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Volume Nr. 86, 28.11.74

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1974/75, 6. Wahlperiode, Band IV, 66.-93. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
86. Sitzung vom 28. November 1974 
gewogenen Zentralisierung, zur Zusammenfassung von 
Aufgaben des Gesundheitswesens und zur unmittelbaren 
Zuordnung der Krankenhäuser unter die Hauptverwaltung 
sind nicht wahrgenommen worden. Selbst die Aufteilung 
der Stadt in Versorgungsbereiche ohne Rücksicht auf Be 
zirksgrenzen ist nicht weiterverfolgt worden. Es ist ja nur 
eine ganz unbewiesene Unterstellung, daß eine solche Orga 
nisationsform nun unbedingt noch mal einen aufgeblähten 
Wasserkopf von Verwaltungsspitze an der Urania zur 
Folge haben müßte. Es gibt genug Beispiele für leistungs 
fähige Führungsgremien, die bei richtiger Spitzengliede 
rung mit sehr wenig Personal auskommen. Aber nur dort, 
wo ein Wille ist, führt natürlich auch ein Weg. Hier wurden 
jedenfalls Möglichkeiten vertan, mit einem neuen Gesetz 
einen Schritt in die Zukunft zu gehen. Es wurde in den 
alten Bezirksgrenzen Vergangenheit festgeschrieben, zum 
Nachteil — nach unserer Auffassung — des Gesundheits 
wesens dieser Stadt und insbesondere auch zum Nachteil 
unserer Finanzen. Hier fehlte einfach die große gesund 
heitspolitische Zielsetzung. 
Unser zweites Anliegen galt der Zusammensetzung und 
der Funktion des Landeskrankenhausbeirats. In ihm sehen 
wir das wichtigste Beratungsgremium nicht nur für die 
Aufstellung der Krankenhausbedarfspläne, sondern dar 
über hinaus auch noch in grundsätzlichen Fragen des Ge 
sundheitswesens. Dieser Beirat hätte aus unserer Sicht 
Entscheidungen zu treffen für die Aufgabenverteilung zwi 
schen städtischen, freigemeinnützigen und privaten Kran 
kenhäusern und die Zusammenarbeit zwischen der Ärzte 
schaft im Krankenhaus und der niedergelassenen Ärzte zu 
verbessern. Das Organ „Landeskrankenhausbeirat“ hätte 
bei einer sorgfältig abgestimmten Zusammensetzung sei 
ner Vertreter, ohne Überrepräsentierung nichtärztlicher 
Gruppen, natürlich unter Einschluß der Sozialleistungs 
träger, vor allem aber unter Einschluß der Krankenhaus 
ärzte, des Krankenpflegepersonals, der übrigen medizini 
schen Assistenzberufe und eben der niedergelassenen Ärzte, 
das Bindeglied, die Schaltstelle für alle wesentliche Teile 
des Berliner Gesundheitswesens sein können, nicht nur als 
ein weiteres Planungsinstrument — davon haben wir schon 
eine ganze Menge —, sondern als Kontrollorgan für Lei 
stungsfähigkeit, für Wirtschaftlichkeit, z. B. für die Ver 
weildauer, gewiß zum Vorteil der Patienten, ganz gewiß 
zum Vorteil der Finanzen. 
Die dritte Gruppe unserer Änderungsvorschläge zielt auf 
die Verbesserung der Aufgabenverteilung zwischen Kran 
kenhaus und niedergelassener Ärzteschaft und damit auch 
auf die Forderung nach Einführung des ärztlichen Kolle 
gialsystems in den Krankenhäusern hin. Wir meinen, daß 
hier die Möglichkeiten, die in der Landeskompetenz liegen, 
nicht ausgeschöpft worden sind. Wenn weiterhin an der 
strikten Trennung zwischen ambulanter und stationärer 
Krankenversorgung festgehalten wird, läßt sich die Ver 
weildauer — und das ist der Hauptkostenfaktor — sicher 
lich nicht wirksam senken und die Entfremdung zwischen 
den beteiligten Ärztegruppen nicht abbauen oder aufheben. 
Sicher, Berlin allein kann die RVO nicht ändern; aber 
leider sind ja auch keine Initiativen ergriffen worden, um 
kassenärztliche Nebentätigkeit für Fachärzte an Kranken 
häusern und die Arbeit ambulant tätiger Ärzte in den 
Krankenhäusern zu ermöglichen. Warum wird kein Weg 
gesucht, die teuren — sehr teuren — diagnostischen und 
therapeutischen Einrichtungen in den Krankenhäusern 
auch durch niedergelassene Ärzte nutzen zu lassen ? 
Ein paar Sätze noch zur Problematik der „Ärztlichen 
Kommissionen“, wie wir sie im Landeskrankenhausgesetz 
vorgefunden haben. Die Regelung dieses Paragraphen soll 
sowohl der „Verbesserung der Patientenversorgung“ die 
nen als auch „bei Beschwerden über die ärztliche Behand 
lung den Sachverhalt klären". Diese Vermischung von Auf 
gaben einer gewissen Fortbildung- und Untersuchungs 
behörde, eines Schlichtungsausschusses und einer Be 
schwerdeinstanz in einem viel zu großen Gremium ist denk 
bar unglücklich; künftige Konflikte werden somit im Ge 
setz schon von vornherein eingebaut. Wir hatten hier, um 
dem eigentlichen Auftrag dieses Paragraphen gerecht zu 
werden, einen „Patientenfürsprecher“ vorgeschlagen. Diese 
Anregung ist aber einfach vom Tisch gewischt worden. 
