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Volume Nr. 44, 09.12.76

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1976, 7. Wahlperiode, Band II, 20.-45. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode 
44. Sitzung vom 9. Dezember 197C 
Ich sehe aber auch ganz konkrete Unterschiede zwischen 
Ihnen und uns. Das Strafvollzugsgesetz ist ja mit den 
Stimmen der Opposition im Bundestag verabschiedet 
worden und hat insoweit also auch Ihre Zustimmung ge 
funden. Sie betonen ja auch, Sie seien für den Resozialisie 
rungsvollzug. Nur, was uns grundlegend unterscheidet, ist 
folgendes: Nach Ihrer Auffassung sollen die Resozialisie 
rungsmaßnahmen nicht auf alle, sondern eben nur auf 
einen Teil der Gefangenen angewendet werden; so habe ich 
Sie jedenfalls verstehen müssen. Sie meinen; 
Es sei das gute Recht 
— ich zitiere hier eine Äußerung des Herrn Kollegen Rösler 
aus dem Justizausschuß — 
jedes Gefangenen, für sich die Entscheidung zu treffen, 
künftig kriminell zu leben. Er könne sich also damit 
verbitten, daß der Staat sich anmaße, resozialisierend 
auf ihn einzuwirken. 
(Abg. Rösler: Nee, det nicht! Aber wie können 
Sie den einzelnen hindern ?) 
Dieses hat der Kollege Rösler im Justizausschuß so aus 
geführt. Ich zitiere das Protokoll: 
Er 
— Kollege Rösler — 
billige jeder Persönlichkeit zu, in ihrem Leben die 
Entscheidung zu treffen, künftig kriminell leben zu 
wollen. 
Dies — laut Protokoll — die Ausführungen des Kollegen 
Rösler. Wenn Sie dieser Auffassung sind, meine Damen 
und Herren — und ich habe bisher niemanden von der 
Opposition gehört, der sich von diesen Äußerungen seines 
justizpolitischen Sprechers distanziert hätte, 
(Abg. Ulzen; War doch gar nicht nötig!) 
dann unterscheiden wir uns allerdings fundamental ln der 
Vollzugskonzeption. 
Wir meinen, daß es in dieser Stadt 
Stellv. Präsident Baetge: Erlauben Sie eine Zwischen 
frage, Herr Abgeordneter ? 
Dr. Gerl (SPD): Ja, bitte! 
Stellv. Präsident Baetge: Herr Abgeordneter Rösler, Sie 
haben das Wort. 
Rösler (CDU): Herr Dr. Gerl! Darf ich Ihren Ausfüh 
rungen entnehmen, daß Sie nicht wie wir auf dem Stand 
punkt stehen, daß jeder bei uns die Freiheit hat, so zu 
leben, wie er es wünscht? Und wenn Sie auch auf diesem 
Standpunkt stehen sollten, dann frage ich Sie; Wie wollen 
Sie den einzelnen hindern, so zu leben, wie er leben will? 
Dr. Gerl (SPD): Herr Kollege Rösler, ich bin in der Tat 
der Meinung — und spreche sicher nicht für mich allein —, 
daß der einzelne nicht in seinem Freiraum lebt, und schon 
gar nicht dann, wenn er für sich beschließt, kriminell zu 
leben, sondern ich bin der Auffassung, daß der Staat und 
diese Gesellschaft es nicht untätig hinnehmen können, wenn 
sich jemand entscheidet, ein kriminelles Leben in dieser 
Gesellschaft zu führen. 
(Beifall bei der SPD und der F.D.P.) 
Herr Kollege Rösler, es gibt sicher — wenn Sie mich 
fragen: Was ist zu tun? — dazu — das habe ich ja zu 
Beginn gesagt — nicht nur ein einzelnes Rezept oder 
Konzept. Hier sind Konzepte zu entwickeln und sicher auch 
zu erproben, aber dieses eben in bezug auf alle Gefangenen; 
hier muß der Versuch der Resozialisierung in bezug auf 
jeden Inhaftierten gemacht werden und nicht nur auf 
Resozialisierungswillige! 
(Beifall bei der SPD und der F.D.P. — Abg. Rösler: 
Das gilt dann wohl bloß für Heß nicht!) 
Stellv. Präsident Baetge: Das Wort hat der Abgeordnete 
Schmitz. 
Schmitz (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und 
Herren! Herr Justizsenator, Sie erwarten weitere Begrün 
dungen für die Ablehnung Ihres Etats, wobei, wie ich 
glaube, wir unter uns wohl darüber einig sind, daß die 
Ablehnung des Etats eines Justizsenators nichts mit der 
Ablehnung der Justiz zu tun hat. Nun, Herr Senator, über 
eines müssen Sie sich natürlich im klaren sein: Wer wie 
Sie einem politischen Senat Schütz beitritt, muß auch die 
politische Konsequenz daraus ziehen. Sie können nicht das 
Vertrauen der Union erheischen und gleichzeitig Politik 
mitragen helfen, die wir nicht akzeptieren. 
