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Volume Nr. 77, 03.07.74

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1974/75, 6. Wahlperiode, Band IV, 66.-93. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
77. Sitzung vom 3. Juli 1974 
wollen. Diese beiden Änderungsanträge sind nach unserer 
Auffassung von so großer politischer Bedeutung, daß die 
Entscheidung über diese Änderungsanträge, die wir hier 
heute gestellt haben und die Ihnen vorliegen, für uns für 
die Gesamtbeurteilung von ausschlaggebender Bedeutung 
sind. 
Der erste Teil unseres Änderungsantrags zielt auf die 
Einführung der Briefwahl auch für die Wahl der Personal 
vertretungen ab. Wir sehen in diesem Antrag eine ganz 
wesentliche Ergänzung des bisherigen Wahlrechts zu den 
Personalvertretungen und glauben, daß unter Berücksich 
tigung von Urlaubszeiten, Kuren, Abordnungen und ande 
ren Gründen damit für mindestens 10 % aller im öffent 
lichen Dienst Beschäftigten erstmalig die Gelegenheit ge 
geben wird, an den Wahlen teilzunehmen. Dies für diejeni 
gen, die aus dienstlichen oder sonstigen Gründen abwesend 
sind. Aber auch für diejenigen, die am Dienstplatz verhar 
ren und nicht zu den Wahllokalen gehen wollen, ist mit der 
Einführung der Briefwahl die Möglichkeit gegeben, an den 
Wahlen teilzunehmen. Wir wissen, daß bei den Wahlen 
zu den Personalvertretungen die Ausübung des Wahlrechts 
relativ geringer ist im Vergleich zu den allgemeinen Wah 
len, und meinen, daß man mit der Einführung der Brief 
wahl die erleichterte Möglichkeit hat, am Wahlvorgang 
selbst teilzunehmen, und empfehlen diesen Antrag. Wir 
glauben auch, daß für die Einführung der Briefwahl außer 
dem die Überlegung sprechen sollte, daß die Gegner dieser 
Briefwahl nicht in der Lage waren, eine einzige überzeu 
gende Begründung gegen die Einführung der Briefwahl 
vorzutragen. Wir haben im Ausschuß vergeblich danach 
gefragt, wie dies eigentlich mit dem Demokratieverständ 
nis, das doch immer so gern hochgehoben wird, zu verein 
baren sei, daß man hier meint, einer ganzen Gruppe von 
Angehörigen des öffentlichen Dienstes - nämlich diesen 
mindestens 10 %, die abwesend sind - die Wahlmöglichkeit 
vorenthalten zu müssen. Und, meine Damen und Herren 
von der SPD-Fraktion, die F.D.P. hat ja mit uns gemein 
sam die Briefwahlanträge unterstützt. Wer Demokratie 
wagen will, nun, der sollte nicht nur die Lippen spitzen, 
sondern der sollte auch pfeifen, wenn es darauf ankommt. 
Also hier müssen Sie schon einmal Farbe bekennen. 
Der zweite Teil unseres Änderungsantrags ist für uns 
ebenfalls von sehr großer Bedeutung, und zwar nicht nur 
wegen seines grundsätzlichen Gewichts, sondern auch aus 
einem sehr aktuellen Bezug. Die Senatsvorlage geht da 
von aus, daß die Freistellung der Personalvertreter dahin 
gehend zu ändern sei, daß - um ein reibungsloses Funktio 
nieren der Tätigkeit der Personalvertretung zu ermög 
lichen nach diesem neuen Gesetz - weitere 190 Personalver 
treter freigestellt werden sollen zu den bisher bereits freige 
stellten 180. Das erfordert insgesamt einen Kostenaufwand 
von mindestens 6 Mio DM. Nun haben wir im Innenausschuß 
die Frage gestellt, warum dies notwendig sei, und wir ha 
ben eine überzeugende Begründung für diese Zahl nicht er 
halten können. Es wurde uns geantwortet, daß es sich hier 
um Schlüsselzahlen handele, die aus dem Bundespersonal 
vertretungsgesetz stammten, und daß diese Schlüsselzahlen 
nun wiederum dort auch nicht geprüft, sondern wiederum 
übernommen worden seien aus dem Betriebsverfassungsge 
setz. Auf ausdrückliches Befragen mußte die Innenverwal 
tung zugeben, daß eine ins einzelne gehende, eine eigen 
ständige Prüfung dieses Bedarfs nicht erfolgt sei. Nun, 
man kann über Arbeitslast und -fleiß eine Vielzahl von 
schönen Sprüchen machen, und es wurde uns entgegenge 
halten, wie fleißig und wie belastet die Personalvertreter 
seien. Das wird gar nicht bestritten, aber es geht hier 
darum, daß wir die Frage gestellt haben: Mit welcher 
Rechtfertigung können wir an den Steuerzahler herantre 
ten, diese 6 Mio DM zu zahlen, wenn - wie hier ganz deut 
lich erkennbar - nur eine andere Zahl übernommen worden 
ist aus einem ganz anderen Gebiet, also keine eigene Be 
gründung vorhanden ist ? - Wir verkennen nicht die Aufga 
benstellung und die Bedeutung der Personalvertretungen 
und auch nicht ihre große Bedeutung für die innere Struk 
tur des öffentlichen Dienstes. Eine ganze Reihe meiner 
Fraktionskollegen war selbst lange Jahre Personalvertre- 
ter, und wir haben auch aus anderen Quellen die Möglich 
keit, in die Arbeit der Personalvertretungen hineinzusehen 
bzw. sie zu betrachten, zu begutachten und zu bewerten. 
