Abgeordnetenhaus von Berlin — 7. Wahlperiode
43. Sitzung vom 8. Dezember 1976
1826
aufweisen, daß hier doch ganz offensichtlich ein deutliches
Mißverhältnis klafft, so daß uns Ihre Antwort noch nicht
in allen Punkten befriedigen kann.
Zuerst zur Aussage hinsichtlich der Verfahrensdauer:
Wir wissen, daß die Zeiten oft über die von Ihnen genann
ten Halbjahresfristen — jeweils für den ersten Bescheid
und dann für die Bearbeitungszeit beim Widerspruchsaus
schuß — hinausgehen. Hier kommen Sie insgesamt zu
einem Jahr. Wir haben Informationen, daß das in diesem
Bereich wesentlich länger dauert. Ich glaube, das Land
Berlin sollte sich darum bemühen, auf eine Verkürzung die
ser langen Fristen hinzuwirken, da jeder Monat erhebliche
Auswirkungen für den Steuerzahler hat.
Hinsichtlich der Frage des Mißbrauchs des Bundessozial
hilfegesetzes lassen Sie mich noch einige Ausführungen
machen; Herr Senator Neubauer, was Sie hier gesagt
haben, erweckte den Eindruck, daß Ihnen die Fälle offen
sichtlichen Mißbrauchs, die sich vielfach ereignen, über
haupt nicht bekannt sind. Es ist deshalb vielleicht sinnvoll,
das hier einmal kurz anzusprechen. Es ist zum Beispiel so,
daß ein großer Teil dieses Personenkreises mehrfach nach
West-Berlin eingereist ist und während des Asylverfahrens
und des Sozialhilfebezuges Erholungsurlaub in arabischen
Ländern machte. Das ist bekannt und betrifft einen großen
Teil. Es sind sogar Fälle bekannt geworden, in denen Asyl
suchende fünfmal nach West-Berlin eingereist sind. Die
Frage des vorsätzlichen Verschweigens von Arbeitsverhält
nissen, die neben der Inanspruchnahme der Sozialhilfe ein
gegangen werden, ist eine weitere Problematik, die in zahl
reichen Fällen bekannt ist, so daß die Annahme eines Miß
brauchs gegeben ist, und es auch zumindest in diesen Fäl
len möglich ist, die mißbräuchliche Inanspruchnahme des
Bundessozialhilfegesetzes nachzuweisen.
Wir glauben, daß hier doch noch nicht alle Möglichkeiten
ausgeschöpft worden sind, daß der Senat zu lange gewartet
hat, um die Möglichkeiten des § 120 des Sozialhilfegesetzes
durch die zuständigen Sozialhilfeträger stärker in An
spruch zu nehmen.
Insbesondere macht uns Sorge die Verteilung des Per
sonenkreises auf die einzelnen Bezirke. Wir müssen fest
stellen, daß gerade der Bezirk Kreuzberg, der von seiner
sozialen Struktur her vielfältige Probleme hat, in beson
derer Weise belastet ist. Es fehlen in Ihrer Antwort auf
unsere Große Anfrage Ausführungen dazu, wie eine Ent
zerrung erreicht werden kann. Wir halten es für außer
ordentlich wichtig, daß auch von seiten des Senats Ver
suche unternommen werden, nicht noch die Bezirke stärker
zu belasten, die bereits erhebliche Probleme in diesem
Bereich haben.
Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt kurz an
sprechen, und zwar haben wir nach § 108 des Bundessozial
hilfegesetzes einen Länderausgleich hinsichtlich der Kosten,
die die Sozialhilfeträger für diesen Personenkreis aufzu
bringen haben. Wir haben Informationen, daß das zu
ständige Bundesamt die Festsetzung hinsichtlich der Aus
gleichszahlungen erst nach Abschluß der Asylverfahren
einleitet und vornimmt. Das bedeutet, daß bei vier- bis
sechsjähriger Dauer der Asylverfahren das Land Berlin
über diese Zeit in ganz erheblicher Weise belastet wird.
Auch hier scheint es uns notwendig zu sein, von selten des
Senats eine Initiative zu entfalten, damit die Möglichkeiten
verbessert werden.
Vielleicht hier erst einmal ein Einschnitt. Ich hoffe, daß
wir in der Diskussion zu den Fragen noch einiges hören
werden. Insbesondere würde unsere Fraktion interessieren,
ob vom Senat Zahlen hinsichtlich der Größenordnung ge
nannt werden können. Wieviel Kosten kommen auf die
Sozialhilfeträger in Berlin jährlich durch diese große Zahl
der asylsuchenden Ausländer zu, wenn es gegenwärtig ca.
