Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
23. Sitzung vom 26. Februar 197G
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ist auf dem besten Platz — das hat Herr Struve gesagt —,
aber Sie haben gesagt: Das sei die geeignete Personal
entscheidung. Sie haben Ihre Motive hier nochmals dar
gelegt. Dann haben Sie sich dazu verstiegen zu sagen:
Dieser Unterausschuß tagt vertraulich, deswegen wüßten
Sie nicht, was da eigentlich vorgefallen ist.
(Abg. Oesterlein: Hört, hört! —
Heiterkeit bei der CDU)
Das ist doch geradezu lächerlich! Das ist eine Pflichtver
säumnis eines Regierenden Bürgermeisters!
(Zuruf von der CDU: So ist es!)
Ich frage mich, Herr Schütz: Wofür interessieren Sie sich
eigentlich in dieser Stadt, wenn Sie sich nicht interessie
ren, noch nicht einmal interessieren für solche Skandal
geschichten, die Ihren Senat, den von Ihnen geführten
Senat in den Grundfesten erschüttern ?
(Beifall bei der CDU)
Herr Regierender Bürgermeister, ich habe noch eine
Frage: Wir wissen ja alle — ohne daß wir im Unteraus
schuß waren —, daß es hier gewisse Zusammenhänge gibt
zwischen Senatsverwaltungen und Gewerkschaften, daß
auch Mitarbeiter in Eigenbetrieben den Versuch unter
nommen haben, daß ihre Gewerkschaften sich schützend
vor sie gestellt haben. Herr Schütz, meine Frage, ganz
konkret: Haben Sie wirklich nicht — auch nicht gegebe
nenfalls über den Kanal von Gewerkschaften, über den
Kanal Ihrer Parteifreunde, vielleicht sogar im Oktober vor
dem Mannheimer Bundesparteitag Ihrer Partei — detail
liert erfahren, welche Vorgänge in der KPM wirklich zu
beklagen sind? Diese Antwort, Herr Schütz, hätte ich
gern hier und heute von Ihnen.
Doch, meine Damen und Herren, das Problem ist in
Wirklichkeit ja nicht nur ein Problem eines zurückgetre
tenen Senators oder eines Senatsdirektors, der seit einiger
Zeit mit wachsendem Erfolg dafür gesorgt hat, daß in den
Eigenbetrieben seine Gruppe, seine Partei oder seine Partei
in der Partei, oder nur schlicht und ergreifend die Mafia,
die er vertritt, ausreichende Erfolge hinsichtlich der Per
sonalpolitik hat. Es ist auch nicht nur eine Frage des
Klaus Schütz und seiner mangelnden Einsatzfreudigkeit
für die Probleme, die die Stadt auch betreffen, da, wo es
nicht um große Politik geht, sondern da, wo es darum
geht, die kleinen Dinge, die das Leben in dieser Stadt so
entscheidend prägen, mitzuverantworten, sich in diesen
Dingen wenigstens zu informieren, darum geht es nicht
nur. Aber ich glaube, es ist schon ein wichtiger Aspekt,
der zeigt, daß Sie Ihre Verantwortung nicht hinreichend
wahrgenommen haben. Und die Entschuldigung, die Sie
vor diesem Parlament ausgesprochen haben, ist da einfach
nicht ausreichend. Dazu sind die Fehler zu groß.
(Beifall bei der CDU)
Wenn ich aber dieses Thema hier aufgreife, dann ist es
eine generelle Frage. Wie wird eigentlich Personalpolitik
betrieben und wie ist eigentlich der Anspruch — auch der
moralische Anspruch —, unter dem Politik betrieben wird
innerhalb dieser Senatskoalition, Innerhalb der Partei, die
hier seit 20 Jahren regiert hat und dabei vielleicht
Ich schränke das durchaus ein, man soll nicht verallge
meinern —, innerhalb dieser Partei in der Partei, die diese
Dinge mitzuverantworten hat? Und da muß man doch
feststellen, daß hier offenbar mit massivem Druck, mit
Versprechungen, ja bis hin zur Nötigung versucht wurde,
Personalpolitik zu machen. Und wenn man die Diskussion
innerhalb der sozialdemokratischen Fraktion, so wie sie in
der Presse wiedergegeben ist, richtig verfolgt hat, kam
man noch nicht einmal zu dem Eindruck, daß innerhalb
dieser Fraktion, innerhalb dieser Partei, die über 20 Jahre
hier die Regierungsverantwortung hat — der Regierende
Bürgermeister beinahe seit zehn Jahren, im nächsten Jahr
ist es, glaube ich, soweit —, daß diese Fraktion den Ver
such macht, das alles als den Beginn einer Selbstreinigung
anzusehen. Da gibt es zwar die Ausführungen des Frak
tionsvorsitzenden vor dem Landesparteitag im Dezember.
