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Volume Nr. 29, 09.06.76

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1976, 7. Wahlperiode, Band II, 20.-45. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode 
29. Sitzung vom 9. Juni 1976 
1201 
eine Herausforderung an alle Bundesländer und Gemeinde 
behörden und eine Herausforderung an die politisch Ver 
antwortlichen aller Gebietskörperschaften. Mit einer ge 
meinsamen Anstrengung vielleicht über die Parteigrenzen 
hinweg könnten wir dazu beitragen, daß möglicherweise 
Berlin auf diesem Sektor Vorbildliches leisten wird. 
(Abg. Luster: Ein guter Gedanke!) 
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß die CDU-Frak- 
tion diesen Antrag gleich in den Innenausschuß überweisen 
möchte. Ich würde doch gern appellieren, ob es nicht viel 
leicht sinnvoll wäre, zunächst einmal die Verwaltung be 
richten zu lassen, um uns dann mit dem, was uns von dort 
geboten wird, 
(Abg. Luster: 
Ist ja keiner da von der Verwaltung!) 
auseinanderzusetzen. Selbstverständlich werden wir, wenn 
Sie es wünschen, wie es parlamentarisch Übung und Brauch 
ist, zustimmen. 
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. 
(Beifall bei der SPD) 
Stellv. Präsident Sickert: Ich eröffne die Beratung. Das 
Wort hat Frau Abgeordnete Saß. 
Frau Saß (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und 
Herren! Gestatten Sie mir, daß ich trotz der Einleitung, 
die der Kollege Gollnick hier gebracht hat, ein wenig Ver 
wunderung darüber äußere, daß ein solcher Antrag von der 
Fraktion kommt, die hier die Regierung stellt, und dieser 
Antrag obendrein noch offensichtlich dazu dienen soll, den 
Senat an Nr. 105 der Materialien zur Regierungserklärung 
zu erinnern. Ich könnte mir eigentlich vorstellen, daß Sie 
noch so viel miteinander reden, um das auch so tun zu 
können. 
(Beifall bei der CDU) 
Wie man allerdings sieht, findet der Senat offensichtlich, 
mit Ausnahme des Herrn Schulsenators, diesen Tagesord 
nungspunkt gar nicht so interessant, und da ist es vielleicht 
(Zuruf von der CDU) 
ganz richtig, daß er das, was gesagt worden ist, im Proto 
koll nachlesen kann. Daß der Herr Schulsenator da ist, läßt 
hoffen, daß wenigstens der Punkt 6 dann eine gewisse Be 
achtung findet, in dem man sich für Aus- und Fortbildung 
einsetzt. 
(Weitere Zurufe) 
Immerhin stellt die SPD in diesem Lande seit vielen Jah 
ren die Regierung — wir wollen uns nicht streiten, wie wir 
es im Wahlkampf so gern getan haben, wie viele es nun 
genau waren —, und wenn ich der Statistik glaube, dann 
hat sie auch den prozentual höchsten Anteil an Verwal 
tungsangehörigen in ihren Reihen. Da wäre es vielleicht 
eine ganz angenehme Seite von — na, ich will nicht unbe 
dingt sagen — Filzokratie, wenn man das, was man per 
Antrag verlangt, gleich an Ort und Stelle ln die Tat um 
setzt; das wäre doch ganz gewiß zu machen. 
(Beifall bei der CDU — Abg. Schmitz: 
Das ist ein Parteitagsthema für die SPD!) 
Ich habe immerhin herausgefunden, weswegen — viel 
leicht unter anderem — dieser Antrag gestellt wird, denn 
in der „Berliner Stimme" vom 5. Juni 1976 gibt es einen 
Aufsatz zu diesem Thema, und da heißt es, daß der Bürger 
an den Erfahrungen mit den Beamten auch die Leistungen 
der Regierenden und der sie tragenden Parteien mißt. Auch 
aus diesem Grunde sollte das Bemühen um mehr Bürger 
freundlichkeit ein Anliegen aller Mitglieder und Gliederun 
gen der Berliner SPD sein. 
Nun wissen wir es also. Es handelt sich um einen Antrag 
mit ein wenig „Schaufenstereffekt“. — Nun gut, nichts ge 
gen Schaufenster, warum nicht, aber dann sollte man auch 
ein bißchen was hineinpacken. 
(Abg. Krüger: 
Es gibt sehr schöne Kleider!) 
