Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
24. Sitzung vom 11. März 1976
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optimal zu erfüllen, und sie haben ihren gemeinsamen Wil
len zur Veränderung durch die Verabschiedung des Be
richts am 14. Februar 1974 hier in diesem Hause vor aller
Öffentlichkeit bekundet. Ich möchte bei dieser Gelegen
heit für die SPD-Fraktion der Hoffnung Ausdruck geben,
daß sich an diesem gemeinsamen Willen nichts geändert
hat.
In den letzten Wochen und Monaten, zuletzt am gestri
gen Mittwoch im „Thema der Woche“ des Rias Berlin, hat
es in Presse, Funk und Fernsehen eine ganze Reihe einzel
ner Zwischenbilanzen der Polizeireform gegeben. Diese
Darstellungen bezogen sich oft nur auf einige wenige
Aspekte der Reform, ohne dabei zu einer Gesamtwürdigung
zu gelangen. Uns scheint es auch aus diesem Grunde ge
boten, zwei Jahre nach Verabschiedung des Berichtes über
die Reform der Berliner Polizei parlamentarisch Bilanz zu
ziehen und dabei zu einer umfassenden Bestandsaufnahme
zu gelangen.
In diesem Zusammenhang muß auch betont werden, daß
die Polizei gerade in der ohnehin schwierigen Anlaufphase
der Reform durch spektakuläre Ereignisse — als Beispiele
nenne ich hier den Mord an Kammergerichtspräsident von
Drenkmann und die Entführung des heutigen Präsidenten
des Abgeordnetenhauses, des Kollegen Lorenz — besonde
ren und nicht vorhersehbaren Belastungen ausgesetzt war.
Hierdurch mag ein Teil der Kritik erklärbar sein, die in
der Vergangenheit an der Polizeireform geübt worden ist.
Dies zeigt jedoch zugleich, daß diese Kritik ln einigen
Fällen ihren eigentlichen Gegenstand verfehlte.
Nun prägen aber nicht nur spektakuläre Ereignisse —-
die heutige Debatte erhält ja auch eine aktuelle Note durch
den Millionenraub im KaDeWe — das Bild der inneren
Sicherheit in dieser Stadt. Die Bürger Berlins werden viel
mehr ständig mit der Tageskriminalität und den Opfern
des Straßenverkehrs konfrontiert. Dies beeinflußt in erheb
lichem Maße das Sicherheitsgefühl unserer Mitbürger.
Deshalb stellt sich die Frage: Wie wird die Berliner Poli
zei mit ihren Alltagsaufgaben fertig, und was hat die
Polizeireform bisher erbracht? Die SPD-Fraktion ist der
Auffassung, daß jetzt der richtige Zeitpunkt ist, diese
Frage zu stellen, nachdem Senat, Polizeiführung und Be
amte über einen längeren Zeitraum hinweg konkrete Er
fahrungen mit der Reform sammeln konnten. Eine erste
umfassende Bestandsaufnahme sollte daher möglich sein.
Auch dem Abgeordnetenhaus, meine Damen und Her
ren, dürften die positiven Zahlen bekannt sein, die über die
Entwicklung der Verbrechensbekämpfung — sinkende Zahl
der Straftaten bei gleichzeitiger Erhöhung der Aufklä
rungsquote — auch in dem Bereich der Polizeidirektion
City vorgelegt werden konnten. Hierzu muß gefragt wer
den, wieweit diese gezielte Entwicklung eine Folge der
Reform ist oder ob auch andere Ursachen zur Erklärung
herangezogen werden müssen. Es ist weiter zu fragen, ob
durch die polizeilichen Erfolge im Bereich der Direktion
City gewisse Verdrängungseffekte in andere Bereiche der
Stadt zu verzeichnen sind.
Eine der erklärten Absichten im Zuge der Durchführung
der Reform ist es, Vollzugsbeamte der Polizei von polizei
fremden Aufgaben zu befreien und sie in zunehmendem
Maße zur Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe, wenn Sie
so wollen, der „Produktion“ von mehr innerer Sicherheit,
zuzuführen. Wir hätten hierzu gern die Auskunft vom Se
nat, wieweit dies bereits geschehen ist, und wieweit dies
in Zukunft noch geschehen wird.
Auch die unmittelbare Zusammenarbeit von Schutzpoli
zei und Kriminalpolizei in der konkreten Verbrechens
bekämpfung soll zu einer Erhöhung der inneren Sicherheit
einen wesentlichen Beitrag leisten. Wir wären dem Senat
dankbar, wenn er ln seiner Antwort auf die Große Anfrage
die hier gemachten Erfahrungen auch an einzelnen Beispie
len verdeutlichen könnte.
