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Volume Nr. 5, 15.05.75

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1975, 7. Wahlperiode, Band I, 1.-19. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 7. Wahlperiode 
5. Sitzung vom 15. Mai 1975 
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können; jetzt muß man sagen: Dem spreche ich die Quali 
fikation ab, und hier ist der richtige Mann. Und man muß 
sagen, warum, was bringt er für Voraussetzungen mit; ist 
er älter als der andere, ist er geübter als Mitglied des Se 
nats? Woran messen wir das, an welchen Kriterien? Ich 
sage das mit aller Ruhe, weil ich meine, wir kommen hier 
auf eine sachliche Ebene, wenn wir auch die Kraft dazu 
haben; wenn wir von der pauschalen Verurteilung weg 
kommen, die es gerade aus den Kreisen der Opposition ge 
geben hat, wenn wir hinfinden zur Auseinandersetzung, die 
durchaus die Qualifikation des einzelnen mit einschlicßt. Es 
mag sein, daß der eine oder andere in diesem neu gebilde 
ten Senat noch jung und zu ungeübt ist. Aber wer ist 
schon alt genug, und wie alt muß man sein; und wer ist 
schon geübt in der schwierigen Aufgabe, Mitglied des Se 
nats zu sein ? Daß uns die Fragen die Opposition beantwor 
tet, darauf warten wir. Ich bin der Meinung, wir haben 
Anspruch darauf, uns gegenüber der Opposition und auch 
gegenüber dem gesamten Abgeordnetenhaus von Berlin zu 
bewähren. Das Abgeordnetenhaus wird uns dann schon die 
notwendige oder weniger notwendige Kritik sagen. 
Da wir bei der Frage des Stils der Auseinandersetzung 
sind, noch ein zusätzliches Wort zum Präsidenten des Abge 
ordnetenhauses: Wir alle haben ihn gewählt und ihm Glück 
gewünscht. Er wird sich darüber im klaren sein, welche 
besondere Aufgabe er für die nächsten vier Jahre über 
nommen hat. Es ist - lassen Sie mich daran erinnern - das 
erste Mal in der deutschen Parlamentsgeschichte - soweit 
ich es überblicken kann daß ein Parteivorsitzender 
gleichzeitig der Präsident eines Parlaments geworden ist. 
Das haben wir bis jetzt an keiner Stelle gehabt. In Groß 
britannien, der Mutter der Demokratie, wie es so schön 
heißt, bemüht man sich sogar, jemanden aus dem Streit 
der Parteien herauszuziehen, den man zum Speaker des 
Hauses macht. 
(Zurufe von der CDU) 
Bitte verstehen sie mich — Wir sind diesen Weg gegangen 
und haben deshalb alle den Vorsitzenden der Berliner CDU, 
als er sich bereit erklärt hat, in eine besondere Pflicht ge 
nommen - uns auch ihm gegenüber. Aber wir haben ihn 
auch in eine Pflicht genommen 
(Erregte Zurufe von der CDU - Abg. Luster: Herr 
Regierender Bürgermeister, überlegen Sie sich, wovon Sie 
sprechen, der Vorgang ist singulär!) 
Herr Luster, dieser Vorgang ist auch für den Regierenden 
Bürgermeister ein Vorgang, über den er sich in der Öffent 
lichkeit aussprechen kann, und ich weise es zurück, daß Sie 
mich in dieser Frage hier kritisieren. 
(Beifall bei der SPD) 
Ich nehme mir das Recht, das zu sagen, was ich darüber 
öffentlich außerhalb des Hauses gesagt habe, daß wir hier 
einen Anfang gemacht haben, zu dem ich mich voll bekannt 
habe, der besondere Belastungen für alle Seiten - auch für 
die CDU - mit sich bringt; über diese Belastungen sind sich 
hoffentlich alle im klaren. 
(Abg. Franke: Sie wollten sicher wieder einen 
Gewerkschaftsvorsitzenden auf diesem Platz sehen!) 
- Kollege Franke, es ist möglich, daß wir uns nicht ver 
stehen wollen, aber sehen Sie sich an, was der Präsident 
selber in diesem Zusammenhang in seiner ersten Erklärung 
gesagt hat. 
(Abg. Franke: Es ist ein trauiges Spiel, 
was sich hier tut!) 
