Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
30. Sitzung vom 10. Juni 1976
1262
Die Investitionen für die Veränderung des Strafvollzugs
sind Investitionen für die Sicherheit in unserer Gesellschaft.
Das nüchterne Ziel müßte deshalb lauten, daß die Zeit, die
nach unserem Recht Rechtsbrecher unter Entziehung ihrer
Freiheit verbringen müssen, so verwendet wird, daß sie
möglichst nach ihrer Entlassung nicht mehr straffällig
werden, daß also die Rückfallquote erheblich herabgesetzt
wird.
(Abg. Rösler: Das ist ja das Schlimme!)
Und das ist ein zweites Grundproblem; und auch da, muß
ich sagen, macht es sich die CDU sehr einfach. Es ist rich
tig, daß es bisher keine ausreichenden Beweise dafür gibt,
daß Reformansätze Erfolg haben. Nur, was Sie dabei ver
schweigen; Es gibt überhaupt keine Erhebungen über Rück
fallquoten, es gibt überhaupt kein statistisches Material,
unter anderem, weil die CDU-Länder das kriminologische
Bundesinstitut nicht haben wollten. Das müssen Sie doch
zugeben!
(Abg. Rösler: Wir sind immer schuld!)
Aber es gibt überhaupt kein statistisches Material zu die
sem Bereich. Deswegen ist es eben auch sehr schwierig,
wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, es dürfe nur Re
formversuche geben, bei denen man beweisen kann, daß das
Ergebnis gut ist. Wenn man in dem Bereich diese wissen
schaftlichen Erhebungen noch nicht hat, kann man auch
keine Ergebnisse beweisen. Das kann doch nicht bedeuten,
daß man nicht versuchen muß, soweit man schon Erkennt
nisse hat und soweit man Anregungen hat, schon etwas zu
verbessern. Das nennen Sie dann „Experimentiererei“ und
wischen das so weg.
Wir sind der Meinung — und sind dankbar dafür, daß
der Senat das unterstrichen hat —, daß die Reformversu
che fortgesetzt werden müssen. Natürlich muß versucht
werden, sie auf eine wissenschaftliche Weise zu begleiten
und auf ihre Effektivität hin zu untersuchen. Dafür müs
sen aber erst Methoden gefunden werden, um Effektivität
überhaupt meßbar und überprüfbar zu machen. Daran fehlt
es noch. Auch dies muß geschehen. In jedem Fall
Stellv. Präsident Sickert: Gestatten Sie eine Zwischen
frage ?
Papenfuß (SPD): Ja, wenn ich den Satz zu Ende habe.
In jedem Fall ist es nach unserer Auffassung falsch, wenn
man die Probleme des Strafvollzugs im wesentlichen zu re
duzieren gedenkt auf die Frage der Unterbringung, wie es
hier geschehen ist.
Stellv. Präsident Sickert: Bitte schön!
Bzepka (CDU): Herr Kollege Papenfuß! Stimmen Sie
mit mir darin überein, daß — und darüber liegen ja Erhe
bungen vor — die Zahl der Vorstrafen doch ein Hinweis
und Indiz ist für Rückfallkriminalität, daß daraus Zahlen
ableitbar sind? Und entsprechende liegen uns ja vor, und
die weisen aus, daß das seit Jahrzehnten oder seit den letz
ten 20 Jahren unverändert ist, daß wir also die gleichen
Zahlen hinsichtlich der Vorstrafen haben. Sehen Sie darin
nicht ein Indiz dafür, daß unsere Behauptung stimmt, daß
die Rückfallkriminalität die gleiche geblieben ist?
Papenfuß (SPD): Herr Rzepka! Dies ist genauso ein un
taugliches Mittel, um Effizienz im Strafvollzug zu über
prüfen, wie es z. B. vorhin Ihr Beispiel war, mit dem Sie
auf Zahlen der Kriminalitätsentwicklung hingewiesen ha
ben. Sie haben gesagt: Strafbare Handlungen sind angefal
len im Umfang von ..., also müssen mehr Strafplätze sein.
