Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
81. Sitzung vom 26. September 1974
Die Frage, ob und in welchem Maße die Tarife bei den
Eigenbetrieben an die Kostenentwicklung angepaßt werden
sollen und inwieweit dies dem Verbraucher zumutbar ist,
muß natürlich von Fall zu Fall entschieden werden. Trotz
dem scheint es mir notwendig und zweckmäßig, Überlegun
gen und Untersuchungen darüber anzustellen, inwieweit
allgemeine Grundsätze für die Anpassung der Tarife an
die Kostenentwicklung in bezug auf Zeitpunkt und Aus
maß der Anhebung gefunden werden können. Dies gilt übri
gens nicht nur für die Tarife der Eigenbetriebe, sondern
für alle Gebühren und Entgelte der öffentlichen Hand. Ohne
Ihnen einen Erfolg solcher Bemühungen um eine •— lassen
Sie es mich mal so formulieren — „dynamisierte Tarif
politik“ versprechen zu können, möchte ich jedenfalls er
wähnen, daß über diese Frage nachgedacht wird. Ich hoffe,
daß in absehbarer Zeit ein praktikables Modell zur Dis
kussion gestellt werden kann.
Eine dritte Betrachtung zum Haushaltsentwurf 1975 gilt
der Gesamtbindung. Die Bezirkshaushaltspläne für das
Jahr 1975 sind auf der Grundlage eines neuen Systems des
„vertikalen Finanzausgleichs“, in Berlin Gesamtbindung
genannt, aufgestellt worden. Wir sehen darin einen bedeut
samen Ansatz, den Strukturausgleich zwischen den Bezir
ken als politische Aufgabe verstärkt in Angriff zu nehmen
und dem in der Verfassung verankerten Gebot der Wert
gleichheit der Lebensverhältnisse — selbstverständlich im
Rahmen der naturgegebenen Grenzen — näher zu kommen.
Kennzeichen des neuen Systems sind
1. Stärkung der Eigenverantwortung der Bezirke dort, wo
diese sie tragen können,
2. angemessene Verteilung des Haushaltsrisikos zwischen
Hauptverwaltung und Bezirken,
3. der Versuch, ein höheres Maß an Verteilungsgerechtig
keit zwischen den Bezirken mit Hilfe von Zumessungs
modellen zu erreichen, die in ihren Bedarfsfaktoren
auch die Unterschiede in der Sozialstruktur der Bezirke
angemessen berücksichtigen.
Erste Zumessungsmodelle konnten für diesen Haushalt
eingeführt werden, die Einführung aller Modelle soll mit
dem Haushalt 1977 abgeschlossen sein.
Der erste Schritt der Neuregelung scheint, wenn ich eine
vorsichtige Wertung vornehme, gelungen. Er war begleitet
und gefördert von wachsendem Verständnis und positiver
Mitarbeit seitens der Bezirke — was ich hier ausdrücklich
anerkennend hervorheben möchte. Dies ist vor allem des
halb so bemerkenswert, weil Bemühungen, die Verteilungs
gerechtigkeit zu definieren und auf den Ausgleich von
Sozialstrukturen abzuzielen, natürlich Konflikte und Wider
stände insbesondere dort auslösen mußten, wo Besitzstände
in Frage zu stellen waren. Die Gesamtbindung ist allerdings
nur ein Ansatzpunkt, um auf Wertgleichheit der Lebens
verhältnisse zwischen den Bezirken und das Ziel des Sozial
strukturausgleichs hinzuwirken. Von großer Bedeutung
sind in dieser Hinsicht überdies die Investitionen und die
Stellenplanfortschreibungen. Ich nenne hier nur beispielhaft
als gewichtige Maßnahme die Aufnahme zusätzlicher Leh
rerstellen in den Haushalt 1975 für die Durchführung kom
pensatorischer Förderungsmaßnahmen und das neu ein
geführte Sonderbauprogramm von Kindertagesstätten in
Auswirkung des Maßnahmenkatalogs zum Ausländer
bericht.
Zum Zahlenwerk selbst möchte ich Ihnen vermelden, daß
wir wieder einen Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben
in Höhe des Haushaltsvolumens von 13 128 238 300 DM er
reicht haben. Ich wiederhole: Dies bedeutet eine Wachs
tumsrate um 9,4 v. H. insgesamt oder bei den nachfrage-
wirksamen Ausgaben in Höhe von 10 v. H.
Einige ganz wenige Einnahmeansätze seien genannt. Wir
haben — bei den Steuern — einen Ansatz vor der Steuer
reform gefunden von 3 530 Mio DM, das bedeutet gegenüber
dem Ansatz 1974 von 3 187 Mio DM eine Steigerung um
10,8 v. H. Der Anteil der Steuereinnahmen an den Gesamt
einnahmen des Haushaltsplanentwurfs 1975 beträgt 26,9 v. H.
