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Volume Nr. 35, 23.09.76

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1976, 7. Wahlperiode, Band II, 20.-45. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode 
24. Sitzung vom II. März 197G 
928 
Präsident Lorenz: Weitere Wortmeldungen liegen nicht 
vor. 
(Ah! bei der CDU — Abg. Wronski: 
Sehr aufschlußreich!) 
Damit ist die Aktuelle Stunde abgeschlossen. 
Ich rufe auf 
lfd. Nr. 2, Drucksache 7/396: 
I. und n. Lesung der Vorlage — zur Beschlußfas 
sung — über Gesetz zur Übernahme von Gesetzen 
Ich verbinde gemäß § 32 Absatz 3 der Geschäftsordnung 
die I. und die II. Lesung. Wer dem Gesetz seine Zustim 
mung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. 
— Danke schön, das Gesetz ist angenommen. 
Ich rufe auf 
lfd. Nr. 3, Drucksache 7/385: 
I. Lesung des Antrages der Fraktion der CDU über 
Gesetz über die Führung der Berufsbezeichnung 
„Psychologe“ (Berliner Psychologengesetz) 
Zur Begründung hat das Wort Frau Abgeordnete Dr. Besser. 
Frau Dr. Besser (CDU): Herr Präsident! Meine Damen 
und Herren! Der Antrag der CDU-Fraktion in der Druck 
sache 7/385 über ein Gesetz über die Führung der Berufs 
bezeichnung „Psychologe“, den ich heute hier begründen 
möchte, mag sich nach Ansicht manches Mitgliedes dieses 
Hauses mit einem Gegenstand befassen, der nicht unbe 
dingt zu den zentralen Fragen des täglichen Lebens ge 
hört. Dennoch bezweckt dieser Antrag die gesetzliche Nor 
mierung einer Tätigkeit, die sich im Laufe der Jahre zu 
einem eigenständigen Beruf entwickelt hat, einem Beruf, 
der sich mit dem Untersuchen, Erkennen und Behandeln 
von seelischen Vorgängen bei Einzelpersonen und Perso 
nengruppen befaßt, eine sehr wichtige, verantwortungs 
volle, aber unter Umständen auch sehr gefährliche Auf 
gabe. 
Die Gefahren erwachsen nicht nur aus den Schwierig 
keiten, die sich bei Beratungen und Behandlungen im psy 
chologischen Bereich ergeben, sondern auch aus den Miß 
brauchsmöglichkeiten, die ein verantwortungsloser Psy 
chologe bei einer Tätigkeit hat, die ein besonderes Maß an 
Vertrauen seitens des zu Behandelnden erfordert. 
Um so mehr verwundert es, daß die Berufsbezeichnung 
des Psychologen bis heute nicht geschützt ist. Mit anderen 
Worten: Jeder und damit auch der, der über keinerlei 
berufliche Qualifikation verfügt, kann sich zur Zeit „Psy 
chologe“ nennen und unter dieser für die Öffentlichkeit 
sehr attraktiven Bezeichnung tätig werden. Das verträgt 
sich nach Ansicht meiner Fraktion nicht mit der Fürsorge 
pflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern; denn die 
seelische Behandlung von Menschen ist ein hohes und ein 
schutzwürdiges Gut. 
Man mag zu der Psychologiehörigkeit mancher Bevölke 
rungskreise stehen wie man will; Tatsache ist, daß auf 
diesem Gebiet Tätigen von der Bevölkerung ein erheb 
licher Vertrauensvorschuß entgegengebracht wird. Es gilt 
deshalb, die gesetzlichen Voraussetzungen für die erfor 
derliche fachliche Basis, auf der die Tätigkeit ausgeübt 
wird, zu schaffen. 
An dieser fachlichen Grundlage fehlt es, soweit die Aus 
bildung betroffen ist, nicht bei den Inhabern des akade 
mischen Grades „Diplompsychologe“. Aber der mangelnde 
Schutz der Berufsbezeichnung „Psychologe“ hat es ermög 
licht, daß den teuer ausgebildeten Hochschulabsolventen 
eine Vielzahl von selbsternannten Psychologen gegenüber 
steht. Wohl auf keinem anderen Gebiet hat sich in den 
letzten Jahren eine vergleichbare Scharlatanerie und damit 
zugleich eine derartige Unsicherheit bei der Bevölkerung 
breitgemacht. Oftmals war und ist mangels entsprechender 
Berufskenntnisse das einzig Psychologische an der Tätig 
keit eines „Psychologen von eigenen Gnaden“ die psycho 
logisch geschickte Nutzung der Unwissenheit der Mit 
menschen. 
