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Volume Nr. 44, 09.12.76

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1976, 7. Wahlperiode, Band II, 20.-45. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode 
44. Sitzung vom 9. Dezember 1976 
Senat wurstele so vor sich hin. Der Senat wurstelt — 
jedenfalls was den Vollzug anlangt — ganz gewiß nicht vor 
sich hin, sondern er ist dort außerordentlich tätig. Sie 
wissen ganz genau so gut wie ich, daß eine Umstellung 
auf ein neues Vollzugsgesetz, das einen anderen Geist 
atmet als die Dienst- und Vollzugsordnung, ganz notwendig 
Unruhe erzeugen muß, Unruhe bei jedem, der nach der 
alten Dienst- und Vollzugsordnung bisher gearbeitet hat. 
Ich habe Strafrichter kennengelemt, die mir gesagt haben: 
Der Herr verschone uns vor dem Inkrattreten der Straf 
rechtsreform vor unserer Pensionierung! — Es sind ja 
nicht nur die Vollzugsbediensteten. Jeder Mensch bleibt 
gern bei dem, was er erlernt hat und was er gewöhnt ist. 
Sie wissen ,daß es eine sehr mühsame Tätigkeit ist, hier 
im einzelnen die Lernprozesse anzustoßen, die erfolgen 
müssen. Lernprozesse übrigens von beiden Seiten, Lern 
prozesse nicht nur vom allgemeinen Aufsichtsdienst oder 
vom sogenannten kleinen Mann, nein, Lernprozesse auch, 
die von den Sozialarbeitern, von den Psychologen und 
Therapeuten im Strafvollzug übernommen werden müssen. 
Und ich habe mich bereits entschieden und angeordnet, daß 
in Zukunft Sozialarbeiter, die in den Vollzug gehen, zu 
nächst einmal zwei Monate im allgemeinen Aufsichtsdienst 
tätig sind, damit sie dessen Probleme kennenlemen und 
nicht vom grünen Tisch her und hochnäsig vielleicht ihre 
Entscheidungen treffen. 
(Abg. Hösler: Das ist gut!) 
Meine Damen und Herren! Herr Rösler hat noch weitere 
Unruhe angesprochen, Unruhe im Bereich der Einstellung 
der Praktikanten. Ich warne Sie, Herr Rösler. Ich habe 
einige Anzeichen dafür ,daß es im Falle Frau August 
genauso gehen wird wie im Falle Lehner. Jedenfalls hat 
Frau August bereits jetzt erklärt — und das müßte eigent 
lich schon zu Ihnen durchgedrungen sein —, daß sie so bald 
hierher nach Berlin nicht kommen wolle, sondern daß sie 
sich noch ein wenig rar machen möchte. Wir werden sie 
frühestens im Frühjahr -— wenn überhaupt — haben. 
(Abg. Rzepka: Da sehen Sie, wie wenig Sie sich 
durchsetzen können!) 
Wenn Sie den Punkt Walther-Rathenau-Schule anspre 
chen, so darf ich Ihnen sagen, ich habe inzwischen fest 
gestellt, daß die Staatsanwaltschaft unzureichend überprüft 
hat, ob etwa der § 86 a StGB an Verbindung mit § 86 Abs. 1 
Nr. 4 verletzt ist. Sie wissen, da geht es um die Strafbarkeit 
von nazistischen Äußerungen; schon der „Deutsche Gruß“ 
ist, wie gerade eine frische BGH-Entscheldung gesagt hat, 
eine strafbare Handlung nach § 86 a StGB. Darauf scheint 
mir der Komplex nicht ausreichend untersucht zu sein, 
und darauf zu achten ist nicht nur mein Recht, sondern 
ist meine Pflicht. 
Und schließen haben Sie — wenn ich mal so sagen 
darf — eine neue Kamelle gebracht, nämlich diese Äuße 
rung, die ich vor Amnesty International gemacht habe. Sie 
geht zurück auf eine Buchbesprechung der Zwei-Bände- 
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Men 
schenrechte, und es ist ein Fall, der Ihnen als Berliner 
eigentlich bekannt sein müßte, es ist nämlich der Wemhoff- 
Fall, bei dem es eine überlange Untersuchungshaft gegeben 
hat und wo ein großer Teil des Gerichtshofs der Auffas 
sung war, daß diese Haft zu lang gewesen sei, und daß man 
die Bundesrepublik hätte rügen müssen; die Mehrheit ist 
allerdings dagegen gewesen. Ich gebe Ihnen auch noch das 
Zitat: Die Besprechung finden Sie in der Zeitschrift „Der 
Zivilprozeß“. 