Er lag 1971 — bei Beginn dieser Legislaturperiode — bei
25,1 v. H. (Ist) und ist somit in der derzeitigen Wahlperiode
um 1,8 v. H. gewachsen. Dazu haben sowohl die eigenen An-
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strengungen Berlins — ich nenne hier noch einmal die
Hebesatzerhöhung bei der Grundsteuer und der Gewerbe
steuer — als auch die höhere Beteiligung der Länder am
Umsatzsteueraufkommen beigetragen. Die Tatsache aber,
daß auch Berlin eine wachsende Steuerquote zu verzeichnen
hat, ist ein erfreuliches Zeichen zunehmender eigener Pi-
nanzkraft und einer ständig steigenden Steuerkraft der
Berliner Wirtschaft. Diese Tatsachen beweisen, daß wir mit
unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik auf dem richtigen
Wege sind. Als Folge der Steuerreform wird der Anteil der
Steuern an den Gesamteinnahmen zwar wieder — zumin
dest vorübergehend — etwas abnehmen; entscheidend ist
aber, daß die Steuerkraft selbst durch die Steuerreform
nicht berührt wird, so daß wir auch in Zukunft mit einer
Verbesserung der Steuerquote rechnen können.
Lassen Sie mich bitte zum Abschluß dieser Steuer
betrachtung noch eine Vergleichszahl nennen: Von 1971
(Ist) zu 1975 (Soll) ergibt sich eine Steigerung der
Steuereinnahmen Berlins von 72,1 v. H. Im selben
Zeitraum ist eine Steigerung der Steueraus
fälle Berlins auf Grund des Berlinförderungsgesetzes um
47,9 v. H. festzustellen, nämlich von 916 Mio DM auf
1 355 Mio DM. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Stadt
dem System der Steuerpräferenzen — den Absatzpräferen
zen, den verminderten Sätzen der Einkommensbesteuerung
bzw. der Arbeitnehmerzulage, den Abschreibungsvergünsti
gungen, den Anreizen zum Kapitalzufluß nach Berlin —
zum erheblichen Teil ihren wirtschaftlichen Wiederaufstieg
verdankt und daß sie diesen Impulsen auch in absehbarer
Zukunft weiterhin bedarf.
Ein Wort zur Bundeshilfe: Veranschlagt sind 5 880 Mio
DM. Das sind 560 Mio DM oder 10,5 v. H. mehr als im Haus
haltsplan 1974. In diesem Betrag enthalten sind, wie schon
erwähnt, 80 Mio DM zum Ausgleich der Steuerreform
belastung Berlins. Ohne die vorgenannten SO Mio DM wäre
die Bundeshilfe um insgesamt 9 v. H. gestiegen. Wie im
vergangenen Jahr, so konnte mit dem Bund auch für 1975
noch vor der Beratung des Haushaltsentwurfs im Senat
eine verbindliche Vereinbarung über die Höhe der Bundes
hilfe getroffen werden. Diese Vereinbarung enthält wieder
um eine Personalkostengleitklausel, die Berlin das Risiko
des nächsten Tarifabschlusses im öffentlichen Dienst, so
weit dieses Risiko nicht durch Steuermehreinnahmen ge
mindert werden kann, abniramt. Ich freue mich, daß die
neue Bundesregierung unter Kanzler Schmidt für die Ber
liner Belange ebenso aufgeschlossen ist wie ihre Vorgän
gerin, und ich darf dafür — so nehme ich an — im Namen
aller Berliner meinen Dank aussprechen. .
(Beifall bei der SPD)
Ein Wort zu den Kreditmarktmitteln: Hier möchte ich
die Entwicklung der Haushaltsansätze der Jahre 1973 bis
1975 zum Vergleich aufzeigen, dargestellt in der Netto-
Neuverschuldung: 1973 484 Mio DM, 1974 374 Mio DM,
1975 474 Mio DM. Die Erhöhung fast auf den Stand von
1973 war leider erforderlich im Zusammenhang mit den
Belastungen aus der Steuerreform — ich sprach schon
davon. Ich will nicht verhehlen, daß ich die zunehmende
Inanspruchnahme des Kreditmarkts nicht mit besonderer
Freude betrachte. Schließlich blockiert der darauf resultie
rende, stark wachsende Schuldendienst die Verwendung
zukünftiger Einnahmen. Andererseits muß eine Gebiets
körperschaft, die letztlich — ich darf es wohl mal so for
mulieren — ein großes Dienstleistungsunternehmen ist, wie
ein privates Unternehmen im Rahmen des volkswirtschaft
lich Vertretbaren ihren Verschuldungsspielraum nutzen.
Und dabei ist es wichtig zu wissen, daß Berlin im Vergleich
zu den übrigen Bundesländern einschließlich ihrer Gemein
den auf Grund eines erheblichen Anteils der Bundesdar
lehen an unserer Verschuldung nach wie vor eine unter
durchschnittliche Zinsendienst-Belastung aufzuweisen hat.
Anläßlich früherer Haushaltsreden habe ich das Konzept
der sogenannten Nettozinslastquote, nach dem wir die fi
nanzwirtschaftliche Vertretbarkeit unserer Verschuldung
bewerten, schon näher erläutert. Danach bildet das Verhält
nis der Zinsausgaben abzüglich Zinseinnahmen zu den lau
fenden Einnahmen, aus denen der Zinsendienst finanziert
werden muß, die sogenannte Nettozinslastquote, also das
Maß der Belastung des Haushalts aus der Verschuldung-