Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
84. Sitzung vom 14. November 1974
Wir hätten es begrüßt, wenn in dieser Situation der
Aufruf zur Gemeinsamkeit auch dazu geführt hätte, daß
dieses Haus sich zu einer gemeinsamen Erklärung gegen
über diesen Vorgängen entschlossen und die Gemeinsam
keit der Demokratie in diesem Haus vor der Öffentlichkeit
gewahrt hätte. Ich bedauere, daß dies nicht möglich war.
Das, was der Herr Kollege Lummer hier für die Fraktion
der CDU vorgetragen hat, bietet nach meiner Auffassung
keinen Grund, eine gemeinsame Erklärung zu unterlassen.
Seine Ausführungen können — glaube ich —- von uns allen
unterstrichen werden.
Es muß in diesem Zusammenhang gesagt werden, daß
die Vorgänge um die Inhaftierung der Baader-Meinhof-
Gruppe und die Vorgänge um den Tod des Untersuchungs
häftlings Holger Meins von bestimmten Personen dazu be
nutzt worden sind, das Klima in der Bundesrepublik gegen
die verantwortlichen Träger des Rechtsstaats aufzuheizen.
Und mancher, der eine bestimmte Verantwortung auf
grund unserer Rechtsordnung hat, mag durch sein Ver
halten dazu beigetragen haben, daß das Klima in diesem
Land für diesen Mord vorbereitet worden ist. Ich unter
streiche in diesem Zusammenhang, daß der Herr Bundes
minister der Justiz Strafanzeige wegen Verleumdung er
stattet hat gegen eine Reihe von Verteidigern der Baade'r-
Meinhof-Gruppe, die auch nach meinem Empfinden die
Prinzipien rechtsanwaltlicher Aufgaben verletzt haben. Es
kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß der gewählte
Verteidiger die Pflicht hat, seinen Mandanten vor dem
Gericht und vor den Organen des Staates ordnungsgemäß
zu verteidigen und alles daranzusetzen, daß seine Inter
essen wahrgenommen werden. Eine solche Aufgabe, die
der Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege hat, kann
den Anwalt nicht davon entbinden, die gebotene Distanz zu
den Beschuldigten zu wahren, die ihn darstellt als einen
Menschen, der mit der kriminellen Tätigkeit als solcher
nichts zu tun hat. Daß das auch in dieser Stadt nicht
immer beachtet worden ist, beklage ich hier ausdrücklich,
und ich wäre dankbar, wenn die Berliner Anwaltskammer
selbst sich dieses Problems annähme.
(Beifall)
Meine Damen und Herren, der heimtückische Mord an
Günter von Drenkmann erfüllt uns alle mit Bestürzung
und tiefer Trauer, und wir wissen dabei, daß mit einem
solchen Vorgehen die Rechte jedes einzelnen Bürgers
getroffen werden. Wir wissen aber auch, daß diese Tat
ebenso jeden anderen hätte treffen können, der in unserem
freiheitlichen Staat Verantwortung trägt, sei es für die
Justiz, sei es für Regierung und Verwaltung, sei es für das
Parlament. Gerade aus diesem Grund muß dafür gesorgt
werden, daß einer sich hier etwa anbahnenden neuen
Terrorwelle mit Entschiedenheit und mit Bestimmtheit
entgegengetreten wird. Ich vertraue darauf, daß der Bun
desinnenminister und die Innenministerkonferenz der Län
der, die sich mit diesem Thema dankenswerterweise sofort
befaßt haben, das Ihre dazu tun werden, daß ohne Er
regung einer öffentlichen Psychose, ohne hysterische Er
regung der Öffentlichkeit, ohne unnötige Weckung von
Emotionen alles getan wird, um die Mörder dingfest zu
machen.
(Beifall)
Präsident Sickert: Das Wort hat Herr Abgeordneter
Dr. Haus.
Dr. Haus (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Die Fraktion der SPD bedauert es ebenfalls, daß
eine gemeinsame Entschließung aller drei Fraktionen nicht
zustande gekommen ist. Aber wir hoffen, daß nach den
Ausführungen auch von Herrn Lummer grundsätzliche
Übereinstimmung zu diesen Vorgängen — unabhängig von
parteilicher Wertung — besteht.
Der Mord an Günter von Drenkmann ist ein verabscheu-
enswürdiges Verbrechen. Er ist aber mehr; er ist ein
Signal dafür, daß eine Handvoll von Fanatikern zu einem
Angriff —■ einem erneuten Angriff — auf unseren demo
kratischen Rechtsstaat anzutreten versucht. Sie schrecken
dabei nun auch vor dem unvermittelten Mord nicht zurück.
