Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
66. Sitzung vom 24. Januar 1974
Rentenversicherung mit einer Zusatzversicherung als
Ergänzung, wie schon bisher bei Angestellten und Ar
beitern, eingeführt werden soll.
Dann wird in den Erläuterungen allerdings der zweiten
Alternative der Vorzug gegeben, so daß damit zu rechnen
ist, daß die Versorgung der Beamten verschlechtert wird.
Es ist aber kaum denkbar, daß den bisherigen Beamten
ihr Versorgungsanspruch, den sie sich bisher durch die
Bestimmungen des Grundgesetzes erworben haben, genom
men wird.
(Bm Neubauer: Will doch auch keiner!)
Darüber hinaus würden sich für den Staat riesige Nach
zahlungen an die Rentenversicherungsträger ergeben, falls
es zu einer auf Rentenbasis mit Zusatzversorgung basieren
den Regelung käme. Dieses, meine ich, muß bedacht wer
den. Selbst wenn man einen Besitzstand für die bisherigen
Beamten einbauen würde, wovon ich vielleicht ausgehen
kann, müßten immer noch jüngere Beamte, die heute in den
öffentlichen Dienst eintreten, ihre Versorgungsleistungen
selbst erbringen; also eine erhebliche Verschlechterung
gegenüber dem bisherigen Stand.
Im vorliegenden Bericht versucht der Senat im Absatz 5
seine Grundsätze zur Reform des öffentlichen Dienstrechts
zu erläutern und beschreitet dabei einen Weg, der meiner
Ansicht nach nicht konsequent, sondern eher fragwürdig
ist. Dem neuen öffentlichen Bediensteten wird zwar einer
seits das Recht auf Tarifautonomie, das heißt in letzter
Konsequenz das Streikrecht angeboten — hier muß aller
dings bemerkt werden, daß von dem adäquaten Mittel der
Aussperrung kein Wort gesagt wird —, andererseits aber
sollen wesentliche Bestandteile des Beamtenrechts weiter
gelten, so soll z. B. die Unabhängigkeit der Mitarbeiter
gegenüber äußeren Einflüssen sichergestellt werden, die
Beschäftigung soll nach wie vor lebenszeitlichen Charakter
haben. Dies ist meiner Ansicht nach die berühmte „Rosinen
theorie“, bei der man verschweigt, daß die Sicherheit des
Beamtenstatus eben nur durch die gesetzliche Regelung
garantiert werden kann.
Und nun zur Frage des Streiks noch einige Hinweise:
Hier habe ich allerdings den Eindruck, daß der Senat —
jedenfalls in seiner Vorlage — selbst ein wenig Angst vor
der eigenen Courage bekommen hat, denn er sagt — ich
zitiere mit Genehmigung des Präsidenten noch einmal —:
Streikrecht wird künftig allen Angehörigen des öffent
lichen Dienstes zugestanden, jedoch soll die Möglichkeit
bestehen, bestimmte Gruppen von Beschäftigten, z. B.
in den Versorgungsbetrieben, bei der Polizei und bei
der Feuerwehr, zur Dienstleistung zu verpflichten. Der
Streik soll erst zulässig sein, nachdem eine Art Schlich
tungsverfahren — ein besonderes Verfahren — durch
geführt worden ist.
— So das Zitat aus dem Vorschlag. — Eine solche Regelung
würde in der Praxis bedeuten, daß viele Mitarbeiter im
öffentlichen Dienst ein Streikrecht auch in der Zukunft nur
theoretisch zugestanden bekommen, aber auf der anderen
Seite die Vorteile des Beamtenrechts preisgeben sollen.
Erlauben Sie mir zur Frage des Streiks aber noch einige
ganz kurze Bemerkungen, um Mißverständnissen vorzu
beugen. Natürlich ist das Recht auf Streik ein elementares,
durch die Verfassung abgesichertes Grundrecht. Bei der
Einführung eines einheitlichen Dienstrechts im öffentlichen
Dienst auf gesetzlicher Grundlage sollte jedoch das Streik
recht ausgeschlossen bleiben. Auch der Berliner Vorschlag
gibt ja, wie erwähnt, zu, daß die Unabhängigkeit der Mit
arbeiter gewährleistet bleiben muß; offenbar doch, weil er
einsieht, daß der öffentliche Bedienstete unter der Kontrolle
des Parlaments die Freiheit und die objektive Behandlung
des Staatsbürgers mit zu garantieren hat; die ist aber, ob
man es wahrhaben will oder nicht, nur bei einem gesetz
lichen Status garantiert. Die Einführung selbst eines ein
geschränkten Streikrechts müßte außerdem der absolut
interessenneutralen und imparteiischen Funktion des öffent
lichen Dienstes schaden und könnte ihn zum Spielball be
stimmter Machtgruppen in unserem Staate machen. Unter
diesen Aspekt gestellt, erweist sich unserer Auffassung
nach der heutige Beamtenstatus mit seinen besonderen
rechtlichen Bindungen als ein Mittel, möglichen Machtmiß
brauch — gleichviel, welcher Art — von vornherein zu ver
hindern. Diesen Status abzuschaffen, würde daher nichts
anderes bedeuten, als eine wichtige Sicherung unseres frei
heitlichen Rechtsstaates preiszugeben.
