Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode
5. Sitzung vom 15. Mai 1975
42
können; jetzt muß man sagen: Dem spreche ich die Quali
fikation ab, und hier ist der richtige Mann. Und man muß
sagen, warum, was bringt er für Voraussetzungen mit; ist
er älter als der andere, ist er geübter als Mitglied des Se
nats? Woran messen wir das, an welchen Kriterien? Ich
sage das mit aller Ruhe, weil ich meine, wir kommen hier
auf eine sachliche Ebene, wenn wir auch die Kraft dazu
haben; wenn wir von der pauschalen Verurteilung weg
kommen, die es gerade aus den Kreisen der Opposition ge
geben hat, wenn wir hinfinden zur Auseinandersetzung, die
durchaus die Qualifikation des einzelnen mit einschlicßt. Es
mag sein, daß der eine oder andere in diesem neu gebilde
ten Senat noch jung und zu ungeübt ist. Aber wer ist
schon alt genug, und wie alt muß man sein; und wer ist
schon geübt in der schwierigen Aufgabe, Mitglied des Se
nats zu sein ? Daß uns die Fragen die Opposition beantwor
tet, darauf warten wir. Ich bin der Meinung, wir haben
Anspruch darauf, uns gegenüber der Opposition und auch
gegenüber dem gesamten Abgeordnetenhaus von Berlin zu
bewähren. Das Abgeordnetenhaus wird uns dann schon die
notwendige oder weniger notwendige Kritik sagen.
Da wir bei der Frage des Stils der Auseinandersetzung
sind, noch ein zusätzliches Wort zum Präsidenten des Abge
ordnetenhauses: Wir alle haben ihn gewählt und ihm Glück
gewünscht. Er wird sich darüber im klaren sein, welche
besondere Aufgabe er für die nächsten vier Jahre über
nommen hat. Es ist - lassen Sie mich daran erinnern - das
erste Mal in der deutschen Parlamentsgeschichte - soweit
ich es überblicken kann daß ein Parteivorsitzender
gleichzeitig der Präsident eines Parlaments geworden ist.
Das haben wir bis jetzt an keiner Stelle gehabt. In Groß
britannien, der Mutter der Demokratie, wie es so schön
heißt, bemüht man sich sogar, jemanden aus dem Streit
der Parteien herauszuziehen, den man zum Speaker des
Hauses macht.
(Zurufe von der CDU)
Bitte verstehen sie mich — Wir sind diesen Weg gegangen
und haben deshalb alle den Vorsitzenden der Berliner CDU,
als er sich bereit erklärt hat, in eine besondere Pflicht ge
nommen - uns auch ihm gegenüber. Aber wir haben ihn
auch in eine Pflicht genommen
(Erregte Zurufe von der CDU - Abg. Luster: Herr
Regierender Bürgermeister, überlegen Sie sich, wovon Sie
sprechen, der Vorgang ist singulär!)
Herr Luster, dieser Vorgang ist auch für den Regierenden
Bürgermeister ein Vorgang, über den er sich in der Öffent
lichkeit aussprechen kann, und ich weise es zurück, daß Sie
mich in dieser Frage hier kritisieren.
(Beifall bei der SPD)
Ich nehme mir das Recht, das zu sagen, was ich darüber
öffentlich außerhalb des Hauses gesagt habe, daß wir hier
einen Anfang gemacht haben, zu dem ich mich voll bekannt
habe, der besondere Belastungen für alle Seiten - auch für
die CDU - mit sich bringt; über diese Belastungen sind sich
hoffentlich alle im klaren.
(Abg. Franke: Sie wollten sicher wieder einen
Gewerkschaftsvorsitzenden auf diesem Platz sehen!)
- Kollege Franke, es ist möglich, daß wir uns nicht ver
stehen wollen, aber sehen Sie sich an, was der Präsident
selber in diesem Zusammenhang in seiner ersten Erklärung
gesagt hat.
(Abg. Franke: Es ist ein trauiges Spiel,
was sich hier tut!)