— Das ist doch Unsinn! Sie wissen selbst, daß ein ganz
erheblicher Teil dieser Straftaten, die da statistisch erfaßt
werden, nicht mit Freiheitsstrafen geahndet werden, daß
also diese Gleichsetzung falsch ist. Genauso ist es hier,
wenn Sie die Vorstrafen als — Indiz ist es, zugegeben —
entscheidendes Kriterium für die Beurteilung zum Beispiel
des Strafvollzugs verwenden wollten. Dann müßten Sie, was
es zur Zeit noch nicht gibt, wissen, welche Teile der vorheri
gen Strafen in welchen Anstalten unter welchen Bedingun
gen verbracht worden sind. Und das gibt es nicht. Vielmehr
sind, wenn jetzt ein Häftling nach Tegel eingeliefert wird,
im Zweifelsfall nur die Haftakten vorhanden, die er im sel
ben Land hatte. Wenn er woanders vorher Haftstrafen ver
büßt hatte, weiß kein Mensch davon hier, und man kann
überhaupt nicht überprüfen, ob zum Beispiel bei Leuten,
die im Haus TV auf der einen Station waren oder die in
Haus IH E — wo es ja auch Reformansätze gegeben hat —
untergebracht waren, die Rückfallquote niedriger ist als in
anderen Bereichen, weil diese statistisch notwendigen Er
hebungen bisher nicht vorliegen. Deswegen ist es, meine ich,
auch ein falsches Argument, wenn man sagt: Das muß
erst mal wissenschaftlich nachgewiesen werden, sonst ist es
bloß Experimentiererei. — Die Tatsache, daß wir zur Zeit
noch nicht effektiv prüfen können, well wir kein Instru
ment haben, kann doch nicht im Kurzschluß dazu führen,
daß man jeden neuen Reformansatz unterbindet. Dieses
schien mir aus Ihren Worten herauszuklingen, und dies muß
ich zurückweisen.
Wir halten im Gegensatz zur CDU die Große Anfrage
als ausreichend, ausführlich und sachlich beantwortet.
Erlauben Sie mir nur noch einen Hinweis: Wir haben
jetzt schon mehrfach im Justizausschuß, im Strafvollzugs
unterausschuß eine Frage behandelt: Da geht es um die
Hähnchen. — Die Hähnchen habe ich spendiert. Die F.D.P.
wird mir nicht böse sein, wenn ich das sage. Ich bin der
Auffassung, daß Angriffe wie „Hotelvollzug“ oder „Experi
mentiererei“, „keine ausreichenden Rezepte" mehr Argu
mente sind, die ans Gefühl appellieren, als verantwortliche
Beiträge zur Veränderung des Strafvollzugs.
(Beifall bei der SPD — Abg. Rösler;
Wer hat von Experimenten gesprochen?)
Stellv. Präsident Sickert; Herr Abgeordneter Rzepka,
bitte!
Rzepka (CDU): Herr Kollege Papenfuß! Verstehe ich Sie
richtig, daß Sie den Herrn Justizsenator als unverantwort
lich bezeichnen wollen, weil er in einem Bericht über die
gegenwärtige Situation des Berliner Strafvollzugs darauf
hingewiesen hat, daß Reformmaßnahmen auf ihre Effekti
vität hin überprüft werden müssen, bevor sie fortgesetzt
oder neue Maßnahmen in Gang gesetzt werden?
Papenfuß (SPD): Da haben Sie mich völlig mißverstan
den.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
Wenn in einigen Reformversuchen beabsichtigt wird, Trai
ningsfelder zur Einübung von sozialem Verhalten zu schaf
fen, Möglichkeiten zur Deckung sozialer Defizite, wenn Bil
dungsangebote gemacht werden, um den Häftlingen die
Möglichkeit zu geben, nach ihrer Entlassung ein straffreies
Leben zu führen, dann sind es diese Versuche, die, auch
wenn mein die Rückfallquote nicht auf den Punkt jetzt
nachweisen kann, jede Unterstützung verdienen. — Ich
bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Schönen Dank!
(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)
Stellv. Präsident Sickert: Das Wort hat der Abgeordnete
Roloff.
Koloff (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Her
ren! Wer gehofft hatte, die Große Anfrage der CDU-Frak-
tion würde hier dazu führen, daß wir seitens der CDU Alter
nativen zum jetzigen Strafvollzug und zu seinen kritikwür
digen Punkten geliefert bekommen würden, der muß sich
bitter enttäuscht sehen.
(Abg. Luster:
Die halten Sie aber für notwendig ? )