Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
34. Sitzung vom 9. September 1970
1388
Für die Berufsfindung ist eine vorhergehende Berufs
orientierung von erheblicher Bedeutung. Gemäß § 31 des
Arbeitsförderungsgesetzes hat die Bundesanstalt für Arbeit
Berufsaufklärung zu betreiben. Sie tut dies vor allem durch
enge, vom Präsidenten des Landesarbeitsamtes Berlin als
besonders gut und wirksam bezelchnete Zusammenarbeit
mit der Schulverwaltung. Im Rahmen dieser Zusammen
arbeit werden die Schüler aller vorletzten Klassen an all
gemeinbildenden Schulen von Fachkräften der Berufsbera
tung über die Berufe, deren Anforderung und Aussichten,
über Wege und Förderung der beruflichen Bildung sowie
über beruflich bedeutsame Entwicklungen in den Betrieben,
der Verwaltung und auf dem Arbeitsmarkt umfassend
unterrichtet. Diese Unterrichtung erfolgt gemeinsam für
deutsche und ausländische Jugendliche. Eine ungleiche Be
handlung bei dieser Hilfe zur Berufsfindung ist somit aus
geschlossen.
Ich komme nunmehr zu der von Ihnen — in der Begrün
dung wurde es noch einmal deutlich — als sehr entschei
dend angesehenen Frage der Arbeitserlaubnis für jugend
liche Ausländer. Sie fragen, welche Möglichkeiten der Senat
sieht, der Arbeitslosigkeit von jungen Ausländern, insbe
sondere durch Verhinderung der bestehenden diskriminie
renden Praxis der Erteilung von Arbeitserlaubnissen, ent
gegenzuwirken. Dieser Begriff „diskriminierende Praxis"
geht am Sachverhalt vorbei. Er erweckt nämlich den An
schein, als ob es darum gehe, eine falsche oder enge Praxis
im Rahmen des geltenden Rechts zu verändern. Dies ist
jedoch nicht der Fall. — Wie ist die Rechtslage? Zur Ar
beitsaufnahme und zum Eintritt in ein Berufsausbildungs
verhältnis unterliegen ausländische Jugendliche denselben
arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften wie erwachsene
Ausländer. In einem Punkt — ich komme noch darauf
zurück — sind sie bessergestellt. Nach § 19 Abs. 1 des
Arbeitsförderungsgesetzes bedürfen Arbeitnehmer, die
Nichtdeutsche im Sinne des Artikel 116 des Grundgesetzes
sind, zur Beschäftigung als Arbeitnehmer der Erlaubnis
der Bundesanstalt für Arbeit, soweit in zwischenstaatlichen
Vereinbarungen nichts anderes bestimmt ist. Diese Erlaub
nis wird von den Arbeitsämtern nach Lage und Entwick
lung des Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung der Ver
hältnisse des jeweiligen Einzelfalles erteilt. Durch Erlasse
der Bundesanstalt für Arbeit vom 13. November 1974 und
vom 24. November 1975 ist jedoch der Ermessensspielraum
der Arbeitsämter erheblich eingeengt worden. Nach diesen
Erlassen ist mit Rücksicht auf die gegenwärtige ungün
stige Beschäftigungssituation und die absehbare Entwick
lung auf dem Arbeitsmarkt entschieden worden, daß für
eine erstmalige Arbeitsaufnahme im Bundesgebiet grund
sätzlich keine Arbeitserlaubnis erteilt wird, weil dadurch
die Beschäftigungsmöglichkeiten für inländische Arbeit
nehmer beeinträchtigt werden würden. Dies gilt sowohl für
neu zur Arbeitsaufnahme Einreisende wie auch für Aus
länder, die sich bereits im Bundesgebiet aufhalten, bisher
jedoch noch keiner Beschäftigung nachgegangen sind. Für
ausländische Jugendliche, die vor dem 1. Dezember 1974
eingereist sind und die noch keinen Rechtsanspruch auf
eine Arbeitserlaubnis erworben haben, können die Arbeits
ämter jedoch nach den genannten Erlassen für eine erst
malige Beschäftigung unter Beachtung der folgenden Kri
terien eine Arbeitserlaubnis erteilen;
1. Dieser Personenkreis kann auch für eine erste Arbeits
aufnahme eine Arbeitserlaubnis nach Lage und Entwick
lung des Arbeitsmarkts erhalten. — Ich füge hinzu: In der
Praxis wird allerdings dennoch zur Zeit vielfach die Ar
beitserlaubnis nicht erteilt, weil meistens nämlich vorran
gig zu vermittelnde Arbeitnehmer aus den Mitgliedsländern
der Europäischen Gemeinschaft Arbeit suchen.