Doch wenn man dann die nachfolgenden tatsächlichen
Ereignisse sieht, drängt sich mir die Vermutung auf, Herr
Dr. Haus, Sie haben schon mehr gewußt, Sie wollten vor
bauen! Aber offenbar hat die Kenntnis der Gesamtzusam
menhänge und Ihre Erkenntnis dessen, daß es in dieser
Stadt, verantwortet von Ihrer Fraktion, eine Menge von
Verfilzungen gibt, nicht geholfen. Der Regierende Bürger
meister will Verfilzungen bestreiten. — Ich glaube, wir
können das gar nicht ernst nehmen, was er in dem Zu
sammenhang gesagt hat. Verfilzungen bestreiten zu wollen
nach seinen Ausführungen vor der Senatskanzlei, nach den
Ausführungen von Herrn Dr. Haus vor dem Landespartei
tag, ist wohl gar nicht möglich.
Aber, meine Damen und Herren, und das ist es, was
mich so besonders betrifft: Ich habe nach dem, was in der
Sozialdemokratischen Partei dort geschehen ist, und nach
den Ausführungen vom Regierenden Bürgermeister den
Eindruck, daß diese Partei und daß dieser Senat die Kraft,
die notwendige Kraft für die Selbstreinigung nicht haben.
Wir wollten, daß diese Debatte dazu beiträgt. Ich hoffe,
im Laufe der weiteren Diskussion hier einen anderen Ein
druck bekommen zu können; bisher jedenfalls können wir
nur feststellen, das Regieren von SPD und F.D.P., von der
SPD nach dieser verheerenden Wahlniederlage vor einem
Jahr, nach der Wahlniederlage im Januar dieses Jahres in
Zehlendorf, dieses Regieren gegen die stärkste politische
Kraft in dieser Stadt, dieses hat sich nicht gelohnt. Es
führt zu Verkrampfungen bei Ihnen und muß deswegen
möglichst bald zu einem Ende geführt werden!
(Beifall bei der CDU)
Stellv. Präsident Baetge: Das Wort hat der Abgeordnete
Dr. Haus.
Dr. Haus (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Zu der Großen Dringlichkeitsanfrage, mit der die
CDU speziell die Gründe für den Rücktritt von Herrn Liehr
erörtert wissen will, sage ich im Namen der SPD-Fraktion
folgendes:
Senator Harry Liehr hat ln seinem Schreiben vom ver
gangenen Montag an den Regierenden Bürgermeister selbst
seine Gründe für den Rücktritt — ganz knapp zunächst —
formuliert. Und es widerspräche den parlamentarisch
demokratischen Verfahrensregeln, diese eigene Begrün
dung desjenigen nicht zu respektieren, der den so ernsten
Schritt selbst vollzogen hat. Auch die ergänzenden Hin
weise, die Herr Liehr zu seinem Rücktritt seither gegeben
und die der Regierende Bürgermeister heute hier wieder
gegeben hat, sind von uns nicht zu kommentieren. Auch
Herr Lummer sagte vorhin: Es ist unüblich, Rücktritts
vorgänge in parlamentarisch lange Debatten hineinzuholen.
Zweitens, meine Damen und Herren: Der Rücktritt ent
sprach auch nach der Überzeugung, wie wir heute wieder
von Herrn Liehr selbst gehört haben, der Einschätzung
der politischen Verantwortungslage. Er entsprach der
Frage nach dem politischen Vertrauen, und er entsprach
dem Bemühen, der Aufklärung von Zusammenhängen zu
dienen.
Drittens: Das für die politische Arbeit und Verantwor
tung erforderliche Maß an vertrauensvoller Zusammen
arbeit war schwer beeinträchtigt, nicht nur zum Regieren
den Bürgermeister, auch zu unserer Fraktion. Und auch
darin, in der Wertung dieser Zusammenhänge, besteht
Einmütigkeit mit Herrn Liehr. Wenn nun daraus politische
Konsequenzen gezogen worden sind, dann ist das nichts
Ungewöhnliches und es ist kein vorweggenommener sach
licher Schuldspruch, sondern ein betont politischer Schritt.
Meine Damen und Herren, der Rückritt eines politischen
Wahlbeamten an führender Stelle wird in älteren Demo
kratien weit öfter geübt und ist dort im Bewußtsein der
Bevölkerung auch etwas durchaus nichts Sensationelles in
parlamentarischen Vorgängen. Die politische Verantwor
tung vor einem Parlament zu tragen heißt doch unter