Nun bedeutet dies alles natürlich nicht, daß wir etwa ein
Beamtenrecht auf herkömmliche Weise zementieren wol
len, und natürlich, Kollege Salomon, stammt das Beamten
recht aus der wilhelminischen Zeit, das Arbeitsrecht aber
auch. Das Arbeitsrecht hat sich genauso wie das Beamten
recht in den letzten fünfzig oder hundert Jahren weiter-
entwickelt und, wie man sagen kann, auch sehr fortschritt
lich weiterentwickelt. Es ist natürlich notwendig, an Tabus
zu rütteln und neue Wege zu finden.
(Abg. Salomon: Genau!)
So sollte man z. B. das starre Laufbahnprinzip aufgeben,
eine individuelle Bewertung der Dienstposten und damit
eine Beförderung nach Leistung und Ausbildungsstand an-
streben; im Prinzip aber sollten die bisherigen Grundlagen
des Beamtenrechts erhalten bleiben.
(Bm Neubauer: Nee!)
Der Senat führt aus, er sei nicht bereit, Vorschläge zu
unterstützen, die dazu führen, daß die jetzt schon für die
Mehrheit der Dienstnehmer bestehende Tarifautonomie ab
gebaut oder aufgehoben wird. Die Praxis hat aber dagegen
bewiesen, daß in den letzten 40 Jahren das Tarifrecht für
Angestellte und Arbeiter immer stärker dem Beamtenrecht
angeglichen worden ist; es kann also eigentlich gar nicht
so schlecht sein, wie das hier immer gesagt wird. Ich
denke nur an Kinder- und Ortszuschläge, an Beihilferege
lungen und jetzt auch an die "Übernahme der Zusatzver
sorgung durch den Dienstherm. Nur das Wichtigste, näm
lich die Sicherheit des Beamten und die Versorgung durch
den Staat, wurde den Angestellten und Arbeitern bisher
verweigert. Wer heute eine Umfrage bei Angestellten und
Arbeitern des öffentlichen Dienstes vornehmen würde,
könnte vielleicht mit Erstaunen — das will ich zugeben —
feststellen, daß sich eine weitaus große Mehrheit für ein
modernes Beamtenrecht entscheiden würde, und vielleicht
nicht zuletzt auch aus folgendem Grund, der gerade heute
sehr aktuell ist: Seit einigen Jahren gibt es im Beamten
recht eine Bestimmung, nach der die Einkommen entspre
chend der wirtschaftlichen Entwicklung festzulegen sind.
Dies würde im augenblicklichen Fall nach den Ergebnissen
der konzertierten Aktion — ich habe das Protokoll hier
mitgebracht — eine Anhebung von etwa 10 bis 11 % be
deuten. Tarifkämpfe, wie sie uns im Augenblick im Bereich
des öffentlichen Dienstes vielleicht ins Haus stehen, wären
dann wahrscheinlich nicht zu führen, sie würden vielleicht
sogar der Vergangenheit angehören.
(Abg. Salomon: Aber Herr Kollege, das glauben
Sie doch selber nicht!)
Ich meine, dieses Argument sollte man sich auch einmal
überlegen und diskutieren.
Lassen Sie mich zum Schluß noch eine ganz kurze Be
merkung machen. Alles zusammengenommen ergibt sich
folgendes; Der vorgelegte Bericht des Senats ist sicher eine
Fleißarbeit und betrifft eine Herzensangelegenheit des
Herrn Innensenators — das sei ihm bestätigt —; er zeigt
deutlich, wie komplex dieses Thema ist und wieviel Zeit
noch nötig sein wird, um zu einer Lösung zu gelangen, die
in gleicher Weise sowohl den Interessen der Mitarbeiter
im öffentlichen Dienst als auch denen aller Bürger unseres
Staates, um die es ja in erster Linie geht, entspricht. Trotz
gegensätzlicher Standpunkte — und das sage ich hier ganz
bewußt — werden Sie bei uns stets eine Diskussionsbereit
schaft finden. Ich halte die Diskussion zwar für erforder
lich, wenn ich auch glaube, daß hier heute noch nicht der
richtige Ort war, um sie zu führen.
(Beifall bei derF.D.P.)
Stellv. Präsident Dr. Schönherr: Das Wort hat Herr Bür
germeister Neubauer.
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