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will meine 
Zeit nicht überziehen, ich will Sie vor allen Dingen nicht 
nur mit Vollzug hier molestieren. — Ein besonderes Pro 
blem scheint mir zu sein — und ist auch schon im vergan 
genen Jahr und eigentlich immer die Verfahrensdauer in der 
Justiz gewesen, und hier insbesondere die Verfahrensdauer 
im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkelt. Bei dieser Ver 
fahrensdauer der Verwaltungsgerichtsbarkeit haben wir 
uns bemüht, etwas Bürgerfreundliches zu tun. Wir bekom 
men dank Ihrer Hilfe eine neue Kammer, weil wir einen 
Vorsitzenden Richter erhalten und zwei Richter aus der 
Sozialgerichtsbarkeit herausnehmen. Wir wollen es aber 
damit nicht genug sein lassen. Es handelt sich hier um ein 
von mir Vorgefundenes Problem — im übrigen nicht um ein 
auf Berlin beschränktes Problem —, denn schon früher 
haben Sie sich damit befaßt. Es gibt, wie Sie wissen, auch 
einen Entwurf der Chefpräsidenten der Verwaltungs 
gerichtsbarkeit, der versucht, auf gesetzgeberischem Wege 
hier Vereinfachungen und damit Beschleunigungen des 
Verfahrens zu bringen. Wir haben uns darum bemüht, 
diesen Entwurf der Oberverwaltungsgerichtspräsidenten 
durchzukämmen, und haben versucht, auf Bundesebene eine 
Initiative zu ergreifen, eine Initiative in Form der Anre- 
regung einer kurzen Novelle, die drei Voraussetzungen 
gerecht wird: Einmal muß sie recht kurz sein, sonst teilt 
sie das Schicksal der Beschleunigungsnovelle im Zivil 
prozeß; zweitens muß sie unbedingt etwas bringen; und 
drittens darf sie die Zusammenführung der drei Verwal 
tungsverfahren nicht präjudizieren. Diese Novelle zur 
Beschleunigung des Verwaltungsstroitverfahrens haben 
wir von Berlin aus bereits in der Bundespartei, im zuständi 
gen Arbeitskreis der Fraktionen und im Bundesfachaus 
schuß auf den Weg gebracht. Ich hoffe, daß auf diese 
Weise — die Einzelheiten möchte ich Ihnen hier nicht vor 
tragen — auch eine Beschleunigung der Verwaltungsstreit 
verfahren erreicht wird, eine Beschleunigung, die nicht auf 
Kosten der Rechtssicherheit und nicht auf Kosten des 
Schutzes des Bürgers geht. Auch hier sind wir also darum 
besorgt, dem Bürger schneller zu seinem Recht zu ver 
helfen. 
Wenn das, meine Damen und Herren von der Opposition, 
was Sie bisher vorgetragen haben, alles ist, was Sie zum 
Justizhaushalt zu sagen haben, dann müßte ich eigentlich 
das ganze Haus bitten, diesen Justizhaushalt anzunehmen, 
es sei denn, Sie stehen auf dem Standpunkt: Die ganze 
Justiz paßt uns nicht! 
(Beifall bei der F.D.P. und der SPD) 
Stellv. Präsident Baetge: Das Wort hat der Abgeordnete 
Rzepka. 
(Zurufe von der SPD: Muß das sein?) 
Rzepka (CDU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten 
Damen und Herren! Wir hätten ja eigentlich erwartet, 
daß der Senator nicht so sehr theoretische Erwägungen 
anstellt, sondern Antworten auf praktische Fragen gibt. 
Wir hätten zum Beispiel von Ihnen, Herr Senator Dr. Bau 
mann, erwartet, daß Sie hier der vom Abgeordneten Ro- 
loff vorgetragenen Richterschelte energisch widersprochen 
hätten; 
(Beifall bei der CDU) 
denn inzwischen hat sich ja dieses Urteil — einschließlich 
seiner Begründung — über die Zustände im Haus IV der 
Strafanstalt Tegel als richtig erwiesen. Wir haben 
Aussagen auch des Leiters des zuständigen Fachbereichs 
Soziales Training, der im wesentlichen genau das, was 
in diesem Urteil über die Zustände in diesem Bereich 
ausgesagt wurde, bestätigt hat. Und Sie selbst, Herr 
Senator Dr. Baumann, haben ja im Justizausschuß dar 
auf hingewiesen, daß dieses großartige Modell, das uns 
jahrelang als Idealbild des Strafvollzuges überhaupt ge 
priesen worden ist, weitgehend nicht funktioniert. Hierzu 
hätten wir von Ihnen konkrete Aussagen erwartet. Wir 
stellen uns hier hinter diese richterliche Unabhängigkeit 
und hinter dieses Urteil, das sich ln der Praxis als richtig 
erwiesen hat. 
Ich darf noch mal eines auch zu den Koalitionsfraktio 
nen sagen: Wir sind bereit, sinnvolle Reformansätze im 
Strafvollzug mitzutragen. Wir haben aus diesem Grunde, 
zusätzlich auch aus den Gründen der Sicherheit in unseren 
Strafanstalten, der Ausdehnung des Bestandes der Justiz 
vollzugsbediensteten zugestimmt. Wir werden auch eine 
vernünftige Konzeption einer Frauenhaftanstalt mittragen. 
Wir haben das gesagt, und wir werden uns dementspre 
chend in der nächsten Zeit politisch verhalten. Aber was 
wir nicht mittragen werden, ist, daß der Justizvollzugs 
dienst zunehmend durch unklare Aussagen, durch ver- 
1915
	        
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