Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
75. Sitzung vom 20. Juni 1974
möglicherweise Randinteressen des Umlandes oder noch
weiter darüber hinaus mit abdecken kann, die aber umge
kehrt diesen nicht untergeordnet werden dürfen. Das
möchte ich hier für die CDU-Fraktion ganz klar zum Aus
druck bringen. Wir sind auf eine entsprechende Bemerkung
im gleichen Sinne, wie ich sie eben vorgetragen habe, vom
Senat in unserer Auffassung bestätigt worden. Ich möchte
das hier wiederholen, daß der Senat trotz mißverständlich
erscheinender Darstellung in dieser Pernverkehrskonzeption
diese unsere Auffassung deckt. Wie wir überhaupt — wir
stehen nicht an, das hier zu sagen — feststellen dürfen, daß
wir erstens viele Punkte, die wir hier vor anderthalb Jahren
vorgetragen haben — angeregt von unserer Seite —, wieder
gefunden haben, und im übrigen insgesamt der Fernver
kehrskonzeption — wie sie uns vorliegt — sehr positiv
gegenüberstehen.
Daß die Vermutung einer Planungsromantik nicht ganz
abwegig ist, mögen Ihnen Hinweise sagen, wenn Sie bei
spielsweise unter der laufenden Ziffer 98 lesen, daß gewisse
Maßnahmen den Freizeitwert der DDR für Westberliner
erheblich erhöhen würden. Meine Damen und Herren, das
ist, wie mir scheint, sicher Romantik angesichts
(Abg. Rheinländer: Wieso, waren Sie noch nicht in
Werder. Herr Kollege ?)
einer Situation — hören Sie gut zu —, die zur Zeit alles
andere als eine solche Hoffnung berechtigt erscheinen läßt.
Denn solange hier vertragswidrig, wie uns immer wieder
zu Recht deutlich gemacht wird und wie wir es doch sehen,
die Möglichkeit dessen, was ohnehin für uns an begrenz
ten Mitteln als Umlandbesuch möglich ist, erschwert, um
nicht zu sagen svstematisch verwehrt wird, ist der Traum
von einer Erhöhung des Freizeitwertes der DDR für
Besucher aus Berlin (West) wirklich sehr weit entfernt. Ich
möchte das so allgemein sagen.
Das ist es. was wir meinen, wenn wir sagen: Primär sind
unsere Westberliner Interessen zu sehen und nicht primär
Interessen des verkehrspolitischen Umlandes.
(Abg. Zellermayer: Sehr richtig!)
Auch wenn man liest, daß in den Zielvorstellung gesagt
wird, es werde davon ausgegangen, — ich zitiere hier:
daß dies innerhalb der europäischen Verkehrsströme
nicht ausschließlich Berlin (West) betrifft oder ihm zu
gute kommt. Abstimmung und Einordnung aller in die
sem Raum wirksamen Interessen sind notwendig.
Meine Damen und Herren, sofern das, was uns nicht zugute
kommt, wie hier gesagt wird aus objektiven Gründen, aber
von uns in irgendeiner Weise bezahlt werden soll, sofern
dies dann einen Zusammenhang ergibt, da würde ich aller
dings meinen, hier sollte man sehr viele Ausrufungs- und
Fragezeichen setzen. Es gibt Dinge, die uns primär nicht
zugute kommen, das ist gar kein Zweifel. Diese aber mög
licherweise — und damit greife ich vielleicht schon etwas
hinaus — aus Steuermitteln unserer Stadt oder solchen des
Bundes zu realisieren, würde dann doch wohl die Inter
essenlage etwas auf den Kopf stellen.
Aber ich teile die Meinung und meine Fraktion stimmt
der Auffassung des Senats voll zu, daß die wirksamste
Möglichkeit zur Verwirklichung dieser Blütenträume — der
naheliegenden, der konkreteren und der weitgesteckten,
die ich aber jetzt hier nicht weiter ernst nehme — nur
möglich ist, wenn eine weitestgehende Interessengleichheit
zwischen uns und dem Umland gegeben ist. Das ist in der
Tat die wirksamste, die einzig realistische Voraussetzung
zur Durchführung all dieser Vorhaben.
