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Volume Nr. 18, 12.12.75

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1975, 7. Wahlperiode, Band I, 1.-19. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode 
18. Sitzung vom 12. Dezember 1975 
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Zur Integration dieser Menschen gehört selbstverständlich 
- das sollte man dabei nicht ausklammern - der Bereich 
Schule und Berufsausbildung. Hier sind dieselben Maßnah 
men entsprechend anzuwenden. 
Zur Frage der Obdachlosen kann ich auf die zur Zeit im 
Ausschuß stattfindende Beratung der Senatsvorlage hin- 
weisen. Ich glaube, sie hat in wesentlichen Punkten die 
Zustimmung aller Fraktionen dieses Hauses gefunden. 
Die Situation der geistig und körperlich behinderten Men 
schen ist ein weiteres Problem, das wir im Sozialbereich 
zu beachten haben. Vieles wurde hier getan, aber wir müssen 
uns dabei wirklich fragen; Reicht das, was getan wurde? 
Auch hier wird noch einiges aufzuzeichnen sein; die Energie 
hierzu wird beim neuen Senat vorhanden sein. 
Ein Gedanke bezüglich der Körperbehinderten sollte hier 
noch in den Raum gestellt werden und zu weiteren Über 
legungen Anlaß geben, und zwar die Schulen für geistig und 
körperlich Behinderte, die heute noch in Händen der Be 
zirke liegen. Wir sollten uns Gedanken darüber machen, ob 
diese Schulen für Behinderte nicht eines Tages in die Lan 
desaufsicht überführt werden können; denn die Probleme 
dieser kranken Menschen sind nicht auf Bezirksebene zu 
lösen, sie sind keine Konzeption der Bezirke, sie sollten eine 
Konzeption des gesamten Landes, also des Schulsenators 
sein. 
Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion hat - das 
glaube ich trotz der Rede des Herrn Kollegen Wischner 
erkennen zu können - in vielen Dingen positiv in den Aus 
schüssen mitgearbeitet, sie hat zu vielen Dingen positiv 
Stellung genommen. Wir sollten also auch hier die Bitte 
an sie herantragen: Stimmen Sie nicht unbedingt dagegen, 
enthalten Sie sich vielleicht auch einmal der Stimme, dann 
dürfte, glaube ich, das Haus zufrieden sein; wir werden 
jedenfalls die Arbeit des Senats voll unterstützen. - Ich 
danke sehr! 
(Beifall bei der F.D.P. und der SPD) 
Präsident Lorenz: Das Wort hat der Abgeordnete Müller. 
Müller (CDU); Herr Präsident! Meine Damen und Her 
ren! Mein Vorredner Claus Wischner hat in großen, pro 
grammatischen Ausführungen gezeigt, worin sich die CDU 
von der SPD und der F.D.P. in ihrer konzeptionellen Vor 
stellung unterscheidet. Leider haben Sie diesen Ball nicht 
aufgenommen, Sie sind sofort in die Einzeldebatte gestie 
gen; offensichtlich liegt Ihnen die programmatische Aus 
einandersetzung mit dem politischen Gegner doch nicht. 
(Zuruf des Abg. Momper) 
- Sie können aber, Herr Kollege Momper, die Auseinander 
setzung auch im einzelnen haben. Bitte, ich werde jetzt im 
einzelnen aufführen, was uns an diesem Senat und an dieser 
Senatsdienststelle nicht gefällt: 
Wenn wir einmal einen kurzen Rückblick auf die Debatte 
vor einem Jahr halten, dann war zu diesem Zeitpunkt die 
Haushaltsdebatte beherrscht durch eine Reihe von Plänen, 
die der Senat hier vorgelegt hatte, u. a. der für unseren 
Bereich Soziales besonders interessierende Seniorenplan, der 
ja auch heute angesprochen worden ist. Diese Pläne - ins 
besondere der Seniorenplan - haben seinerzeit eine Erwar 
tungshaltung erweckt, der sie überhaupt nicht gerecht wer 
den konnten. 
(Abg. Diepgen: Sehr richtig!) 
Es bestand regelrecht eine Euphorie, nachdem die Pläne 
vorgelegt wurden, und man muß feststellen, daß seinerzeit 
dann auch im Wahlkampf weidlich damit hausieren ge 
gangen worden ist. Man muß feststellen, daß inzwischen 
auch bei Ihnen, der Regierungskoalition, die große Ernüch 
terung eingetreten ist und daß Sie wohl inzwischen auch 
im Senat kleine Brötchen backen. 
(Beifall bei der CDU) 
Leider müssen wir feststellen, daß eine Reihe von Dingen, 
die seinerzeit versprochen worden sind, nicht in dem Maße 
erfüllt wurden, wie wir uns das gerne gewünscht hätten. 
