Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
43. Sitzung vom 8. Dezember 197c
1848
gen und keine falschen Zahlen bringen, und wir müssen
wissen, daß der Kern der Arbeitsplatzpolitik im Bereich
der Industrie liegen muß und daß alles andere, was im
Bereich Dienstleistungen und ähnlichem angestrebt wird,
so richtig, so notwendig, nützlich und wichtig das für Ber
lin ist, für die Arbeitsplatzpolitik sekundär ist. Unser Be
streben muß auf die Förderung der Arbeitsplätze in der
Industrie gerichtet sein. Dazu
(Abg. Wronski: Wenn das der Fall ist, wozu
dann ein Kongreßzentrum ?)
— Ich habe von der berlinpolitischen Wichtigkeit, Nützlich
keit und Notwendigkeit gesprochen. Aber niemand hat das
Kongreßzentrum unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsplatz
beschaffung gewollt. Neue Arbeitsplätze, Herr Wronski,
werden in der Industrie gebraucht und geschaffen. Dort ist
die arbeitsplatzintensive Produktion und nicht im Dienst
leistungsbereich. Wir haben doch gerade wegen unserer
Bevölkerungsentwicklung und aus den Überlegungen her
aus, daß wir nicht nur Arbeitsplatzpolitik machen, sondern
auch Leute zum Kongreßbesuch nach Berlin bekommen
müssen, den Dienstleistungsbereich gefördert und fördern
ihn weiterhin, aber man kann doch nicht alles nur einäugig
durch eine Brille sehen.
(Abg. Peter Lorenz: Machen wir doch nicht.
Wir haben eher drei Augen!)
Der Senat wird nicht nur einspurig Vorgehen, sondern breit
angelegt seine Wirtschaftspolitik weiter betreiben, und wir
werden uns nicht davon beeindrucken lassen, daß hier das
eine oder andere schöne Wort gesagt ist. Wenn wir Vor
schläge machen, dann haben sie Hand und Fuß, sind ab
gestimmt mit denen, die das Geld geben. Wir wollen hier
keine leeren Versprechungen machen. Dies wäre ein ge
fährlicher Weg für Berlin.
(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)
Stellv. Präsident Baetge: Das Wort hat der Abgeordnete
Franke.
Franke (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Her
ren! Herr Kollege Riehl und Herr Kollege Kayser! Zu
Ihrem Vorwurf, daß bisher noch kein Mitglied der Enquete-
Kommission aus der CDU-Fraktion gesprochen hat, kann
ich nur sagen: Es ist bisher noch immer guter Stil in die
sem Hause gewesen, daß Mitglieder solcher Kommissionen
und auch Mitglieder von Untersuchungsausschüssen zu
nächst einmal die Fraktionen zu Wort kommen lassen,
denn diese Kommission ist im Aufträge des Abgeordneten
hauses tätig geworden, und so sollten wir in Zukunft auch
verfahren. Aber vielleicht kann man mit Ihnen über Stil
fragen nicht mehr sprechen.
(Beifall bei der CDU)
Weiterhin, Herr Kollege Hucklenbroich, Sie haben hier lei
der ein paar Mal den Vorwurf erhoben, daß wir zur Frage
der Berlinpolitik und der Frage, die wir heute diskutieren,
mit nationalem Pathos sprechen, und damit könne man
keine Probleme lösen. Sicher kann man das nicht mit
nationalem Pathos tun. Da stimme ich Ihnen zu. Aber ich
möchte darauf hinweisen, daß wir — im übrigen im Ein
vernehmen mit den früheren Bürgermeistern dieser Stadt,
sei es Herr Reuter gewesen, Herr Suhr oder auch Herr
Brandt und sicherlich auch der jetzige Regierende Bürger
meister — Berlin nach wie vor als nationale Aufgabe an-
sehen. Wenn das bei Ihnen nicht mehr der Fall sein sollte,
würden wir das sehr bedauern. Vielleicht können Sie das
nachher einmal zurechtrücken.
Nun ist hier vorhin sehr oft der Vortrag von Herrn Dr.
Watter vom DIW zitiert worden, aber wie das so üblich ist
und wie man das gern macht, leider sehr unvollständig.
