Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
44. Sitzung vom 9. Dezember 1970
Ist genau das Beispiel, das wir als unredliche und unsolide
Politik in dieser Stadt bezeichnen und politisch auf das
Schärfste verurteilen müssen.
(Beifall bei der CDU)
Zur Schulpolitik gehört wahrscheinlich wie zu keinem
anderen Bereich unseres kulturellen Lebens Wahrhaftig
keit. Und wenn Sie mit diesen Forderungen in die Lande
hinausgehen, dann müssen Sie sich fragen lassen, wie Sie
das, was hier gefordert wird, finanzieren wollen. Die
Lehrerarbeitslosigkeit können Sie selbstverständlich so
sehr leicht beseitigen, weil Sie mit Sicherheit Hunderte
von Lehrern einstellen müssen; aber wecken Sie doch
nicht Erwartungshaltungen, die Sie hinterher nicht er
füllen können! Ich habe den Eindruck, daß Sie hier die
Funktion des Zauberlehrlings übernommen haben, ohne zu
wissen, wie Sie diese Rolle zu Ende spielen wollen.
Gerade ln der Grundschule, meine Damen und Herren,
brauchen wir Ruhe. Das Förderungsprogramm der Grund
schule zwingt uns einfach, diese Entwicklung in Ruhe
durchzuführen, damit sich die Lehrer in der Grundschule
mit diesem Programm beschäftigen können. Das ständige
Erneuern, dieses ständige Reformieren, diese Euphorie,
ja diese Wut, Reformen durchzuführen, hat sich bis jetzt
nur schädlich auf die gesamte Schule ausgewirkt.
(Beifall bei der CDU)
Ein behutsames Weiterentwickeln ist deswegen angebracht,
und dazu gehören auch Überlegungen der Bundeseinheit
lichkeit, die die CDU-Fraktion in dem Antrag zum grund
ständigen Gymnasium hier eingebracht hat, damit zum
Beispiel Eltern, die nach Berlin kommen mit Kindern,
die in der 5. Klasse eines Gymnasiums in Westdeutsch
land gewesen sind, diese Kinder hier weiter aufs Gym
nasium schicken können und sie nicht in die Grundschule
schicken müssen.
Meine Damen und Herren, der Attraktivität Berlins
würde es dienen, wenn Sie unserem Vorschlag, der in der
nächsten Woche im Schulausschuß beraten wird, Ihre
Zustimmung geben. Sie verniedlichen nämlich das Pro
blem der über- oder Unterforderung in der Grundschule,
das zu einem sehr viel größeren Problem geworden ist,
als Sie es wahrhaben wollen.
Zur Grundschule gehört auch, daß ich dem Senator
hier empfehlen kann — ohne daß das irgendwelche Ko
sten verursacht —, daß man sich mehr um die Abstim
mung der Rahmenpläne kümmern sollte, insbesondere
sollte man die Kommissionen wiederbeleben, die in ein
zelnen Bezirken zur Abstimmung der Rahmenlehrpläne
zwischen Grundschule und Gymnasium bestehen. Und ich
empfehle Ihnen insbesondere die Bezirke, die so gerne
von Ihnen als sozial schwach bezeichnet werden, nämlich
Kreuzberg, Tiergarten, Neukölln und Wedding. Hier könn
ten Sie einmal beweisen, was Sie unter Sozialpolitik ver
stehen, wir müssen es Ihnen leider immer wieder sagen,
und Sie versuchen hier, auf eine politisch-soziale Variante
zurückzukommen. Das kostet kein Geld, ist aber ein
Zeichen von hoher pädagogischer Verantwortung, und
Sie sollten versuchen, auch das zu erfüllen.
Kritik ist weiterhin an der generellen Versetzung in
der Grundschule zu üben. Wir glauben, daß damit den
Kindern nicht in dem Umfang gedient wurde, wie Sie es
getan haben. Wir haben den Eindruck, daß man damit
ausschließlich den Eltern dienen wollte, und das kann
nicht Ziel einer sinnvollen Schulpolitik sein. Die Nicht
versetzung sollte immer eine pädagogische Entscheidung
sein, aber wir haben den Eindruck, daß die Ideologie der
Gleichmacherei bei dieser Entscheidung Pate gestanden
hat.
Und da ich durchaus bereit bin, die Gemeinsamkeiten
in den Vordergrund zu stellen, hier eine Anregung zum
Bereich der Mittelstufenzentren: Der Senator hat bei der
Entscheidung, die Einrichtung einer gymnasialen Ober
stufe an Mittelstufenzentren zu fordern, leider nicht die
Möglichkeiten auf ge zeigt, wie dies ln den Bezirken sinn
voll verwirklicht werden soll. Die Bezirke selbst — ins
besondere der Bezirk Wilmersdorf — haben sich an den
Schulsenator gewandt, um Handreichungen zu erhalten,
und ich kann nur sagen, daß die CDU-Fraktion eigent
lich nur zwei Lösungen akzektieren kann, nämlich ent
weder die Separatlösung oder die Filiallösung, weil wir
glauben, daß das der Schülerentwicklung am besten
Rechnung tragen würde.