Wenn man überlegt, sich mit dem Thema „Bürgerfreund 
liche Verwaltung" zu befassen, dann ist das eigentlich fast 
ein Schlag ins Gesicht jedes Bürgers. Denn vielleicht ist die 
Verwaltung von sich selbst schon so überzeugt, daß sie 
manchmal meint, sich den verwaltungsgerechten Bürger 
bilden zu müssen. Im Grunde genommen sollte es gar keine 
Frage sein, daß die Verwaltung für den Bürger da zu sein 
hat, denn einen anderen Daseinszweck der Verwaltung kann 
Ich mir überhaupt nicht vorstellen. 
(Beifall bei der CDU) 
Das mag aber vielleicht daran liegen, daß ich nicht in der 
Verwaltung tätig bin, sonst hätte ich da evtl, andere An 
sichten. 
Wenn man jetzt auf die einzelnen Punkte dieses Antrags 
eingeht, die sicherlich alle für sich sehr verdienstvoll sind, 
darf man nicht vergessen, daß es mannigfache Probleme 
gibt. Und sicher ist das auch ein Grund dafür, daß die SPD 
in den langen Jahren, in denen sie da etwas hätte tun kön 
nen, noch nicht weitergekommen ist, als diesen sicherlich 
sehr verdienstvollen Antrag heute zu stellen. Es werden ja 
auch schon erste Stimmen aus der Verwaltung laut — mir 
liegt ein Schreiben des Personalrats beim Bezirksamt Wed 
ding vor —, die meinen, daß man das alles wohl nicht werde 
verwirklichen können, weil es auf große Schwierigkeiten 
stoße. Allenfalls über den Punkt 2 — also die leichtver 
ständlichen Briefe — ließe sich noch reden; im übrigen 
wäre es aber wohl kaum zu realisieren. Ich weiß nicht, ob 
da irgendeine Partei in diesem Personalrat vorherrscht, das 
entzieht sich meiner Kenntnis, aber falls es die SPD ist, 
sollte man miteinander über dieses Thema diskutieren. 
(Abg. Schmitz: 
Mal einen Ausspracheabend!) 
Das Thema der leichtverständlichen Briefe und Formulare 
ist ja nun kein neues, das hat schon viele Leute beschäftigt, 
und das Amtsdeutsch gibt es auch schon seit Jahren. Mit 
Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich Ihnen ein 
mal ein Beispiel dafür bekanntgeben. Das heißt wie folgt: 
In unserer Stadtgemeinde ist eine hierorts wohnhafte, 
noch unbeschulte Minderjährige aktenkundig, welche 
durch ihre unübliche Kopfbekleidung gewohnheits 
rechtlich „Rotkäppchen“ genannt zu werden pflegt. 
Der Mutter besagter R. wurde seitens deren Mutter 
ein Schreiben zugestellt, in welchem dieselbe Mittei 
lung ihrer Krankheit und Pflegebedürftigkeit machte, 
worauf die Mutter der R. dieser die Auflage machte, 
der Großmutter eine Sendung von Nahrungs- und 
Genußmitteln zu Genesungszwecken zuzustellen. 
— Das ist nicht von mir, sondern von Thaddäus Troll. Und 
wenn Sie sich fragen, ob das, was ich hier habe, das Ma 
nuskript meiner Rede ist, dann darf ich Sie beruhigen, hier 
habe ich das in der Hand, was dieser Antrag fordert, näm 
lich Vorschläge für eine bürgerfreundliche und effektive 
Verwaltung. Die stammen nicht aus Berlin, insofern sind 
wir nicht die ersten, die daraufgekommen sind, sondern aus 
dem Jahre 1974 aus Baden-Württemberg. Sonst, liebe Kol 
legen von der SPD, weisen Sie uns ja immer darauf hin, 
wir sollten mal dahin schauen, was dort geschieht. In die 
sem Fall, finde ich, tun Sie das durchaus mit Recht, schauen 
Sie selber auch mal dahin. Es lohnt sich wirklich, dieses 
Buch, falls Sie es noch nicht kennen, zu lesen. Und erstaun 
licherweise hat In diesem Fall eine Gruppe von Verwaltungs 
angehörigen diesen Bericht haargenau auf den Tag fertig 
gestellt, zu dem das vorgesehen war. Damit haben sie ein 
Zitat widerlegt, das ich Ihnen noch nennen möchte, daß man 
mit Ephraim Kishon der Meinung sein könnte, „die Büro 
kratie ist so alt wie die Menschheit, vielleicht sogar noch 
älter als unsere Erde. Denn es ist immerhin denkbar, daß 
der Beamte einen Tag vor der Welt erschaffen wurde, um
	        
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