Path:
Volume Nr. 42, 26.11.76

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1976, 7. Wahlperiode, Band II, 20.-45. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode 
43. Sitzung vom 26. November 1976 
1759 
auf hin, daß die Hürden, die das Gesetz vor die Abtreibung 
gestellt hat, in der Praxis manchmal etwas höher gesetzt 
werden, als dies eigentlich notwendig wäre. Die Kollegin 
Niedergesäss wird nachher darauf noch im einzelnen zu 
rückkommen. Was ich hier schon Vorschlägen möchte und 
was in einem Bericht über die Reform des § 218 in Berlin 
doch eigentlich hineingehört, ist eine Darstellung der Praxis 
aus der Sicht der betroffenen Frauen. Das hat hier einfach 
gefehlt. Es müßte doch möglich sein, die Frauen, die ihre 
Schwangerschaft in Berlin unterbrechen, zu bitten, dar 
über Auskunft zu geben, wie sie das Verfahren empfunden 
haben. Wo ihnen unnötige Hindernisse in den Weg gelegt 
worden sind und welche Vorschläge zu Verbesserungen 
führen sollten. Ich glaube, da könnte einiges dazu bei 
tragen, Schwachstellen in der Praxis herauszufinden und 
für ihre Beseitigung zu sorgen. Nur so können wir ver 
hindern, daß Frauen in die Illegalität gedrängt werden. 
Nun noch kurz zwei Punkte, wo mir die Antwort des 
Senators zu wenig konkret erscheint. Von der Beratung, 
die doch ein Kernstück der Reform des § 218 darstellt, 
haben wir eigentlich wenig Greifbares erfahren. Wir kön 
nen nicht alle Zweifel ausräumen, ob die Fort- und Weiter 
bildung für diese Aufgabe ausreicht. Ich habe einige Be 
denken, wenn es für die Zulassung eines Arztes zur 
Beratung auch über soziale Fragen nach einem Referenten 
entwurf des Senators ausreichen soll, wenn dieser Arzt nur 
an einem ganztägigen Seminar teilgenommen hat. Das ist 
einfach zu wenig, um hier den Frauen die entsprechende 
Beratung zuteil werden zu lassen. Mehr hätte ich auch 
gern über die Verwirklichung der Möglichkeit gehört, 
Schwangerschaftsabbrüche in den Krankenhäusern des 
Landes Berlin ambulant durchführen zu lassen. Auch wenn 
Herr Dr. Hasenclever hier eingewendet hat, daß Erfah 
rungen ausreichen müssen, d. h., daß Erfahrungen erst 
gesammelt werden sollen. Aber, Herr Dr. Hasenclever, ich 
glaube, die Medizin hat doch viele Jahre die Möglichkeit 
gehabt, Erfahrungen zu sammeln. Insofern ist mir das im 
Moment nicht ganz verständlich. Ich glaube, daß bei den 
Frauen der Wunsch nach ambulanter Behandlung bereits 
heute besteht und daß ihre Einführung daher nicht länger 
hinausgeschoben werden muß. Es müßte doch möglich 
sein, wenigstens an einem Krankenhaus umgehend die 
Voraussetzungen dafür zu schaffen, und wenn ich den 
Herrn Senator vorhin richtig verstanden habe, wird er in 
Zukunft bald dafür sorgen. Ich danke für Ihre Aufmerk 
samkeit. 
(Beifall bei der F.D.P. und der SPD) 
Stellv. Präsident Sickert: Das Wort hat Herr Senator 
Baumann. 
Dr. Baumann, Senator für Justiz: Herr Präsident! Meine 
sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungen des 
Abgeordneten Dr. Hasenclever geben mir doch Veranlas 
sung, hier wenigstens einige Worte zu sagen. Zuvor darf 
ich aber vielleicht noch hinweisen auf die tatsächlichen 
Zahlen, wie sie sich hier in Berlin im justiziellen Bereich 
ergeben. Wir haben Ermittlungsverfahren gehabt 1972 25, 
1973 15, 1974 13, 1975 7. Von diesen sieben Verfahren ist 
es übrigens nur in vier Fällen zu einer Verurteilung ge 
kommen, und im Jahre 1976 hat sich nichts an dieser Zahl 
geändert. Auch Mitte des Jahres 1976 ist also keine ent 
scheidende Veränderung festzustellen. 
Zu dem Streit um die Fristenlösung oder Indikations 
lösung gestatten Sie mir einige wenige Bemerkungen: Ich 
fühle mich insofern legitimiert, als wir ja jedenfalls die 
Pristenlösung nicht erfunden, aber doch wieder in das 
Gespräch gebracht haben und als ich zweitens von Anfang 
an bedauert habe, daß man von einer Fristenlösung ge 
sprochen hat. Die Frist ist doch nicht das eigentliche an 
dieser Lösung. Man hätte sie von vornherein „Beratungs 
lösung“ nennen sollen, und ich selbst habe sie auch immer 
so genannt. Nicht, daß eine Frist genannt wird, ist das 
Entscheidende. Fristen haben wir doch auch jetzt bei den 
einzelnen Indikationen. Und, Herr Dr. Hasenclever, wir 
sind ganz einig darüber: Dem Schmerz der Grenze kann 
man nie entgehen, man muß immer irgendwelche Wochen 
bezeichnen. Und achtzehn Jahre es gibt Leute, die 
schon früher gescheit werden, und es gibt auch solche, die 
später nicht gescheit werden. Also wir müssen immer mit 
Fristen arbeiten. Wir wissen als Juristen um die Unvoll 
kommenheit solcher Fristen, aber im Kern sind wir uns 
doch einig, daß, wenn ein solcher Abbruch der Schwanger 
schaft erfolgt, wenn also ein werdendes Leben getötet wird 
— darüber haben wir auch nie einen Zweifel gelassen —, 
daß das dann in einem möglichst frühen Stadium und nicht 
in einem späten Stadium erfolgen soll. 