Lassen Sie mich dies an einigen Beispielen verdeut 
lichen: Da gab es hier in Berlin vor gar nicht so langer 
Zeit einen Psychologen, der ohne die geringsten Kennt 
nisse nicht nur betrügerisch mehrere tausend D-Mark 
Beratungshonorare kassierte, sondern dessen Tätigkeit zu 
mehreren Selbstmordversuchen einer seiner Patientinnen 
führte. — Da gab es in Berlin ein „Institut für angewandte 
Psychologie“, hinter dem sich zwei Psychologiestudenten 
im dritten Semester ohne Vorprüfung, ein Theologiestu 
dent, eine Krankenschwester und drei Sozialhelferinnen ver 
bargen. Die Firmierung des Instituts als eingetragener 
Verein und dessen siegelähnlicher Stempel waren offenbar 
so beeindruckend, daß selbst Senatsdienststellen mit dem 
Verein den Kontakt pflegten sowie verschiedene Bezirks 
ämter dessen Werbeplakate aushängen ließen und die 
Kursgebühren für Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen 
für Sozialarbeiter in den Bezirken aus dem Haushalt lei 
steten. Dieses war nicht der einzige Fall, daß sich Dienst 
stellen des Landes Berlin täuschen ließen, woran man 
erkennen kann, wie viele Hilfesuchende auf ein solches 
oder ähnliches Angebot hereingefallen sind. Da stellte ein 
Berliner Schulamt einem selbsternannten „astrologischen 
Psychologen“ — was immer das sein mag — kostenlos 
Schulräume zur Verfügung, obwohl die von ihm betrie 
bene Sterndeuterei allenfalls den Wert der in einigen 
Zeitungen regelmäßig abgedruckten Horoskope erreichte. — 
In einem anderen Fall geriet ein Berliner Schularbeits 
kreis in Konflikt mit dem Schulpsychologischen Dienst, 
und selbst der Doktortitel wird ohne Zusatz benutzt, um 
das eigene Ansehen zu erhöhen, auch wenn sich hinter 
der Abkürzung „Dr.“ der an einer landwirtschaftlichen 
Fakultät erworbene doctor agriculturae verbirgt. 
Mit Absicht wurden hier Beispiele aus der jüngsten Ver 
gangenheit gewählt, um den Betroffenen ln der Ausübung 
ihrer bis jetzt nicht rechtswidrigen Tätigkeit nicht zu nahe 
zu treten. Ein Blick in das Berliner Branchen-Femsprech- 
buch lehrt aber, daß es noch immer dubiose Fälle gibt, in 
denen das schmutzige Geschäft mit der Seelennot betrie 
ben wird. 
Und ich möchte nun ein Beispiel hier aufgreifen, das sich 
im vergangenen Jahr in Berlin abgespielt hat und das den 
Tod eines Soziologen herbeiführte. Es handelt sich um das 
„Institut der fliegenden Eulen“ ln der Marathonallee in 
Charlottenburg. Dort wirkte Herr Dr. Chavers — übrigens 
Doktor der Philosophie und nicht der Psychologie —. Der 
Soziologe Kellner ging in dieses Institut und verstarb nach 
zwanzigstündiger Behandlung am 23. Juni 1975 gegen 
10 Uhr auf der Intensivstation einer Berliner Universitäts 
klinik, wo er noch hingefahren worden war. Herr Kellner 
hatte am 20. Juni die Landesnervenklinik zu einem „Be 
lastungsurlaub“ verlassen. Gegen Anraten seines Arztes 
ging er in das „Haus der fliegenden Eulen“ und nahm 
dort an einem zweitägigen gruppentherapeutischen „Ma 
rathon“ teil. Mit ihm wurde die „Geburtsszene" gespielt, 
das heißt, er mußte sich auf dem Boden zusammenkauern, 
eine Decke wurde über ihn gelegt. Rund zehn Teilnehmer 
bildeten das, was man in einem solchen Prozeß die „Ge 
bärmutter" nennt, legten sich auf ihn, übten körperlichen 
Druck auf ihn aus. Sehr schnell wurde das Ziel der soge 
nannten „Geburt" erreicht, das heißt, Herr Kellner erbrach 
sich, konnte sich aber nicht befreien und erstickte. Als die 
Herztätigkeit erloschen war, wurde man unruhig, machte 
Wiederbelebungsversuche, diese brachten keinen Erfolg, 
und er verstarb dann — wie eben gesagt — in der Uni 
versitätsklinik. 
Man sieht also hieran, daß unter der Überschrift „Grup 
pentherapie“ in einem „psychologischen Institut“ von einem 
selbsternannten Psychologen die erstaunlichsten Ding 1 - 
unternommen werden. Es gibt sehr eingehende Schilde 
rungen von anderen Teilnehmern, die auch deutlich machen, 
daß hier eine „Therapie“ angesetzt wird ohne Kenntnis 
der Person, ohne Kenntnis des besonderen Gesundheita-
	        
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