Wir wollen ihn nicht politisch abqualifizieren, er wird sich
so äußern können, wie er will. Aber ich wollte hier sagen -
und ich bleibe dabei -, daß hier besondere Verantwortungen
übernommen worden sind, und von dieser Aussage bringen
mich auch keine Zwischenrufe ab.
(Empörung bei der CDU und Zwischenrufe)
Ich jedenfalls sage: Ich werde den Präsidenten unter
stützen, wir alle werden ihn unterstützen, wenn er bemüht
ist, dieser besonderen Verantwortung gerecht zu werden.
Darauf kann er sich verlassen, ich sage das ohne einen
Hintergedanken.
(Aah, aah! bei der CDU -
Abg. Wronski: Was reden Sie vom Parteivorsitzenden,
Sie sind doch auch ein Parteivorsitzender! -
Abg. Franke: Das ist der Appell von Dr. Haus
zur Gemeinsamkeit!)
Stellv. Präsident Baetge: Herr Regierender Bürger
meister, erlauben Sie ein Zwischenfrage?
Schütz, Regierender Bürgermeister: Ja!
Stellv. Präsident Baetge: Bitte, Herr Diepgen!
Diepgen (CDU): Herr Regierender Bürgermeister, halten
Sie es für richtig und mit welchem Parlamentsverständnis
halten Sie es für vereinbar, daß ein Regierender Bürger
meister eine vorgezogene, geradezu prophylaktische Zen
surenerteilung einem Präsidenten des Abgeordnetenhauses
gegenüber versucht?
(Beifall bei der CDU)
Schütz, Regierender Bürgermeister: War das ein Fra
ge? Haben Sie in meiner Rede eine Zensur gehört?
(Zurufe von der CDU)
Ich bleibe dabei, daß hier besondere Verantwortlichkeiten
sind und möchte jetzt nicht weiter diesen Punkt vertiefen.
Nun komme ich zu den Sachaussagen des Regierungs
programms und der Opposition. Ich bin überzeugt, wir
werden hier viel mehr Zusammenarbeiten, als es viele in
diesem Haus heute ahnen, denn für den altgewohnten Typ
einer Opposition ist hier bei uns kein Platz mehr. Ich sage
hierzu ein Beispiel; Die CDU hat heute von 84 Bezirksamts
mandaten in der Berliner Bezirksverwaltung 41 inne. Sie
hätte sogar - das ist die Ironie der Geschichte - 42, wenn
sie nicht das eine an die Tunnel-Bürgerinitiative abgeben
würde, sonst würde sie gleichziehen mit den Sozialdemo
kraten.
(Abg. Landowsky; Das haben Sie doch verloren!)
- Ich sage, sie hätte höchstwahrscheinlich 42. Sie bestimmt
also in allen Verwaltungsbezirken - nach unserem Willen,
und das wollen wir auch nicht ändern - mit, und sie wird
an allen Stellen mithandeln müssen. Sie wird sich also auch
darüber bewußt sein, daß sie überall nicht nur Mandate
und Positionen - wie vorhin gerufen wurde -, sondern auch
Verantwortung übernommen hat, sogar in sechs Bezirken,
und das wird sich auch auf die praktische Arbeit der
Opposition in diesem Hause auswirken. Wenn gespart wer
den muß, dann wird doch nicht nur in den sechs Verwal
tungsbezirken gespart, in denen die Sozialdemokraten den
Bezirksbürgermeister stellen.
(Abg. Lummer: Das hat auch keiner behauptet!)
Es ist doch töricht anzunehmen, wenn wir versuchen,
Personalvermehrungen abzuwehren - und ich stimme
auch einigen Punkten zu, die in der Erklärung des Opposi
tionsführer stehen -, wird das nur im sozial-liberalen
Bereich stattfinden. Hier wird Verantwortung für die
meisten Maßnahmen im kommunalpolitischen Bereich die
ser Stadt mehr als bisher übernommen werden müssen, und
zwar auch mit von den Christlichen Demokraten, und sie
werden sich zu dieser Verantwortung im Gegensatz zu
früher bekennen müssen. Es wird also eine ganz andere
Qualität der Auseinandersetzungen geben. Viele schöne