
schlecht an, hier hereinzuschneien bei dem Punkt, der Sie
betrifft, und dann zu einem anderen zu sagen: Es ist ja
unerhört, daß Du mir jetzt nicht zuhörst. — Ich darf Ihnen
sagen, um acht ist der Senator — nach Rücksprache mit
Fraktionskollegen — zu einem anderen Termin gegangen.
Der ist jetzt nicht in privaten Aktivitäten unterwegs.
(Zuruf des Abg. Landowsky)
— Ja, Herr Kollege Landowsky, jetzt kommt das, was ich
Ihnen hier ganz hart sagen will. Weil wir es alle — Sie
vielleicht ausgenommen — für Unfug halten und auch für
eine Selbstbenachteiligung des Parlaments, daß wir so
wichtige Sachen kurz vor Mitternacht erörtern. Wir
haben alle einen Arbeitstag hinter uns.
(Zuruf von Frau Abg. Greiff)
— Frau Kollegin Greiff, wir fangen früh um acht oder
neun an. Sie machen dann vielleicht Ihren Haushalt.
(Frau Abg. Greiff: Sie irren!)
Wir sitzen hier ab 13 Uhr. Sie haben uns vor den Parla
mentsferien eine Sitzung nach der anderen bis in die spä
ten Abendstunden beschert. Der Herr Rzepka hat kürzlich
einmal zu Haftproblemen gesprochen. Kein Aas konnte
mehr zuhören, weil die Kapazität weg war.
(Beifall bei der SPD)
Und wenn Sie mir erzählen, daß Sie im Anschluß an einen
Arbeitstag von eins bis acht hier noch in voller Frische
trotz ständiger Anwesenheit im Plenum mittun können,
dann kann ich nur sagen: Donnerwetter, was habt Ihr
von der Opposition für einen wachen und strapazierfähigen
Sinn.
Präsident Lorenz: Gestatten Sie eine Zwischenfrage,
Herr Abgeordneter ?
Hucklenbroich (F.D.P.): Bitte schön!
Präsident Lorenz: Herr Abgeordneter Landowsky, bitte
schön!
Landowsky (CDU): Herr Kollege Hucklenbroich, ist
Ihnen denn entgangen, daß von den zehn Großen Anfragen,
die heute auf der Tagesordnung gewesen sind, acht von
der Regierungskoalition stammen — und die vorliegende
Anfrage auch —; und warum beschweren Sie sich dann,
wenn wir um neun Uhr noch über Ihre Große Anfrage
diskutieren ?
Hucklenbroich (F.D.P); Das will ich Ihnen sagen: Es
passiert nicht mehr, daß wir unsere Anfragen zurückstel
len — die sind alle aus der Zeit vor den Ferien, auch die
Numerus-clausus-Anfrage —, weil Sie vor den Ferien in
penetrantester Form mit Aktuellen Stunden und mit
Großen Anfragen uns hier unter Druck gesetzt und miß
handelt haben.
(Beifall bei der F.D.P und der SPD)
Sie haben doch keine Gelegenheit vorübergehen lassen, um
ein außenpolitisches Thema zum Auftritt Ihres Fraktions
vorsitzenden und Ihrer Stars auszunutzen; eine Rücksichts
losigkeit auch gegen Ihre Kollegen, die sich in Arbeits
kreisen und Fachausschüssen um Anträge bemühen. Ist
Ihnen aufgefallen, daß wir auch heute wieder nicht zu
den Anträgen kommen, daß das, was für wichtige Men
schengruppen in Monaten erarbeitet wird, hier vom Tisch
muß, weil Sie irgendwann auch mal essen wollen? Wir
wissen doch alle, daß wir die Anträge nachher ganz kurz
wegwischen werden, daß die ganze Arbeit, die Vorberei
tung auf die Debatte umsonst war, weil Sie hier seit
Monaten Mitternachtstänze veranstalten.
(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)
Und dann gehen Sie hin und beschimpfen den Senator.
Präsident Lorenz: Meine Damen und Herren! Ich darf
darauf hinweisen, daß etwa 75 % der Ausführungen des
verehrten Kollegen Hucklenbroich nicht zur Sache waren.
Ich will nichts dazu sagen, aber ich weise darauf hin.
(Beifall bei der CDU — Abg. Hauff: Unerhört! —
Starke Unruhe bei der SPD und der F.D.P.)
Ich habe ihn ja nicht „zur Sache“ gerufen; aber immerhin
möchte ich darauf hinweisen und bitten, daß die nachfol
genden Redner dann auch in der Tat zur Sache sprechen.
(Starke Unruhe bei der SPD und der F.D.P.)
Meine Damen und Herren! Da wieder ein Senator ge
sprochen hat, hat die Fraktion der CDU erneut zehn Minu
ten Redezeit. Als nächster hat sich Herr Abgeordneter
Luster gemeldet.
Luster (CDU); Herr Präsident! Meine Damen und
Herren!
(Abg. Rheinländer; Aber jetzt zur Sache, Herr Luster!)
Es fällt mir natürlich schwer, dem Kollegen Hucklenbroich
zu antworten und gleichzeitig nicht das Thema zu behan
deln, das er behandelt hat. Aber ich glaube, es ist zur
Sache gesprochen, wenn ich dazu spreche, daß vorhin hier
ein Antrag in diesem Sachzusammenhang von der CDU-
Fraktion gestellt wurde, der abgelehnt worden ist,
(Abg. Hauff: Zu Recht!)