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Volume Nr. 82, 10.10.74

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1974/75, 6. Wahlperiode, Band IV, 66.-93. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
83. Sitzung vom 10. Oktober 1974 
ganz anderen Ansatzpunkt, diese ganz andere Motivation 
zu verschieben, weil wir sonst in eine völlig verkehrte 
Fragestellung hineingeraten. 
Und nun ist noch ein weiteres Ding dabei zu sehen, daß 
nämlich, wenn man die Konsequenzen des Gutachtens des 
Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes ganz strikt durch 
zieht, man zu dem Ergebnis kommen müßte, daß zum einen 
Entscheidungen in anderen Wahlgesetzen - einschließlich 
übrigens des Bundes - so nicht zu halten wären, wenn die 
Konsequenz die ist, daß es ein verfassungsrechtliches Gebot 
unseres Grundgesetzes ist, daß neben den Parteien auch 
noch freie Wählergemeinschaften und freie Kandidaten 
kandidieren dürfen müssen, dann würde das bedeuten, 
daß die Frage der Landeslisten und die Frage auch 
der Parteienfinanzierung ganz anders geregelt werden 
müssen. Und in diesen beiden Punkten hat das Bundes 
verfassungsgericht entsprechende Anträge bereits abge 
lehnt, mit ausführlicher Begründung abgelehnt. Denn es 
kann ja wohl nicht angehen, daß das, was für Parteien 
gilt, dann für die an denselben Wahlen sich beteiligenden 
Wählergemeinschaften etwa nicht gelten soll. Das - glaube 
ich - muß man wohl deutlich sehen. Hier würde schon das 
Gebot der Chancengleichheit ein entsprechendes Verlangen 
unterstützen. 
Und - noch einmal betont - es müßten dann fast alle 
Wahlgesetze in den deutschen Ländern geändert werden. 
Ich weise bloß auf diese Konsequenz hin, die deutlich 
macht, daß die Fragestellung offenbar hier schief ange 
setzt worden ist und die Konsequenz nicht voll durchge 
spielt worden ist. Die verfassungspolitischen Bedenken, die 
hier schon angesprochen worden sind, liegen auf der Hand. 
Für mich ist das Entscheidende die Frage - und ich sage 
das ganz offen -, warum jemand eigentlich sich nicht be 
reit erklären will, in Form einer Partei sich an den Wahlen 
zu beteiligen; warum er unbedingt die Form der freien 
Wählergemeinschaft haben will. Das, was in den Beratun 
gen des Ausschusses und auch hier in der vorigen Debatte 
angesprochen worden ist, die Unterschriftsgemeinschaft 
als loseste Form der Beteiligung an der kommunalen Wahl, 
das mag für diesen Bereich gelten; aber soll das auch gel 
ten für die Wahlen zu Landesparlamenten oder vielleicht 
noch zum Bundestag? Ich glaube, daß hier auch von der 
verfassungspolitischen Seite her ganz erhebliche Bedenken 
begründet sind, und ich rede gar nicht von den Erfahrun 
gen, die Berlin in der Vergangenheit gerade mit dieser 
Problemstellung gehabt hat, die ja auch zur Einführung 
der entsprechenden Normen in die Berliner Verfassung 
geführt haben. 
Inhaltlich - ich will es nur an einem Beispiel hier auf 
zeigen - entsteht doch die Problematik, ob wir es wirklich 
mit dem Stimmensplitting für die Wahlen zum Abgeord 
netenhaus, die ja nur wegen dieser Wählergemeinschaften 
notwendig werden würde, so ernst meinen. Denn wir wis 
sen, daß, wenn dieses Stimmensplitting zum Beispiel nicht 
durchzieht, dann praktisch jede Kandidatur aussichtslos 
ist von freien Bewerbern, und ich würde sagen: Schon 
diese Konsequenz sollte doch bei uns die Frage auslösen, 
ob hier nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, 
ob wir hier nicht zu weit gehen. 