(Zurufe)
Sie haben ihn offensichtlich nicht vor sich! Deswegen
möchte ich den entscheidenden Satz, den Herr Dr. Watter
in seinem Vortrag in der vorigen Woche gesagt hat, hier
noch einmal zitieren. Er sagt darin einleitend: „Daran, daß
die Zahl der Einwohner dieser Stadt schrumpfen wird, führt
meines Erachtens nichts vorbei. Aber“ — und jetzt kommt
das Entscheidende, was er sagt — „das Ausmaß des zu er
wartenden Rückganges ist in gewissem Rahmen allerdings
politisch steuerbar, und es soll gesteuert werden.“ Genau
das ist das Entscheidende, genau das ist es, was wir wol
len. Wir wollen den Versuch machen, diesen Rückgang zu
steuern. Bei Ihnen sieht man diese Absicht nicht, sondern
(Beifall bei der CDU)
Sie haben in jedem Redebeitrag der Sprecher der Regie
rungsfraktionen heute hier zugegeben, daß die Zahl
1,75 Millionen und sogar noch eine Zahl darunter für Sie
die realistische Zahl ist und daß es für Sie nichts zu ändern
gibt. Sie haben mit keinem Beitrag zu erkennen gegeben,
daß Sie steuern wollen.
(Zuruf von Abg. Horst Vetter)
Wir machen der Versuch! Und weil Herr Dr. Watter hier
mehrfach genannt worden ist und weil die Frage der
Wohnungsversorgung für diese Stadt nach wie vor von
eminenter Wichtigkeit ist, lassen Sie mich dazu noch ein
paar Ausführungen machen:
Wir haben aufgrund der Diskussionen in der letzten Zeit
festgestellt, aber auch aufgrund des Gutachtens, das hier
zitiert worden ist, daß zwar die quantitative Wohnungs
versorgung in Berlin durchaus als ausreichend angesehen
werden könnte, wenn man nur von der Zahl ausgeht, daß
es aber qualitativ auf dem Wohnungsbausektor bei uns in
Berlin im argen liegt und daß hier dem Senat in der Tat
eine Reihe von Vorwürfen zu machen sind. Der Senat hat
in dieser Frage in den letzten Jahren nichts getan. Er hat
seine ganze Wohnungsbaupolitik einseitig ausgerichtet, und
er hat offensichtlich auch früher falsche Vorstellungen von
den Zahlen gehabt. Denn, Herr Kollege Heß, Sie haben ja
den Regierenden Bürgermeister Reuter zitiert, von dem Sie
gesagt haben, er würde sich nicht an der magischen Ein
wohnerzahl festhalten. Soweit, so gut! Bloß dann frage ich
Sie: Hat denn der Bausenator Schwedler mit Einverständ
nis des gesamten Senats offensichtlich und auch unter Bei
fall Ihrer Fraktion ein paar Jahre später — 1958, ich gebe
zu, es ist eine Weile her, aber immerhin — im Zusammen
hang mit einer Diskussion über den Baunutzungsplan ge
sagt:
So wird es möglich, die für Berlin vorgesehene Ein
wohnerzahl von 4 bis 4,5 Millionen, die unseren Pla
nungsüberlegungen zugrundeliegt, trotz der Auflocke
rung der Innenstadt im bisherigen Weichbild unter
zubringen und gleichzeitig die Außenbezirke wirtschaft
lich zu nutzen und zu bedienen.
Da waren es ganz andere Zahlen. Wir alle wissen, die sind
heute mit Sicherheit nicht realistisch. Aber Sie sollten nicht
so leichtfertig mit Zitaten umgehen, wenn andere Regie
rungsmitglieder der gleichen Partei andere Auffassungen
haben, oder Sie sollten sich vorher ein bißchen besser ab
sprechen.
(Abg. Hucklenbroich: Da wart Ihr noch mit in
der Regierung!)
— Selbstverständlich! Wir haben uns auch immer bemüht
und bemühen uns auch heute noch, die Zahl der Einwohner
dieser Stadt möglichst groß zu halten. Daran gibt es gar
keinen Zweifel. Selbstverständlich! Sie machen das eben
nicht, das ist ja das, was wir Ihnen vorwerfen.
Ich will nun die Zahlen über die Quantität der Woh
nungen nicht allzu sehr vertiefen; sie sind Ihnen weit
gehend bekannt. Fest steht, daß in dieser Frage Berlin am
Ende der Versorgung liegt, und fest steht auch, daß hi® r
erhebliche Anstrengungen in der Zukunft erforderlich sind,
um eine bessere Wohnungsversorgung zu erreichen. Es
stimmt einfach nicht, Herr Kollege Kayser, wenn Sie sagen,
daß wir im Grunde genommen genügend große Wohnungen