Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
24. Sitzung vom II. März 197G
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Präsident Lorenz: Weitere Wortmeldungen liegen nicht
vor.
(Ah! bei der CDU — Abg. Wronski:
Sehr aufschlußreich!)
Damit ist die Aktuelle Stunde abgeschlossen.
Ich rufe auf
lfd. Nr. 2, Drucksache 7/396:
I. und n. Lesung der Vorlage — zur Beschlußfas
sung — über Gesetz zur Übernahme von Gesetzen
Ich verbinde gemäß § 32 Absatz 3 der Geschäftsordnung
die I. und die II. Lesung. Wer dem Gesetz seine Zustim
mung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Danke schön, das Gesetz ist angenommen.
Ich rufe auf
lfd. Nr. 3, Drucksache 7/385:
I. Lesung des Antrages der Fraktion der CDU über
Gesetz über die Führung der Berufsbezeichnung
„Psychologe“ (Berliner Psychologengesetz)
Zur Begründung hat das Wort Frau Abgeordnete Dr. Besser.
Frau Dr. Besser (CDU): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Antrag der CDU-Fraktion in der Druck
sache 7/385 über ein Gesetz über die Führung der Berufs
bezeichnung „Psychologe“, den ich heute hier begründen
möchte, mag sich nach Ansicht manches Mitgliedes dieses
Hauses mit einem Gegenstand befassen, der nicht unbe
dingt zu den zentralen Fragen des täglichen Lebens ge
hört. Dennoch bezweckt dieser Antrag die gesetzliche Nor
mierung einer Tätigkeit, die sich im Laufe der Jahre zu
einem eigenständigen Beruf entwickelt hat, einem Beruf,
der sich mit dem Untersuchen, Erkennen und Behandeln
von seelischen Vorgängen bei Einzelpersonen und Perso
nengruppen befaßt, eine sehr wichtige, verantwortungs
volle, aber unter Umständen auch sehr gefährliche Auf
gabe.
Die Gefahren erwachsen nicht nur aus den Schwierig
keiten, die sich bei Beratungen und Behandlungen im psy
chologischen Bereich ergeben, sondern auch aus den Miß
brauchsmöglichkeiten, die ein verantwortungsloser Psy
chologe bei einer Tätigkeit hat, die ein besonderes Maß an
Vertrauen seitens des zu Behandelnden erfordert.
Um so mehr verwundert es, daß die Berufsbezeichnung
des Psychologen bis heute nicht geschützt ist. Mit anderen
Worten: Jeder und damit auch der, der über keinerlei
berufliche Qualifikation verfügt, kann sich zur Zeit „Psy
chologe“ nennen und unter dieser für die Öffentlichkeit
sehr attraktiven Bezeichnung tätig werden. Das verträgt
sich nach Ansicht meiner Fraktion nicht mit der Fürsorge
pflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern; denn die
seelische Behandlung von Menschen ist ein hohes und ein
schutzwürdiges Gut.
Man mag zu der Psychologiehörigkeit mancher Bevölke
rungskreise stehen wie man will; Tatsache ist, daß auf
diesem Gebiet Tätigen von der Bevölkerung ein erheb
licher Vertrauensvorschuß entgegengebracht wird. Es gilt
deshalb, die gesetzlichen Voraussetzungen für die erfor
derliche fachliche Basis, auf der die Tätigkeit ausgeübt
wird, zu schaffen.
An dieser fachlichen Grundlage fehlt es, soweit die Aus
bildung betroffen ist, nicht bei den Inhabern des akade
mischen Grades „Diplompsychologe“. Aber der mangelnde
Schutz der Berufsbezeichnung „Psychologe“ hat es ermög
licht, daß den teuer ausgebildeten Hochschulabsolventen
eine Vielzahl von selbsternannten Psychologen gegenüber
steht. Wohl auf keinem anderen Gebiet hat sich in den
letzten Jahren eine vergleichbare Scharlatanerie und damit
zugleich eine derartige Unsicherheit bei der Bevölkerung
breitgemacht. Oftmals war und ist mangels entsprechender
Berufskenntnisse das einzig Psychologische an der Tätig
keit eines „Psychologen von eigenen Gnaden“ die psycho
logisch geschickte Nutzung der Unwissenheit der Mit
menschen.