Wer sich im Schrifttum ein wenig auskennt, weiß, daß der 
selbe Begriff in westdeutschen Krankenhausgesetzen be 
reits vorhanden ist. In Bayern schlug ihn z. B. die SPD vor, 
in Rheinland-Pfalz hat ihn die von der CDU geführte Re 
gierung im Gesetz einführen lassen, in Niedersachsen gibt 
es den „Patientenanwalt“. Man sollte es sich beim Nieder 
stimmen nicht ganz so leicht machen bei der Mehrheits 
fraktion, nur weil Denkanstöße von der Opposition ge 
kommen sind. Natürlich haben wir auch beim Patienten 
fürsprecher nur an ein Ehrenamt gedacht — jede andere 
Darstellung ist eine grobe Verfälschung —, ausgeübt von 
einem der örtlich zuständigen Bürgerdeputierten. Das steht 
im übrigen in keiner Weise im Widerspruch zu unserer 
Zentralisierungsidee. 
Schließlich und letztlich noch ein Wort zu der für uns 
unabdingbaren Forderung nach der sogenannten doppelten 
Entkopplung —Herr Kollege Dr. Behrendt hat das schon im 
weiteren ausgeführt —, das heißt, nach getrennter Berech 
nung von gesonderter Unterbringung — wobei die Unter 
bringung ja nicht nur der Raum ist — und gesonderter 
ärztlicher Leistung. Der ursprüngliche Wolters-Entwurf 
zum Landeskrankenhausgesetz ging in seinem § 10 davon 
aus, daß die ärztliche Leistung für alle gleich sein sollte. 
Nun ist diese Regelung schließlich auf den Kopf gestellt 
worden. Durch die jetzt obligatorische Verbindung von 
gesonderter ärztlicher Leistung und gesonderter Unter 
bringung wird für manchen Patienten bei einem Kranken 
hausaufenthalt die Erfüllung persönlicher Wünsche finan 
ziell untragbar werden. Die statuierte Auflösung der Pri 
vatstationen wird dadurch in ihrer Bedeutung relativiert, 
daß die erzwungene Verbindung von gesonderter Leistung 
und Unterkunft faktisch den gleichen Sachverhalt schafft. 
Aber jetzt ist es eben das „eingegliederte Privatbett“ — 
so heißt es ja wörtlich — und nicht mehr die berüchtigte 
Privatstation. In dieser Situation wäre das Quentchen Frei 
heit, das die doppelte Entkoppelung noch ermöglicht hätte, 
für den Patienten, der vielleicht über Jahrzehnte für seinen 
Krankenhausaufenthalt frühzeitig vorgesorgt hatte, und 
für die Ärzte aller Krankenhäuser dringend nötig gewesen. 
Das freie Wahlrecht für den Arzt seines Vertrauens ist mit 
dieser Regelung auch für den sozialversicherten Patienten 
nicht mehr gegeben. 
Wir bedauern diese Entscheidung besonders deshalb, 
weil sie am falschen Ort und gegenüber den falschen 
Adressaten so ein wenig mit der Attitüde des nachgeholten 
Klassenkampfes gefällt worden ist. Um der politischen 
Wahrheit und Klarheit willen mußte das heute hier noch 
einmal gesagt werden. Die F.D.P. wird diesem Gesetz nicht 
zustimmen. — Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit! 
(Beifall bei der F.D.P.) 
Präsident Sickert: Darf ich die Frage stellen, ob für den 
Hauptausschuß die Berichterstattung gewünscht wird? — 
Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die H. Lesung und 
schlage vor, die Einzelberatung der 52 Paragraphen mit 
einander zu verbinden. Auch hier erfolgt kein Widerspruch, 
so beschlossen. 
Ich rufe auf die §§ 1 bis 52, die Überschrift und die Ein 
leitung im Wortlaut der Beschlußempfehlung des Aus 
schusses für Gesundheit und Umweltschutz, Drucksache 
6/1617 
Ich darf bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß bei 
dem Änderungsantrag der drei Fraktionen im Einleitungs 
satz des § 50 das Datum des letzten Änderungsgesetzes 
offenbleiben muß, weil das Gesetz noch nicht ausgefertigt 
ist. Ich gehe davon aus, daß ich die Ermächtigung des 
Hauses habe, das Datum und die Fundstelle bei der Ausferti 
gung des hier vorliegenden Gesetzes ergänzen zu dürfen. — 
Schönen Dank! 
Jetzt zu den Wortmeldungen! — Herr Abgeordneter 
Mertsch! 
Mertsch (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Her 
ren! Der Senat von Berlin hat, als er die Materialien zur 
Regierungserklärung am 28. April 1971 vorlegte, gestützt 
3161
	        
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