Zu den Vorhaben selbst nur eine Bemerkung. Wir wol
len hier nicht die Fachberatungen in den Ausschüssen vor
wegnehmen, schon gar nicht in dem Ausschuß, dem ich
vorzustehen die Ehre habe. Aber eines sei gesagt, ich habe
es schon in anderem Zusammenhang erwähnt: Die unter
Seite 114, Ziffer 142 niedergelegte Prioritätenliste für das
große Fernverkehrskonzept scheint uns nicht in allen
Punkten schlüssig und logisch im Aufbau zu sein. Ich
möchte ein Beispiel nennen, warum das so Ist. Es wird in
dem Bericht vorab in den Abschnitten A und B im
Zahlenmaterial ausgewiesen, das das Gros des Personen
verkehrs und auch des Güterverkehrs zwischen uns und
dem Bundesgebiet auf der Straße liegt, und zwar auf der
Straße Berlin—Helmstedt. Ich verweise auf die Seite 20 —
Statistik — im Bericht. Dort wird gesagt, daß sich der
Güterverkehr aus dem Bundesgebiet zu 46 % auf der
Straße abwickelt, alles andere verteilt sich dann auf
Schiene, Wasser und ein bißchen Luft, und nach dem Bun
desgebiet zu 73 % auf der Straße abwickelt, der Personen
verkehr mit Kfz insgesamt ins Bundesgebiet zu 62 %. Dann
wird weiter unten gesagt, daß die Strecke über Helmstedt
für Pkw und Güterverkehr — das sind die Seiten 10 und 21
— mit 60 bzw. 68 % den Personenverkehr aufnimmt, woraus
— und darauf will ich verweisen — hervorgeht, daß sie
die wichtigste Verkehrsader zu Lande zur Zeit für uns ist,
war und — ich wage die Prognose — auch bleiben wird.
Im übrigen teilt der Senat selbst diese Auffassung, indem
er auf Seite 10 sagt:
Der Grenzübergang Helmstedt hat für den Transit
verkehr eine überragende Bedeutung.
— Dem können wir nur zustimmen.
Daraus ergibt sich nun nach unserer Auffassung die Fol
gerung, dieser Strecke, die für uns in der Prioritätenliste
überragende Bedeutung hat, auch den gebührenden Rang
einzuräumen. Zu unserer Überraschung finden wir aber erst
unter Kategorie 3 — in der Dringlichkeitsfolge sind vier
Kategorien aufgezeigt — die Aussage: Verbesserung von
Teilabschnitten der Autobahn-Transitstrecken etc. etc. Ich
frage: Warum? Darüber wird zu sprechen sein, insbeson
dere doch deswegen, weil uns die Verbesserung dieses
Landweges mit relativ geringen Mitteln schneller erreichbar
erscheint als viele andere Pläne, die wohl doch nicht so
schnell zu verwirklichen sein werden.
Insbesondere auch dann — und das möchte ich hier gleich
mit anschließen —, weil wir für diesen Verkehrsweg immer
wieder den Hinweis geben müssen — wie auch für andere,
die wir benutzen —, daß hier endlich einmal eine Zweck
bindung in bezug auf die Leistungen, die vom deutschen
Steuerzahler erbracht werden, und von der Nutzung her
konstruiert wird.
(Beifall bei der CDU — Zuruf: Sehr richtig!)
Darauf kann man nicht oft genug verweisen. Ich schließe
mich hier der Ausführung des Kollegen Thomas vom
22. Februar 1973 an. Wir sind völlig einer Meinung; Der
Senat muß in dieser Hinsicht über die Bundesregierung
aktiv werden, daß die Mittel, die großen Millionen-Steuer-
mittel, die wir im Ausgleich an die DDR zahlen, auch
zweckgebunden verwendet werden.
Meine Damen und Herren, es ist schon höchst ungewöhn
lich in einer modernen zivilisierten Welt, daß Verkehrs
wege bei ihrer Benutzung bezahlt werden müssen.
(Abg. Rheinländer: Doch, Italien!)
— Es gibt solche — und ich wollte gerade darauf hinwei-
sen —, wenn Sie an die Autobahn Genua-Neapel denken,
wenn Sie an die Brücke Salasar in Lissabon denken, an die
Tauernstraße in Österreich, aber es sind die Ausnahmen.
Aber diese Mittel, die Gebühren, die dort erhoben werden,
dienen ausschließlich dem Zweck, entweder die vorge
streckte Finanzierung im Nachhinein zu bezahlen oder
daraus die laufende Unterhaltung zu decken. Das ist inter
nationaler Standard und das ist auch die einzige Legitima
tion für die Erhebung von Straßenbenutzungsgbühren.
(Beifall bei der CDU)
Und das sollte man allen, die in Verhandlungen mit der
anderen Seite stehen, als unsere Meinung an die Hand
geben. Es ist ja auch nur logisch, daß man das sagen muß,
da gibt es doch wohl ernsthaft keinen Zweifel in diesem
Haus, daß wir uns Wegelagerertum widersetzen müssen
und erwarten können, daß Gebühren auch zweckentspre
chend eingesetzt-werden.
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