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Volume Nr. 30, 10.06.76

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1976, 7. Wahlperiode, Band II, 20.-45. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode 
30. Sitzung vom 10. Juni 1976 
1257 
langem Atem und großem Engagement auf der Grundlage 
wissenschaftlich abgesicherter und in der Effizienz über 
prüfbarer Methoden weiterentwickelt werden. Eine Weiter 
entwicklung in diesem Sinne werden wir unterstützen, 
ebenso, wie wir wissen, daß die Bediensteten im Strafvoll 
zug dazu bereit sind. Sie leisten in einer schwierigen Situa 
tion ihr Bestes und verdienen unseren Dank dafür statt der 
vielen Angriffe, denen sie von bestimmter Seite ständig 
ausgesetzt sind. — Ich danke Ihnen! 
(Beifall bei der CDU) 
Stellv. Präsident Sickert: Das Wort zur Beantwortung — 
Herr Senator Oxfort! 
Oxfort, Bürgermeister und Senator für Justiz: Herr Prä 
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist 
keine ganz leichte Aufgabe, in der Beantwortung einer 
fünften Großen Anfrage an einem Tag ein so kompliziertes 
Gebiet wie den Berliner Strafvollzug zu behandeln. Ich 
kann Ihnen — um ein Wort eines Journalisten aufzuneh 
men — auch keine Bedarfszahlen für den Strafvollzug nen 
nen in dem Sinne, daß ich Ihnen sage, welcher Bedarf an 
Gefangenen besteht. Ich verspreche Ihnen dennoch, daß wir 
über ein großes Thema sprechen können, und ich muß Sie 
bitten, dabei ein wenig Geduld zu üben, denn es läßt sich 
mit wenigen Worten nicht darlegen, wonach hier gefragt 
worden ist. 
Das Thema „Strafvollzug“ rechtfertigt es, der konkreten 
Beantwortung der an den Senat gerichteten Fragen einige 
allgemeine Bemerkungen vorauszuschicken. Das ab 1. Ja 
nuar 1977 geltende Strafvollzugsgesetz hat in wesentlichen 
Teilen programmatischen Charakter. Der Gesetzgeber hat 
in der Erkenntnis, daß ln wesentlichen Bereichen des Straf 
vollzuges gesicherte wissenschaftliche Methoden und Er 
fahrungen noch nicht vorliegen, der Exekutive einen Spiel 
raum bei der Verwirklichung der gesetzlichen Aufträge 
eingeräumt. Als Beispiel kann § 2 des Strafvollzugsgesetzes 
genannt werden, in dem das Vollzugsziel festgelegt ist. Wie 
zu erreichen ist, den Gefangenen zu befähigen, künftig ln 
sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu füh 
ren, wird in der Praxis stets umstritten bleiben, weil es 
hierfür nicht nur eine denkbare richtige Lösung geben 
kann. Demgemäß hat der Gesetzgeber seine Aufgabe nicht 
darin gesehen, die Methoden der Behandlung vorzuschrei 
ben. Er sieht es vielmehr als Aufgabe der Wissenschaft und 
der Vollzugspraxis an, auf der Grundlage des Gesetzes und 
nach den ln ihm gestellten Aufgaben die überkommenen 
Methoden zu überprüfen und neue zu erproben. 
Das Gesetz staffelt aber auch eine Vielzahl von konkre 
ten Maßnahmen zeitlich bis in das Jahr 1986. Andere wich 
tige Vorschriften bedürfen für ihr Inkrafttreten noch eines 
besonderen Bundesgesetzes. Mit dem Strafvollzugsgesetz 
hat der Gesetzgeber also nicht nur einen bestehenden sozia 
len Zustand kodifiziert, er hat vielmehr über die gegebene 
Sach- und Rechtslage hinausgreifend eine notwendige ge 
sellschaftliche Veränderung programmiert. Dies ist gesche 
hen auch mit den Stimmen der Opposition im Deutschen 
Bundestag — und das trage ich mit aller Genugtuung hier 
vor. 
Daß diese Reform notwendig ist, meine Damen und Her 
ren, wird von niemandem bestritten, der sich auch nur 
oberflächlich mit der Problematik des Strafvollzugs be 
schäftigt hat. Daß deren Durchsetzung für alle Beteiligten 
und Betroffenen mit Schwierigkeiten verbunden ist und ein 
erhebliches Maß an Einsatzbereitschaft und kreativem Wil 
len erfordert, sollte aber auch von denen nicht verkannt 
werden, die zur Maxime ihres Handelns lediglich das 
Wort „Reform“ gemacht haben, und die inhaltliche Aus 
füllung und praktische Verwirklichung jeder Reform denen 
überlassen, die tagtäglich damit zu arbeiten haben. Die 
Veränderungen müssen nämlich in einem Bereich verwirk 
licht werden, der Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte lang 
e >n Stiefkind der Gesellschaft war. Sehen Sie sich unsere 
Gefängnisbauten in Berlin an, sie stammen zum weitaus 
größten Teil aus dem vorigen Jahrhundert. 