Im Rahmen der Reform sollen auch Ausbildungsfragen
neu geregelt werden. Hierzu ist uns insbesondere aus den
Kreisen jüngerer Polizeibeamter Kritik an einigen Aus
bildungsinhalten bekannt geworden, von denen diese jungen
Beamten sagen, daß sie nicht mehr zeitgemäß seien. Diese
Probleme gehören zwar auch zu einer umfassenden Be
standsaufnahme der Polizeireform, wir meinen aber, daß
sie wegen ihrer Besonderheit heute nicht ausführlich er
örtert werden sollten und möchten uns für die Zukunft
gesonderte parlamentarische Initiativen hierzu Vorbehalten.
Ein anderer wichtiger Aspekt, die hier allerdings mit
behandelt werden sollte, ist die Frage nach der Umsetzung
des Abschlußberichtes über Verhütung und Bekämpfung
der Kriminalität, den ein Planungsteam vorgelegt und
der weit über die Grenzen Berlins Beachtung und Lob ge
funden hat. Uns ist bekannt, daß hierzu eine Arbeitsgruppe
eingesetzt wurde, über deren Tätigkeit heute noch nicht
abschließend berichtet werden kann. Dennoch würden wir
es begrüßen, wenn der Senat in seiner Antwort auch auf
die Tätigkeitsweise und die spezifischen Zielsetzungen die
ser Arbeitsgruppe eingehen könnte.
Die hier dargelegten Gesichtspunkte veranlaßten uns zu
unserer ersten Frage an den Senat;
Liegen nach den bisherigen praktischen Erfahrungen
der Polizeireform Erkenntnisse vor, nach denen die
mit dem Reformkonzept ursprünglich verbundenen Er
wartungen im Hinblick auf die Erhöhung der inneren
Sicherheit als realistisch bezeichnet werden können ?
Polizeigewerkschaften haben wiederholt in der Öffent
lichkeit kritisch zur Polizeireform Stellung genommen und
auf Unzulänglichkeiten hingewiesen. Schwerpunkte dieser
Kritik waren unter anderem: fehlende Verwaltungsange
stellte, die für eine Entlastung der Vollzugspolizei notwen
dig wären; Überlastung der Funkstreifenwagen, die einen
Fußstreifendienst der Beamten unmöglich macht; mangel
hafte Unterbringung von Polizeidienststellen; mangelnde
Ausstattung von Dienststellen, die sich nachteilig auf das
Verhältnis zwischen Bürger und Polizei und auf die Dienst
treue des Beamten auswirkt und Abschaffung der Inspek
tionen und Reviere. Wir sind der Auffassung, daß diese
Kritik der Berufsorganisationen der Polizeiangehörigen
ernst genug zu nehmen ist, um Gegenstand einer parla
mentarischen Anfrage zu sein. Wir müssen hier aber auch
nicht zuletzt aufgrund der Gespräche, die Vertreter unserer
Fraktion mit Gewerkschaftsvertretern hatten, die Frage
aufwerfen, ob der in der Öffentlichkeit bisweilen herr
schende Eindruck nicht täuscht, daß diese Kritik die Poli
zeireform generell ln Frage stellt. Wir haben vielmehr
Grund zu der Annahme, daß auch die Gewerkschaften die
Reformkonzeption im Grundsatz mittragen und ihre Kritik
auf der Basis dieser Konzeption lediglich auf einige Miß
stände bei der Durchführung hinweist. Die Frage, wie weit
diese Kritik gerechtfertigt ist, wird nach Abschluß der
heutigen Debatte hoffentlich zu beantworten sein.
Wir fragen deshalb den Senat zweitens;
Welche Konsequenzen hat der Senat aus der öffentlich
geäußerten Stellungnahme und Kritiken der Gewerk
schaften zu verschiedenen Teilaspekten der Polizei
reform gezogen ?
Bis heute, meine Damen und Herren, sind kritische
Äußerungen einzelner Polizeibeamter, also unabhängig von
der erwähnten Gewerkschaftskritik, zur Reform ihrer Be
hörde nicht verstummt. Es muß wohl davon ausgegangen
werden, daß immer noch viele Polizeiangehörige die mit der
Reform verbundenen Erwartungen nicht teilen und daß sie
zur Wahrnehmung ihrer Angaben im Rahmen neuer Or
ganisationsstrukturen nicht hinreichend — wie man auf
neudeutsch sagt — motiviert sind.
Bei dieser Gelegenheit scheint es aber auch angebracht,
auf unsachgemäße und überspitzt polemische Äußerungen
der Opposition, insbesondere im Wahlkampf des letzten
Jahres, aber nicht nur dort — ich erinnere an die Bezeich
nung „sogenannte Polizeireform" im Titel einer Großen
Anfrage der CDU aus dem Jahre 1974 — hinzuweisen,