Ich möchte hier jetzt nicht Sektor Information und Bera 
tung, auch nicht Betreuung, auch nicht die Hilfen zur Frei 
zeitgestaltung kritisieren. Hier kann man sicher der Auf 
fassung sein, daß mitunter des Guten etwas zuviel getan 
wird; denn wenn man Reisen nach Übersee veranstaltet, 
dann zieht man wertvolle Betreuungskräfte ab, die anders 
wo sicher notwendiger wären. 
Kritik möchte ich aber in zwei Bereichen anmelden: ein 
mal, was die Wohnungssituation der Senioren anbelangt, 
zum anderen, was die Häuslichen Dienste anbelangt. 
Der Senat hat ja seinerseit mit großem Brimborium das 
Gagfah-Projekt der Modernisierung von Seniorenwohnungen 
angekündigt. Wir haben mit dem Ausschuß dieses Projekt 
sogar besichtigt; pro Jahr sollen 600 Wohnungen moderni 
siert werden, immerhin keine ganz große Anzahl. Der Senat 
hat seine im Ausschuß gegebenen Versprechungen nicht 
wahrgemacht, daß weitere Wohnungsbaugesellschaften und 
auch private Vermieter motiviert werden sollten, senioren 
gerechte Wohnungen auszugestalten und hierfür zu wer 
ben. Das ist nicht geschehen. Wie wir aus dem Bericht 
über die Lebenssituation der über 65jährigen Bürger wis 
sen, sind aber die Wohnungsverhältnisse für viele Senioren 
geradezu katastrophal, über 21% der Wohnungen verfügen 
nicht über Bäder oder Duschen, nur 13% haben Fahrstühle, 
die überwiegende Anzahl der Seniorenwohnungen hat heute 
noch Ofenheizung. Es bleibt also noch sehr viel zu tun 
übrig. Man kann aber natürlich mit Modernisierung nicht 
so viel Rummel machen, wie mit repräsentativen Neu 
bauten; deshalb wird das vom Senat auch gern stiefmütter 
lich behandelt. 
(Beifall bei der CDU) 
Ich glaube auch, daß sich der Senat gar nicht so recht 
darüber im klaren ist, was denn eine seniorengerechte 
Wohnung überhaupt ist; denn eine diesbezügliche Anfrage 
meines Kollegen Claus Wischner ist bis heute ohne Antwort 
geblieben. Die einzige Reaktion des Senats: Er bat um Frist 
verlängerung! 
Auch die Beschaffung neuer Seniorenwohnungen liegt mit 
300 pro Jahr nicht gerade sehr hoch, und die Schaffung der 
Wohnheimplätze in Seniorenwohnheimen mit 1000 pro Jahr 
ist auch nicht gerade umwerfend. Wie wir wissen - die 
Experten streiten sich da noch über die Versorgungsgrade -, 
besteht in Berlin ein Nachfragebedarf von etwa 12 000 bis 
18 000 Senioren-Wohnheimplätzen. Das würde bedeuten, daß 
im Jahre 2000 - das jetzige Bautempo vorausgesetzt - der 
Bedarf endlich gedeckt ist. Ich weiß nicht, ob das ein großer 
Trost für die Senioren ist, die heute auf einen Wohnheim 
platz warten. 
(Beifall bei der CDU) 
Dagegen besteht kein Nachfrageüberhang nach Plätzen 
in Seniorenheimen - früher Altenheime, für den, der die 
neue Terminologie noch nicht beherrscht -. Man muß sich 
fragen, warum dieser Bedarf nicht besteht, und ob das 
nicht vielleicht an dem schlechten Ruf dieser Heime liegt. 
Wenn man heute einmal in Seniorenheime geht - und, 
meine Damen und Herren, ich unterstelle Ihnen, daß Sie das 
wenigstens einmal im Jahr in Ihrem Wahlkreis zu Weih 
nachten tun, wenn Sie es auch sonst schon nicht tun -, 
dann ist man jedes Mal aufs neue erschreckt über die Atmo 
sphäre der Anonymität, die in diesen öffentlichen Senioren 
heimen herrscht. Man hat das Gefühl, der Mensch wird dort 
verwaltet, aber er wird nicht betreut; auf diese Weise wird 
ihm aber jedes Eigenwertgefühl genommen, meine Damen 
und Herren, um das hier mal ganz deutlich auszusprechen. 
(Beifall bei der CDU) 
Vergessen wir doch bitte eines nicht; Es ist die Gene 
ration der heute über 65jährigen Bürger, die nach 1945 
unsere politische, soziale und wirtschaftliche Ordnung ge 
schaffen hat, und ihr gebührt unser Dank. Wir sollten zu 
mindest denen, die sich nicht selber helfen können, heute 
ein menschenwürdiges Dasein in den Seniorenheimen er 
möglichen. Das als Appell an alle! 
(Beifall bei der CDU - Abg. Hucklenbroich; 
Seniorenheimen oder -Wohnheimen?)
	        
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