Ungewiß ist auch, welche Mittel bei der gegebenen Haus 
haltslage langfristig für Reformvorhaben zur Verfügung 
stehen und ob einzelne, bereits gesetzlich normierte Forde 
rungen auf Dauer Bestand haben werden. Beispielsweise 
mag hier angeführt werden, daß die Finanzminister die 
Mittel für die Errichtung der dringend benötigten krimino 
logischen Zentralstelle gestrichen haben und daß in allen 
Bundesländern die Diskussion neu entflammt ist, ob der 
Einweisung in eine sozial-therapeutische Anstalt aufgrund 
richterlichen Strafurteils, wie sie das Strafgesetzbuch ab 
1978 vorsieht, nicht eine verfehlte Konzeption zugrunde 
liegt. 
Aus dem Vorangeschickten ergibt sich, daß sich die not 
wendigen Veränderungen im Vollzug mit Anspruch auf 
Seriosität weder von heute auf morgen verwirklichen las 
sen noch in einem allumfassenden und verbindlichen Plan 
darzustellen sind. Der Senat ist sich bewußt, daß es einen 
konfliktfreien Strafvollzug auch in Zukunft ebensowenig 
geben wird wie eine konfliktfreie Gesellschaft und daß im 
mer nur ein Teil der Verurteilten resozialisierungsbedürftig, 
resozialisierungsfähig und resozialisierungswillig ist. Dort, 
wo Menschen, denen die Freiheit entzogen wurde, auf en 
gem Raum untergebracht sind, wird es immer wesentlich 
mehr und größere Spannungen und Auseinandersetzungen 
geben als außerhalb eines solchen besonderen Gewaltver 
hältnisses. Es gibt Straftäter, meine Damen und Herren, 
die aus einer persönlichen Ausnahmesituation heraus ein 
mal straffällig geworden sind und die auch ohne jeden Bei 
stand nie wieder straffällig werden würden. Und es gibt 
solche Täter, die trotz aller erdenklichen Bemühungen um 
ihre Resozialisierung stets wieder gegen die Strafgesetze 
verstoßen werden. Die Aufgabe eines modernen Strafvoll 
zugs wird es sein, dem Täter, der seiner Persönlichkeit nach 
zwischen diesen beiden Extremen zu suchen ist, die Chance 
zu geben, nach seiner Haftentlassung in sozialer Verant 
wortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Ziel des Voll 
zugs kann nur sein, die Rückfallquote zu senken; sie völlig 
beseitigen zu wollen, meine Damen und Herren, wäre Uto 
pie. 
Im Bewußtsein der hier nur knapp umrissenen Proble 
matik wird der Senat bestrebt sein, der vom Vollzugsgesetz 
aufgestellten Forderung nach Inhalt und Zeitablauf voll zu 
genügen. 
Nach diesen notwendigen allgemeinen Bemerkungen 
komme ich nunmehr zur Beantwortung der Fragen im ein 
zelnen. 
Zu Frage 1: In der Anlaufphase — so möchte ich den 
Zeitraum bis zum 1. Januar 1977 nennen, an dem Tag tritt 
das Strafvollzugsgesetz bekanntlich in Kraft — gilt es ein 
mal in Ausfüllung des Strafvollzugsgesetzes und in Ergän 
zung der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften 
eigene Verwaltungsvorschriften für das Land Berlin zu ent 
werfen und darüber hinaus auch über 1700 Vollzugsbedien 
stete mit dem Inhalt des Gesetzes und der Verwaltungsvor 
schriften vertraut zu machen. Für diesen Zeitraum gilt fol 
gende Planung: Bis zum 1. Juli 1976 sollen die Entwürfe 
für die ergänzenden Verwaltungsvorschriften erstellt wer 
den. Sie sollen sodann den Anstalten und den Personalver 
tretungen zur Beratung und Stellungnahme zugeleitet wer 
den, so daß sie nach einer abschließenden Überarbeitung 
und Harmonisierung in meinem Hause etwa Ende August 
fertiggestellt sein dürften. 
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß 
das Strafvollzugsgesetz erst seit März und die bundesein 
heitlichen Verwaltungsvorschriften erst seit Mitte Mai die 
ses Jahres im Worlaut vorliegen. Aus diesem Grunde konnte 
mit der Erarbeitung der ergänzenden Berliner Verwaltungs 
vorschriften nicht früher begonnen werden. 
Die Information der Vollzugsbediensteten über die auf 
sie zukommenden Neuerungen soll in der ersten Julihälfte 
mit einer schriftlichen, etwa zweiseitigen Kurzinformation 
eingeleitet werden. Um eine möglichst gleichmäßige Inter 
pretation des kommenden Rechts zu gewährleisten, werden 
sich Ende August 1976 die Referenten der Vollzugsabtei 
lung der Senatsverwaltung für Justiz im Rahmen eines 
Seminars vorbereiten. Im Anschluß daran — bis etwa Mitte
	        
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