Zur Beratungslösung: Sie wissen sicher auch — oder wenn 
nicht, möchte ich es hier noch einmal ausdrücklich betonen, 
daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch die 
Beratungslösung akzeptiert hätte. Dann nämlich, wenn 
eine effektive Beratung von vornherein sichergestellt ge 
wesen wäre. Das hat dem Bundesverfassungsgericht ge 
fehlt: Die Frist zwischen der Beratung und der Entschei 
dung, und dem Bundesverfassungsgericht hat natürlich 
nicht gepaßt, daß die Beratung ausgerechnet durch den 
abbrechenden Arzt erfolgen sollte. Sie können es im Urteil 
des Bundesverfassungsgerichts nachlesen. Ich kenne es 
sehr gut, denn Ich habe seinerzeit mit Frau Liselotte 
Funcke und Herrn Ehmke zusammen die Bundesregierung 
und die beiden Koalitionsfraktionen in Karlsruhe vertreten. 
Wenn das Gesetz in diesen beiden Punkten besser gewesen 
wäre, wäre es nicht für verfassungswidrig erklärt worden. 
Die Beratung ist also das Entscheidende, und deshalb 
bin ich froh über das, was Herr Kollege Pätzold hier heute 
vorgetragen hat. Ich brauche Ihnen kaum zu sagen, daß 
das Strafrecht kein Allheilmittel ist. Erinnern Sie sich 
vielleicht an den Versuch der Nationalsozialisten, das Straf 
recht im Bereich des § 218 zu verschärfen. Die älteren 
Juristen unter uns kennen diese Geschichte noch, wo man 
aufgrund der Verschärfung der Strafandrohung für die 
sogenannte Fremdabtreibung in § 218 Abs. 2 — oder 3 — 
die FYemdabtreibung zum Verbrechen gemacht hatte, sie 
mit Zuchthaus bedroht hatte — was ja ethisch vielleicht 
durchaus richtig sein mag, daß jemand, der es um des 
schnöden Mammons willen tut, einer härteren Strafe zu 
geführt werden muß —, aber in der Praxis hat es ja ganz 
anders gewirkt. Das war die blanke Erpresservorschrift. 
Denn wenn die Schwangere hinterher von dem Arzt als 
Patientin akzeptiert worden war und wenn sie dann ihre 
Freundin schickte, dann sagte die: sie haben doch schon 
einmal Und wenn der Arzt sagte: ihre Freundin 
aber auch, dann wurde dem Arzt entgegengehalten: Ihnen 
aber droht Zuchthaus, mindestens ein Jahr, der Freundin 
fast gar nichts. Eine Verschärfung von Strafvorschriften, 
die ethisch berechtigt sein mag oder moralisch berechtigt 
sein mag, hat sich eben nur allzu oft als wenig effektiv 
und gerade das Gegenteil von dem bewirkend, was sie 
bewirken wollte, herausgestellt. 
Gegen Motivationen müssen Gegenmotivationen gesetzt 
werden. Gegenmotivationen können nur über die Bera 
tungsstelle gesetzt werden; Gegenmotivationen im medizi 
nischen Bereich. Der Kurpfuscher oder die Engelmacherin 
klärt doch die Schwangere nicht auf darüber, ob es viel 
leicht die einzige Chance für sie ist, ein Kind zu bekommen. 
Wer klärt denn die Schwangere auf über die sozialen Mög 
lichkeiten, die Möglichkeiten von Sozialhilfe, wer erteilt 
ihr denn rechtliche Aufklärung? Der Schwangerer doch 
nun schon mal bestimmt nicht über die Rechte des nicht 
ehelichen Kindes und über die Ansprüche, die ihm gegen 
über bestehen können. Eine psychologische Aufklärung 
muß erfolgen. Wir sind durchaus der Meinung, daß eine 
Unterbrechung, ein Abbruch der Schwangerschaft eine 
Traumatisierung zur Folge haben kann. Aber darüber klärt 
doch der illegale Abtreiber und die Engelmascherin gewiß 
nicht auf. Und wir haben auch gar nichts gegen, sondern 
alles für eine seelsorgerische Beratung in diesem Bereich. 
Das alles ist nur dann möglich, wenn die Frau aus ihrer 
Isolation herausgeführt wird, wenn für sie eine Kontakt 
stelle geschaffen wird, und diese Kontaktstelle kann eben 
nicht sein eine Gutachterstelle, von der sie sich observiert 
glaubt, sondern immer nur eine Beratungsstelle. 
Und natürlich hat uns das 15. Strafrechtsänderungs 
gesetz eine Indikationenlösung gebracht. Aber eine Indi 
kationenlösung mit Beratungsstelle, und das ist das Eigent-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.