Seit zwei Monaten etwa ist dies alles — wie wir wis
sen — mit einer Kampagne von Vorwürfen gegen angeb
liche Mißstände im Strafvollzug und dann mit der Auf
forderung zum Hungerstreik vorbereitet worden. Jene
Fanatikergruppe will, wie wir alle wissen, den Eklat. Als
der wegen Mordverdachts in Westdeutschland inhaftierte
Holger Meins starb, war das für sie das Zeichen für diese
meuchlerische Gewalttat. Weil diese Gruppe kaum noch
Resonanz hatte, weil sie in die Bedeutungslosigkeit zurück
zufallen drohte, verfällt sie dem verbrecherischen poli
tischen Irrsinn. Diese Leute haben ihre Utopie, sie haben
ihre menschenverachtende angebliche Wahrheit, und sie
gehen nun dafür über Leichen.
Wir lassen nicht zu — und darin sind wir doch ganz
gewiß einig —, daß unser demokratischer Rechtsstaat,
seine Justiz und sein Strafvollzug von politisch fanatischen
Verbrechern unsicher gemacht werden. Unsere Justiz eben
so wie unsere Polizei, die im Interesse der Ordnung und der
Sicherheit in unserem Gemeinwesen tätig sind, haben jetzt
mehr denn je unsere volle Unterstützung!
(Beifall)
Es ist in der Tat ein böses Kapitel, daß die zu Ver
brechern gewordenen Fanatiker immer noch Sympathien
finden. Es muß hart kritisiert werden, daß Verdächtigungen
und Verdrehungen begierig von bestimmten Sympathisan
ten aufgegriffen werden. Genau dadurch soll ein Klima
der Unsicherheit erzeugt werden. Ganz klar muß daher
auch von dieser Stelle gesagt werden: Die Frage nach der
Verhaltensweise einiger Anwälte der sogenannten Baader-
Meinhof-Gruppe ist aufzuwerfen. Es ist nur schwer der
Eindruck zu widerlegen, daß hier das Anwaltsmandat nicht
nur zum Zweck des rechtlichen Beistandes benutzt wird.
Strafverteidigung aber — und das hat eben Herr Oxfort
mit anderen Worten bereits gesagt — darf nicht zur Bei
hilfe werden!
Unsere Bundesrepublik wird, wie wir alle meinen und
wohl auch wissen aus 25-, SOjährigem Zurechtkommen mit
unserer Demokratie, die Fehler der Weimarer Republik
nicht wiederholen. Die Verbrecher, die Terroristen wer
den — wenn sie ihrer Schuld überführt sind — vor unseren
Gerichten keine Nachsicht finden. Nicht die radikale andere
politische Meinung, sondern der Rechtsbruch, die Gewalttat
werden allein das Strafmaß bestimmen.
Wir sagen: Eine schnellere, zügige Prozeßführung muß
jetzt gewährleistet werden.
Wir sagen weiter: Unser Rechtsstaat, unsere rechts
staatlichen Mittel insgesamt sind zwar ausreichend zum
Kampf gegen Kriminalität: aber unsere Strafprozeßord
nung muß im Zuge der Novellierung darauf geprüft wer
den, ob sie die Rechtssicherheit in allen Punkten wirklich
noch gewährleistet, ob sie gegen gezielten Mißbrauch wirk
lich hinreichend sicher ist. Sie muß erforderlichenfalls —
und ich füge hinzu: unter ganz strenger Beachtung aller
rechtsstaatlichen Regeln — geändert werden.
Wir sagen ganz konkret: Eine Entlassung aus der Unter
suchungshaft darf und wird auch durch körperliche Selbst
schädigung und weitere Demonstration und Agitation ent
gegen geltendem Recht nicht erreicht werden dürfen. Das
ist ein Fernziel im Augenblick für die, die dort die Agita
tion einschließlich der Sympathie für die Untaten auf
bringen.
Wir sagen aber auch: Haß und Dramatisierung mögen
jetzt verständlich sein. Sie dürfen aber das Handeln des
Staates — unser Handeln und das Handeln der Gerichte —
nicht bestimmen.
Und ein letztes: Nervosität wäre jetzt verfehlt. Sie wäre
nämlich genau das, was diese Leute erreichen wollten. Und
daher gehen wir tunlichst ohne Gefühlsausbrüche in jene,
auch von den Vorrednern berufene, entschlossene, harte
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