5 000 sind, wenn jährlich etwa 750 dazukommen ? Was macht
das aus, welche Mittel hat der Steuerzahler aufzubringen?
Herr Senator Korber, vielleicht können Sie uns dazu Zahlen
nennen?
Zum Abschluß noch einmal die besondere Problematik —
und nur so wird ja letzten Endes das Problem in den Griff
zu bekommen sein —, die dadurch entsteht, daß die Betref
fenden über die Interflug ohne Sichtvermerk nach Ost
berlin einreisen können und von dort nach West-Berlin kom
men: Vielleicht wird auch hier möglicherweise in einem
abzuschließenden Luftverkehrsabkommen mit der DDR
seitens des Senats darauf hingewirkt werden müssen, daß
die Bundesregierung anstrebt, auch in diesem Punkt eine
Regelung zu finden, so daß nicht mehr asylsuchende Aus
länder ohne Sichtvermerk über Ostberlin nach West-Berlin
einreisen können. Vielleicht ist das in diesem Zusammen
hang eine Anregung. — Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der CDU)
Stellv. Präsident Sickert: Das Wort hat Herr Senator
Korber.
Korber, Senator für Arbeit und Soziales: Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich darf um Verständnis bitten,
wenn ich mich jetzt gleich gemeldet habe, aber einfach
deshalb, weil ich ergänzend eine Information geben möchte,
die dann gegebenenfalls gleich Eingang finden könnte in
die Diskussion, von der ich allerdings annehme, Sie müßten
sie eigentlich aufgrund Ihrer guten Kontakte auch zu Ihren
Sozialstadträten kennen.
Wir sehen das Problem und haben es mit den Bezirks
stadträten seit geraumer Zeit erörtert, daß insbesondere die
drei Bezirke, nämlich Kreuzberg, Wedding und Tiergarten,
die auch sonst stark von der Ausländerbevölkerung fre
quentiert sind, entlastet werden müssen. Dies kann nur
durch eine Anweisung geschehen, die in Vorbereitung ist
und die ich per 1. Januar 1977 erlassen werde, und zwar
durch eine Änderung der örtlichen Zuständigkeiten der
Sozialhilfe für diesen Bereich. Das wird sich dann tech
nisch so vollziehen, daß auf den Duldungsbescheid neue
Endziffern — die Null wird ausgeklammert, da bleiben
neun Bezirke übrig — stehen werden, so daß ab 1. Januar
1977 jeder der neun Bezirke die gleiche Anzahl von Aus
ländern, die aus Zirndorf kommen — eine absolute Gerech
tigkeit gibt es nicht — zugewiesen bekommen. Die drei
bisher schon belasteten Bezirke bleiben also in Zukunft
ausgeklammert.
Die Zweite Information: Sie können nicht von 5 000 Per
sonen ausgehen, weil nämlich sozialhilferechtlich weniger
als 2 000 betreut werden. Ich schätze jetzt, ich kann Ihnen
nicht die genaue Zahl nennen, den Betrag auf etwa zwi
schen fünf und sechs Millionen Mark jährlich.
Stellv. Präsident Sickert: Das Wort hat der Abgeordnete
Lippschütz.
' Lippschütz (SPD); Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich zunächst
ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu dem Fragen
komplex mache.
Vier Worte sind es, die einem politisch Verfolgten Hoff
nung geben können, und vier Worte sind es auch, die einem
Menschen ein Leben retten können. Diese vier Worte sind
im Artikel 16 des Grundgesetzes festgeschrieben und lau
ten: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(Abg. Rzepka: Stellt doch keiner in Frage!)
Daß dies im Grundgesetz steht und nicht z. B. in der Ber
liner Verfassung, macht auch deutlich, daß es sich hierbei
um eine Angelegenheit handelt, für die in erster Linie der
Bund tätig zu werden hat.
Lassen Sie mich aber noch einmal wiederholen, weil ich
es für besonders wichtig halte, was der Herr Innensenator
eben gesagt hat. Die Einordnung des Asylrechts in den
Katalog der Grundrechte zeigt, welchen Rang diesem Recht
politisch Verfolgter eingeräumt wird. Sozialdemokraten
werden immer — und ich unterstelle, die anderen Mltgüe-