Zum Problem der Mittelstufenzentren will ich hier nichts
weiter sagen, meine Damen und Herren, ich kündige aber
an, daß die CDU-Fraktion im nächsten Jahr hierzu eine
parlamentarische Initiative ergreifen wird. Lassen Sie
mich aber noch ein Wort zu den Mittelstufenzentren sa
gen, das von unserer Fraktion gar nicht oft genug betont
werden kann: Wir sind — und das betone ich — ent
schieden gegen eine einseitige Bevorzugung der Bildungs
zentren aus einem verfehlten Bildungsansatz heraus.
(Beifall bei der CDU)
Wir glauben, daß die Kosten, die in die Bildungszentren
investiert worden sind, in keinem Verhältnis stehen, das
gegenüber den Grund-, Haupt-, Real- und Berufsschulen
vertretbar ist, die in renovierungsbedürftigen Gebäuden
untergebracht sind, und das ist — wenn Sie so wollen —
eine Verhöhnung der Lehrer, Eltern und Schüler, die mit
diesen Bildungszentren zu tun haben und sehen, was hier
getan wird und woanders getan werden müßte.
(Beifall beider CDU)
Meine Damen und Herren, der aufwendige Maßstab der
Ausstattung an den Bildungszentren wird nun — und das
ist das Schlimme dabei — zum großen Teil überhaupt
nicht angenommen. Es gibt Fälle, daß zum Beispiel dort
Schreibmaschinen herumstehen und nicht benutzt werden,
weil keine Lehrer vorhanden sind, die diese Maschinen
sinnvoll einsetzen können, bis hin zu dem vom Senat so
sehr geliebten Projekt der Arbeitslehre, für das ebenfalls
Maschinen in die Schulen hineingebracht worden sind, die
nicht genutzt werden, weil sie entweder entzwei sind oder
die Lehrkräfte fehlen, um diese Maschinen sinnvoll ein
zusetzen. Hier fordern wir Ausgewogenheit, ziehen Sie
insbesondere die Konsequenzen beim Bau der berufsfeld
bezogenen Oberstufenzentren.
Und nun zur Oberstufenreform, ein Problem, das uns
auch im Schulausschuß beschäftigt hat aufgrund des Be
richtsauftrags an den Senat. Wir sind der Meinung, daß
der Senat bei der Behandlung dieser Reform die Kom
plexität der Oberstufenreform nicht hinreichend erkannt
hat, und wir haben auch vermißt — das darf ich hier
noch einmal betonen —, daß der humane Aspekt, dem
auch die Schule verpflichtet ist, nicht ausreichend ge
würdigt wurde. Wir vermissen weiterhin eine klare Stel
lungnahme zur Reform der Reform, die im Jahr 1977
beginnt, und müssen außerdem beklagen, daß der Schul
senator die Normenbücher, die im nächsten Jahr ein
geführt werden, geschaffen hat, ohne mit den dafür zu
ständigen Gremien zu sprechen, und er Eltern, Schüler
und Insbesondere Lehrer in eine Ungewißheit entläßt,
anstatt mit ihnen über diese Probleme zu diskutieren.
Diese Unruhe, die Sie in die Schule gebracht haben,
hätte vermieden werden können, wenn Sie frühzeitig sach
lich informiert hätten.
Ein letztes Wort noch zu der beruflichen Bildung. Bel
der beruflichen Bildung haben wir es mit den berufsfeld
bezogenen Oberstufenzentren zu tun. Die baulichen und
curricularen Planungsmängel sind eklatant. Wir bedau
ern insbesondere, daß es der Senat nicht erreicht hat,
hier mit der Wirtschaft zu einem partnerschaftlichen
Verhältnis zu kommen und auf diese Art und Weise die
Oberstufenzentren so auszubauen, daß die Wirtschaft das,
was dort getan wird, mittragen kann. Die Kritik richtet
sich insbesondere gegen die technisch-apparativen Zen
tren und gegen das Berufsgrundbildungsjahr, wobei ich
sagen muß, daß das Berufsgrundbildungsjahr deswegen
in seiner Entwicklung bedauerlich ist, weil bei der letzten
Planung der Bund-Länder-Kommission die SPD-Länder
nicht vertreten waren, sondern ausschließlich CDU-Länder
1919