Deshalb bejahen wir auch grundsätzlich die Möglichkeit, 
in angemessenem Umfang Personalvertreter von ihren son 
stigen dienstlichen Pflichten zu entbinden. Wir sind jedoch 
der Auffassung - und das ist der Punkt, mit dem wir unse 
ren Abänderungsantrag begründen -, daß diese Berechnung 
des Bedarfs nicht schematisch erfolgen darf, nicht sche 
matisch durch Übernahme von Schlüsselzahlen aus ande 
ren Bereichen des Arbeitslebens, sondern daß hier im Hin 
blick auf die Allgemeinverantwortung, der wir ja alle un 
terliegen, im Einzelfall bedarfsorientiert zu prüfen ist. 
Es ist für uns nicht verständlich, daß normalerweise bei 
der Anforderung von neuen Stellen die jeweilige Dienst 
behörde verpflichtet ist, sich mit dem Innensenator, mit 
dem Finanzsenator, mit dem ganzen Senat und mit dem 
Hauptausschuß und mit dem ganzen Parlament auseinan 
derzusetzen, um eine zusätzliche Stelle für die Erfüllung der 
ihr übertragenden Aufgaben zu erhalten, aber hier auf 
einen Schlag, ohne jede nähere Begründung, zusätzliche 
190 Stellen angefordert werden. Und wenn man dann nach 
fragt, wird man auf irgendwelche Schlüsselzahlen, bei 
denen man eigentlich auch nicht näher definieren kann, wie 
sie errechnet wurden, verwiesen. 
Es ist uns entgegengehalten worden, unsere Einstellung 
wende sich gegen die Demokratisierung der Verwaltung 
und verhindere die nötige Waffengleichheit zwischen Per 
sonalvertretung und Dienstbehörde. Diese Argumentatio 
nen zeigen schon, daß man in Wahrheit keine Argumente 
hat, sondern daß man, neben der Sache argumentierend, 
sich verteidigen will. Uns kommt es nicht darauf an - um 
das ganz deutlich zu betonen -, die Personalvertretung etwa 
in ihrer Arbeit zu behindern, sondern wir wollen ein ange 
messenes, sachorientiertes Verfahren finden, um den Bedarf 
jeder Personalvertretung für ihren speziellen Aufgabenbe 
reich zu ermitteln. Und wer sich gegen diese Forderung 
der sachorientierten Prüfung wendet, der muß sich dann 
allerdings auch den Vorwurf gefallen lassen, daß er die 
Zeichen der Zeit nicht mehr versteht. Wer wirklich Schluß 
machen will mit dem Verschludern öffentlicher Mittel, der 
kann nicht mit Gedankenlosigkeit einfach schematische 
Lösungen aus anderen Bereichen übernehmen. Was sollen 
alle Appelle zur Sparsamkeit, wenn sie nicht eingehalten 
werden, wenn es dann wirklich einmal zum Schwur 
kommt? Man soll uns nicht entgegenhalten, das sei alles 
beim Betriebsverfassungsgesetz schon geprüft. Die Auf 
gabenstellung der Betriebsräte ist eine andere als die der 
Personalvertretungen. Die Pflichten des Arbeitgebers im 
öffentlichen Dienst unterliegen scharfer Kontrolle u. a. 
auch dieses Hauses und sind viel stärker eingebunden in 
Vorschriften und Gesetze als die des Arbeitgebers in der 
freien Wirtschaft. Man soll uns nicht Äpfel und Birnen ge 
meinsam als die „Ware“ vorlegen, die wir hier zu beurtei 
len haben. Es ist ein Unterschied. Und die CDU-Fraktion 
will mit dem Änderungsantrag, den wir hier eingebracht 
haben und zu dem wir auch stehen unter der angekündig 
ten Drohung hinter der Hand: „Wir werden euch schon bei 
den Gewerkschaften schlechtmachen!“, ein Signal setzen. 
Sie will deutlich machen, daß dieses System - und ich 
hoffe, daß das die Kollegen der anderen Fraktionen auch 
verstehen - ein Ende finden muß, daß immer nur von der 
einen in die andere Sparte übernommen wird ohne kritische 
Prüfung. 
Wir sagen ganz deutlich: Wenn unsere Änderungsanträ 
ge nicht die Zustimmung der Mehrheit dieses Hauses finden, 
können wir auch in der Schlußabstimmung dem Gesetz 
nicht zustimmen, obwohl - und das sei betont - uns dies 
schwerfällt, insbesondere weil viele Intentionen dieses Ge 
setzes, ja überwiegend die Intentionen dieses Gesetzes, un 
seren Wünschen und politischen Vorstellungen entsprechen. 
Wir meinen, daß endlich einmal deutlich gemacht werden 
muß - und es handelt sich hier eben um 190 Stellen, und 
es handelt sich eben um 6 Mio DM -, daß nicht schematisch 
etwas von anderen Gebieten übernommen werden kann, 
wofür man im Grunde eine nähere Einzelprüfung, eine 
nähere Begründung nicht bieten kann. - Vielen Dank! 
(Beifall bei der CDU) 
Stellv. Präsident Dr. Schönherr: Das Wort hat der Ab 
geordnete Baetge. 
2800
	        
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