Zusammengefaßt, meine Damen und Herren, ohne in die 
Tiefe gehen zu wollen: Ich habe hier nur die entscheiden 
den Bedenken ansprechen können. Es gibt ganz erheb 
liche Bedenken, ganz erhebliche Bedenken gegen diese 
Initiative aus rechtlichen, politischen und Zweckmäßig 
keitsgesichtspunkten, die alle untereinander verwoben 
sind, und trotzdem sind wir bereit - und wollen das auch 
mit gebotener Dringlichkeit tun die Beratungen auf 
zunehmen. Wir haben ja ebenfalls der Dringlichkeit zuge 
stimmt und die Beratungen im Innenausschuß schon 
aufgenommen, einfach deshalb, weil ich glaube, es ist ein 
Gebot der Fairneß gegenüber den engagierten Bürgern, 
die nun hoffen, in der Richtung etwas zu erreichen und die 
aus den Berichten in den Sommermonaten aus der Presse 
entnehmen konnten, daß sich da wohl etwas tun würde, 
daß wir diese Hoffnungen nun nicht etwa nur einfach so 
mit einer Larifari-Bewegung befriedigen, sondern daß wir 
m der Sache eine überzeugende Antwort geben. 
Ich glaube, um diese überzeugende Antwort sollten wir 
uns alle bemühen und, ohne uns gegenseitig etwas Falsches 
in die Schuhe schieben zu wollen, versuchen, hier auch eine 
Berechtigung für das in der Berliner Verfassung festge 
legte Nominierungsmonopol der Berliner Parteien zu geben. 
Das sollte unsere Aufgabe sein. Wenn wir zu diesem Er 
gebnis kommen, muß die Begründung überzeugend sein. 
Darum wollen wir uns bemühen. - Vielen Dank! 
(Beifall bei der CDU) 
Präsident Sickert: Meine Damen und Herren! Ich 
schließe die Beratung. Die beiden Gesetzentwürfe sind 
bereits dem Ausschuß für Inneres überwiesen worden; ich 
stelle die nachträgliche Zustimmung des Hauses fest. Zu 
sätzlich zu dieser Vorabüberweisung ist noch die Über 
weisung an den Verfassungsausschuß beantragt worden. 
Wer dieser Überweisung die Zustimmung zu geben wünscht, 
den bitte ich um das Handzeichen. - Danke, das ist so 
beschlossen. 
Lfd. Nr. 7, Drucksache 6/1538: 
Große Anfrage der Fraktion der SPD über 
Rechtsweisungs- und BechtsberatungssteUen 
Der Senat wird aufgefordert, über den Bereich der 
öffentlichen Rechtsberatung im Land Berlin einen 
Bericht unter Berücksichtigung folgender Fragen 
zu geben: 
1. Welche Möglichkeiten gibt es, nicht nur ein 
kommensschwachen Bürgern, sondern jedem 
Rechtsuchenden vor- und außergerichtliche 
Rechtsauskunft zukommen zu lassen? 
2. Wie sind diese Möglichkeiten im Land Berlin 
verwirktlicht ? 
3. Teilt der Senat die Auffassung, daß die im Land 
Berlin bestehenden Einrichtungen noch ver 
bessert werden können ? 
4. Wäre dazu eine Erweiterung der Aufgaben der 
bestehenden Rechtsberatungsstellen oder eine 
Zusammenfassung der verschiedenen Institutio 
nen geboten? 
5. Welche haushaltsmäßigen Auswirkungen würden 
entsprechende Maßnahmen haben? 
Oxfort (F.D.P.): Zur Geschäftsordnung! 
Präsident Sickert: Bitte, Herr Abgeordneter Oxfort, zur 
Geschäftsordnung! 
Oxfort (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und 
Herren! Namens der Fraktion der F.D.P. widerspreche ich 
der Behandlung dieses Tagesordnungspunktes an dieser 
Stelle. Nach dem Inhalt der hier vorliegenden Drucksache 
handelt es sich um einen Antrag an das Abgeordnetenhaus, 
den Senat aufzufordern, einen Bericht zu erstatten. Dies 
ist keine Große Anfrage und kann deshalb an dieser Stelle 
nicht behandelt werden. In Zukunft wäre es für alle Frak 
tionen ein Leichtes, durch eine bloße Benennung eines 
Antrages als Große Anfrage eine frühe Behandlung zu er 
reichen. 
Ich habe Verständnis dafür, daß die Fraktion der SPD 
Schwierigkeiten bei der Formulierung Großer Anfragen 
hat; sie macht von diesem Instrument der Geschäftsord 
nung wenig Gebrauch. Ich bin gern bereit, in Zukunft die 
HUfe meiner Fraktionsgeschäftsstelle bei der Formulierung 
anzubieten. 
(Unruhe bei der SPD) 
2949
	        
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