(Beifall bei der CDU) 
Das zweite, Herr Senator, ist aber — auch eingedenk der 
kurzen Zeit, die Sie hier im Lande sind —, daß Sie sich in 
einer Reihe von nicht unwesentlichen Punkten zwielichtig 
verhalten haben. Ich will nur den Fall des Gefangenen Heß 
kurz andeuten. Hier sind Sie noch ein klärendes Wort über 
Ihre Position schuldig. Ob das heute hier der Fall sein muß, 
weiß ich nicht, aber ich will darauf hinweisen, daß Sie sich 
als Justizsenator über Ihre Motive in diesem Bereich selbst 
ins Zwielicht gebracht haben; das ist nicht ausgeräumt. 
Ein sehr viel wesentlicheres und ln der Zukunft wahr 
scheinlich noch viel gewichtigeres Problem, Herr Senator, 
liegt im Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft. 
Ich spreche hier von dem externen Weisungsrecht, damit 
wir nicht aneinander vorbeireden. Wir haben hier auf einen 
Vorgang hingewiesen, und Sie meinen, daß Sie das be 
rühmte „Haar in der Suppe" gefunden haben, das Ihnen 
doch die Möglichkeit gibt, Ihre Position bei dem hier kürz 
lich im Hause angesprochenen Fall zu halten. Ich will 
diesen Einzelfall nicht untersuchen, weil dies nicht Aufgabe 
des Hauses sein kann, aber ich will auf folgendes hinweisen, 
Herr Senator: Sie haben auf meine damalige Zusatzfrage 
das Weisungsrecht für sich in Anspruch genommen, aller 
dings mit der Einschränkung „nur zur Anklageerhebung“ 
und der Begründung, weil es ja dann noch ein unabhängiges 
Gericht gebe, das dann noch prüfe. 
Nun, Herr Senator, abgesehen davon, wie lebensfremd 
diese Auffassung ist, denn Sie übersehen natürlich völlig 
— und ich würde sagen: sogar bewußt —, daß es enorme 
Belastungen auch für den Unschuldigen ausmacht, wenn 
er mit einem Ermittlungsverfahren überzogen wird, Sie 
übersehen dabei auch, daß Sie hier in die Problematik 
hineinkommen, Staatsanwälte zu einem rechtswidrigen Tun 
aufzufordem. Ich weise Sie darauf hin, daß nach § 38 
Abs. 2 des Beamtenrechtsrahmengesetzes der Beamte nicht 
verpflichtet ist, dienstliche Anordnungen auszuführen, 
wenn das dem Beamten aufgetragene Verhalten strafbar 
oder ordnungswidrig und die Strafbarkeit oder Ordnungs 
widrigkeit für ihn erkennbar ist. Und nun sehen Sie, Herr 
Senator, und darauf müssen Sie achten, daß auch die 
Verfolgung Unschuldiger — und das wäre ja möglicher 
weise eine solche Weisung — erhebliche Probleme aufweist. 
Ich kann also nur die Frage an Sie richten, wie Sie dieses 
Weisungsrecht tatsächlich interpretieren wollen, und Ich 
darf Sie darauf hinweisen, daß der Unterausschuß der 
Justizministerkonferenz im Jahr 1971 — und danach hat es 
dazu keine Äußerung mehr gegeben, jedenfalls nicht von 
einem Justizsenator oder -minister, mit einer Ausnahme 
— das Weisungsrecht ausdrücklich beschränken wollte, und 
wir rechnen damit, daß die Neuorganisation der Staats 
anwaltschaften diese Problematik eines Tages anspricht. 
Da heißt es, daß das Weisungsrecht unter Berücksichtigung 
der Notwendigkeit einer rechtsstaatlichen, einheitlichen und 
sachgemäßen Strafverfolgung auf das unumgänglich not 
wendige Maß zu beschränken ist. Hintergrund dieser Be 
schränkung — wie ich hinzufügen möchte: dieser weisen 
Beschränkung — ist die Furcht, das Weisungen aus poli 
tischen Zweckmäßigkeits- oder Machtüberlegungen ge 
geben werden oder daß sie einen Eindruck vermitteln, der 
Mißdeutungen ermöglicht. Ich muß Ihnen ganz offen 
sagen: Das, was Sie das letzte Mal vorgetragen haben, und 
vor allen Dingen, wie Sie es vorgetragen haben, legte den 
Verdacht der Mißdeutung, des Mißbrauchs oder der 
Rechthaberei nahe. 
1917
	        
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