Lassen Sie mich dies an einigen Beispielen verdeut
lichen: Da gab es hier in Berlin vor gar nicht so langer
Zeit einen Psychologen, der ohne die geringsten Kennt
nisse nicht nur betrügerisch mehrere tausend D-Mark
Beratungshonorare kassierte, sondern dessen Tätigkeit zu
mehreren Selbstmordversuchen einer seiner Patientinnen
führte. — Da gab es in Berlin ein „Institut für angewandte
Psychologie“, hinter dem sich zwei Psychologiestudenten
im dritten Semester ohne Vorprüfung, ein Theologiestu
dent, eine Krankenschwester und drei Sozialhelferinnen ver
bargen. Die Firmierung des Instituts als eingetragener
Verein und dessen siegelähnlicher Stempel waren offenbar
so beeindruckend, daß selbst Senatsdienststellen mit dem
Verein den Kontakt pflegten sowie verschiedene Bezirks
ämter dessen Werbeplakate aushängen ließen und die
Kursgebühren für Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen
für Sozialarbeiter in den Bezirken aus dem Haushalt lei
steten. Dieses war nicht der einzige Fall, daß sich Dienst
stellen des Landes Berlin täuschen ließen, woran man
erkennen kann, wie viele Hilfesuchende auf ein solches
oder ähnliches Angebot hereingefallen sind. Da stellte ein
Berliner Schulamt einem selbsternannten „astrologischen
Psychologen“ — was immer das sein mag — kostenlos
Schulräume zur Verfügung, obwohl die von ihm betrie
bene Sterndeuterei allenfalls den Wert der in einigen
Zeitungen regelmäßig abgedruckten Horoskope erreichte. —
In einem anderen Fall geriet ein Berliner Schularbeits
kreis in Konflikt mit dem Schulpsychologischen Dienst,
und selbst der Doktortitel wird ohne Zusatz benutzt, um
das eigene Ansehen zu erhöhen, auch wenn sich hinter
der Abkürzung „Dr.“ der an einer landwirtschaftlichen
Fakultät erworbene doctor agriculturae verbirgt.
Mit Absicht wurden hier Beispiele aus der jüngsten Ver
gangenheit gewählt, um den Betroffenen ln der Ausübung
ihrer bis jetzt nicht rechtswidrigen Tätigkeit nicht zu nahe
zu treten. Ein Blick in das Berliner Branchen-Femsprech-
buch lehrt aber, daß es noch immer dubiose Fälle gibt, in
denen das schmutzige Geschäft mit der Seelennot betrie
ben wird.
Und ich möchte nun ein Beispiel hier aufgreifen, das sich
im vergangenen Jahr in Berlin abgespielt hat und das den
Tod eines Soziologen herbeiführte. Es handelt sich um das
„Institut der fliegenden Eulen“ ln der Marathonallee in
Charlottenburg. Dort wirkte Herr Dr. Chavers — übrigens
Doktor der Philosophie und nicht der Psychologie —. Der
Soziologe Kellner ging in dieses Institut und verstarb nach
zwanzigstündiger Behandlung am 23. Juni 1975 gegen
10 Uhr auf der Intensivstation einer Berliner Universitäts
klinik, wo er noch hingefahren worden war. Herr Kellner
hatte am 20. Juni die Landesnervenklinik zu einem „Be
lastungsurlaub“ verlassen. Gegen Anraten seines Arztes
ging er in das „Haus der fliegenden Eulen“ und nahm
dort an einem zweitägigen gruppentherapeutischen „Ma
rathon“ teil. Mit ihm wurde die „Geburtsszene" gespielt,
das heißt, er mußte sich auf dem Boden zusammenkauern,
eine Decke wurde über ihn gelegt. Rund zehn Teilnehmer
bildeten das, was man in einem solchen Prozeß die „Ge
bärmutter" nennt, legten sich auf ihn, übten körperlichen
Druck auf ihn aus. Sehr schnell wurde das Ziel der soge
nannten „Geburt" erreicht, das heißt, Herr Kellner erbrach
sich, konnte sich aber nicht befreien und erstickte. Als die
Herztätigkeit erloschen war, wurde man unruhig, machte
Wiederbelebungsversuche, diese brachten keinen Erfolg,
und er verstarb dann — wie eben gesagt — in der Uni
versitätsklinik.
Man sieht also hieran, daß unter der Überschrift „Grup
pentherapie“ in einem „psychologischen Institut“ von einem
selbsternannten Psychologen die erstaunlichsten Ding 1 -
unternommen werden. Es gibt sehr eingehende Schilde
rungen von anderen Teilnehmern, die auch deutlich machen,
daß hier eine „Therapie“ angesetzt wird ohne Kenntnis
der Person, ohne Kenntnis des besonderen Gesundheita-