2. Für den Eintritt ln ein Berufsausbildungsverhältnis
erhalten ausländische Jugendliche grundsätzlich eine Ar
beitserlaubnis, gegebenenfalls im Rahmen einer Härterege
lung, sofern sich mindestens ein Eltemteil in der Bundes
republik Deutschland bzw. in Berlin befindet. Aufgrund der
Erfahrungen der Arbeitsämter ist aber in der Praxis eine
Vermittlung ausländischer Jugendlicher ln Ausbildungsver
hältnissen wegen erheblicher Bildungsdefizite nur schwer
möglich.
Einen Rechtsanspruch auf eine Arbeitserlaubnis unab
hängig von der Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes
haben ausländische Minderjährige, also bis zur Vollendung
des 18. Lebensjahres, wenn ein Elternteil in den letzten
fünf Jahren ununterbrochen eine unselbständige Tätigkeit
rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt
hat.
Ausländische Jugendliche, die erst nach dem 30. Novem
ber 1974 neu in die Bundesrepublik eingereist sind, können
gegenwärtig in aller Regel keine Arbeitserlaubnis erhalten
und somit auch keine Berufsausbildung beginnen.
Mit Rücksicht auf die vielfältigen Gefahren, die sich aus
einer Untätigkeit wegen genereller Versagung der Arbeits
erlaubnis für die seit dem 1. Dezember 1974 eingereisten
jugendlichen Ausländer ergeben, hat Berlin schon Ende
April dieses Jahres der Konferenz der Minister und Sena
toren für Arbeit und Soziales der Länder, die Ende Juni
1976 tagte, einen Beschluß Vorschlag unterbreitet, wonach
der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gebeten
wurde, auf einen Wegfall des genannten Stichtages hinzu
wirken. Diese Initiative Berlins fand grundsätzlich Unter
stützung der anderen Bundesländer und Zustimmung des
Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Es wurde
eine Bund-Länder-Kommission eingesetzt, die in den näch
sten Wochen im Zusammenhang mit der Regulierung des
weiteren Familiennachzuges eine Lösung für die Frage der
Erteilung von Arbeitserlaubnissen an ausländische Jugend
liche, die sich erst seit dem 1. Dezember 1974 oder danach
in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, erarbeiten
wird.
Lassen Sie mich mit wenigen Feststellungen schließen:
Hält man sich vor Augen, daß Berlin Innerhalb weniger
Jahre eine geradezu explosionsartige Ausbreitung der Aus
länderbevölkerung erfahren hat, daß zum Zeitpunkt dieses
gewaltigen Zuzugs die einheimische Bevölkerung in vieler
lei Hinsicht auch noch nicht so versorgt war, wie es wün
schenswert erschien, daß wir dennoch uns das ehrgeizige
Ziel eines umfassenden Angebots voller sozialer Eingliede
rung für unsere ausländischen Arbeitnehmer und ihre
Familien gesetzt haben und daß wir schließlich nur im
bundesgesetzlichen Rahmen handeln können, dann kann
man wohl zu der Erkenntnis gelangen, daß unsere Bemü
hungen erfolgreich waren. Der überwiegende Teil der aus
ländischen Arbeitnehmer hat sich gut in unserer Gesell
schaft eingelebt. Viele fühlen sich heute hier in Berlin zu
Hause. Unsere ausländischen Arbeitnehmer leisten einen
wichtigen und nicht wegzudenkenden Beitrag zu unserem
Berliner Wirtschaftsergebnis und damit zur Lebensfähig
keit dieser Stadt. Gleichzeitig kann gesagt werden, daß die
mit der Hereinnahme vieler Ausländer aufgetretenen Pro
bleme und gemachten Erfahrungen vom Senat und allen
jenen, die in der Eingliederungsarbeit stehen, verarbeitet
worden sind. Sie haben zu Maßnahmen und Steuerungs
instrumenten geführt, die uns in die Lage versetzen, auch
in Zukunft die anfallenden Probleme zu lösen.
(Beifall bei der SPD und F.D.P.)
Stellv. Präsident Sickert: Meine Damen und Herren! Ich
eröffne die gemeinsame Besprechung. Das Wort hat der
Abgeordnete Luster!
Luster (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Her
ren und — wenn ich so sagen darf — lieber Herr Senator
Korber! Sie sind ja ein, wie wir wissen — das ist keine
Beschimpfung —, dünnhäutiger Mensch, und ich muß des
halb mit dem, was ich sage — wenn ich auf Ihre Gesund
heit Rücksicht nehme —,
(Na, na, na! bei der SPD)
etwas zurückhaltend sein.
(Abg. Rheinländer: Das war schon nicht
zurückhaltend!)