Wir wollen ihn nicht politisch abqualifizieren, er wird sich 
so äußern können, wie er will. Aber ich wollte hier sagen - 
und ich bleibe dabei -, daß hier besondere Verantwortungen 
übernommen worden sind, und von dieser Aussage bringen 
mich auch keine Zwischenrufe ab. 
(Empörung bei der CDU und Zwischenrufe) 
Ich jedenfalls sage: Ich werde den Präsidenten unter 
stützen, wir alle werden ihn unterstützen, wenn er bemüht 
ist, dieser besonderen Verantwortung gerecht zu werden. 
Darauf kann er sich verlassen, ich sage das ohne einen 
Hintergedanken. 
(Aah, aah! bei der CDU - 
Abg. Wronski: Was reden Sie vom Parteivorsitzenden, 
Sie sind doch auch ein Parteivorsitzender! - 
Abg. Franke: Das ist der Appell von Dr. Haus 
zur Gemeinsamkeit!) 
Stellv. Präsident Baetge: Herr Regierender Bürger 
meister, erlauben Sie ein Zwischenfrage? 
Schütz, Regierender Bürgermeister: Ja! 
Stellv. Präsident Baetge: Bitte, Herr Diepgen! 
Diepgen (CDU): Herr Regierender Bürgermeister, halten 
Sie es für richtig und mit welchem Parlamentsverständnis 
halten Sie es für vereinbar, daß ein Regierender Bürger 
meister eine vorgezogene, geradezu prophylaktische Zen 
surenerteilung einem Präsidenten des Abgeordnetenhauses 
gegenüber versucht? 
(Beifall bei der CDU) 
Schütz, Regierender Bürgermeister: War das ein Fra 
ge? Haben Sie in meiner Rede eine Zensur gehört? 
(Zurufe von der CDU) 
Ich bleibe dabei, daß hier besondere Verantwortlichkeiten 
sind und möchte jetzt nicht weiter diesen Punkt vertiefen. 
Nun komme ich zu den Sachaussagen des Regierungs 
programms und der Opposition. Ich bin überzeugt, wir 
werden hier viel mehr Zusammenarbeiten, als es viele in 
diesem Haus heute ahnen, denn für den altgewohnten Typ 
einer Opposition ist hier bei uns kein Platz mehr. Ich sage 
hierzu ein Beispiel; Die CDU hat heute von 84 Bezirksamts 
mandaten in der Berliner Bezirksverwaltung 41 inne. Sie 
hätte sogar - das ist die Ironie der Geschichte - 42, wenn 
sie nicht das eine an die Tunnel-Bürgerinitiative abgeben 
würde, sonst würde sie gleichziehen mit den Sozialdemo 
kraten. 
(Abg. Landowsky; Das haben Sie doch verloren!) 
- Ich sage, sie hätte höchstwahrscheinlich 42. Sie bestimmt 
also in allen Verwaltungsbezirken - nach unserem Willen, 
und das wollen wir auch nicht ändern - mit, und sie wird 
an allen Stellen mithandeln müssen. Sie wird sich also auch 
darüber bewußt sein, daß sie überall nicht nur Mandate 
und Positionen - wie vorhin gerufen wurde -, sondern auch 
Verantwortung übernommen hat, sogar in sechs Bezirken, 
und das wird sich auch auf die praktische Arbeit der 
Opposition in diesem Hause auswirken. Wenn gespart wer 
den muß, dann wird doch nicht nur in den sechs Verwal 
tungsbezirken gespart, in denen die Sozialdemokraten den 
Bezirksbürgermeister stellen. 
(Abg. Lummer: Das hat auch keiner behauptet!) 
Es ist doch töricht anzunehmen, wenn wir versuchen, 
Personalvermehrungen abzuwehren - und ich stimme 
auch einigen Punkten zu, die in der Erklärung des Opposi 
tionsführer stehen -, wird das nur im sozial-liberalen 
Bereich stattfinden. Hier wird Verantwortung für die 
meisten Maßnahmen im kommunalpolitischen Bereich die 
ser Stadt mehr als bisher übernommen werden müssen, und 
zwar auch mit von den Christlichen Demokraten, und sie 
werden sich zu dieser Verantwortung im Gegensatz zu 
früher bekennen müssen. Es wird also eine ganz andere 
Qualität der Auseinandersetzungen geben. Viele schöne
	        
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