Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
74. Sitzung vom 13. Juni 1974
Für uns bleibt in dieser ganzen Debatte ein fader Bei
geschmack. Es bleibt der Eindruck, daß es hier in Wahrheit
gar nicht darum geht, die vernünftigste Lösung zu finden,
sondern daß es darum geht, eine einmal vorgesehene und
geplante Maßnahme unter allen Umständen auch durchzu
setzen, um dem Prestigebedürfnis der zuständigen Verwal
tung und ihres Senators Rechnung zu tragen. Ich sage das
mit aller Deutlichkeit, weil nämlich ernsthaft gar nicht zu
erkennen ist, inwiefern die Entscheidung, die diesem
Hause heute abverlangt wird, wirklich so eilbedürftig ist,
(Abg. Wronski: Genau!)
daß beispielsweise das Gutachten, das die CDU-Fraktion
nunmehr verlangt, nicht mehr eingeholt werden kann.
Niemand hat diesem Hause bei dem Umfang und der Dauer
der zu erwartenden Baumaßnahmen klarmachen können,
warum eine solche notwendige Überprüfung nicht noch
durchgeführt werden kann.
Man wird uns nicht einreden können, daß dazu die Zeit
nicht ausreiche, daß also unbedingt in den nächsten zwei
Monaten alles schon beginnen müsse.
Wir sollten sehen, daß es eine große Anzahl von Zehlen
dorfer Bürgern, von betroffenen Bürgern, gibt, die dieses
Objekt ablehnt. Ich habe nur diese Leitz-Ordner mit her-
aufgebracht, weil die F.D.P. an drei Vormittagen über
7000 Unterschriften gesammelt hat, mit denen Zehlendorfer
Bürger dieses Objekt abgelehnt haben. Die ersten 2500 sind
an einem Vormittag gesammelt worden, an dem es regnete,
und die Bürger haben sich in Scharen angestellt, um ihre
Unterschrift zu leisten. Nun kann man ja natürlich sagen:
„Was sind 7000 Unterschriften im Verhältnis zur Gesamt
einwohnerzahl des Bezirks Zehlendorf?“ Dies wäre ein
schlechtes Argument, weil natürlich — wie Sie alle wissen
— eine solche örtlich beschränkte Auslegung von Listen,
in die man sich eintragen kann, notwendigerweise nur
einen Bruchteil aller Bürger überhaupt erfassen und an
sprechen kann.
Ich meine, es gibt noch einen anderen Gesichtspunkt —
der Herr Kollege Liebig hat bereits am Schluß seines Bei
trags darauf hingewiesen —, nämlich denjenigen, daß die
Einbindung dieses Objekts in die gesamte Verkehrspla
nung nicht hinreichend berücksichtigt worden ist. Bisher
gibt es zum Beispiel keine konkrete und endgültige Ent
scheidung, was aus den anderen vorgesehenen Tunneln
werden soll, die in der Straßenverlängerung nach der vor
liegenden Planung gebaut werden sollten. Wenn diese
Tunnel damals schon notwendig waren, um das möglicher
weise erwartete Verkehrsaufkommen aufzunehmen, was
nutzt dann der Tunnel an dieser Stelle, wenn die anderen
nicht mehr gebaut werden? Oder sollen sie doch noch ge
baut werden ? Dann soll auch dieses klar gesagt werden.
(Abg. Beier: Da ist doch nicht der Querverkehr!)
Das Verkehrsaufkommen ist nicht hinreichend überprüft
worden. Herr Kollege Liebig hat dazu etwas gesagt. Und
die Nahverkehrskonzeption des Senats, die auch in diesem
Zusammenhang eine Rolle spielt, ist erst im Anfangs
stadium gestern oder vorgestern den Abgeordneten im zu
ständigen Ausschuß auf den Tisch gelegt worden.
Nun, das alles ist unerfreulich und erweckt nach wie vor
den Eindruck: Hier geht es nicht darum, die beste Lösung
zu finden. Hier geht es darum, die Sache durchzusetzen. —
Und darum ist es auch ein wenig Spiegelfechterei gewesen,
als diese Beschlußempfehlung, die erste Beschlußempfeh-
lu ng, an den zuständigen Ausschuß und an andere Aus
schüsse zurückverwiesen wurde. Schon damals — so be
haupte ich — ging es nicht um die Bereitschaft, nach
Anhörung der Bürgerinitiative gegebenenfalls sich über
zeugen zu lassen und etwas anderes zu entscheiden, sondern
auch damals ging es nur darum, formell dem Prinzip Rech-
nung zu tragen, daß man diese Bürgerinitiative anhören
muß.
Im Zusammenhang mit unserer Großen Anfrage hat der
•Senator für Bau- und Wohnungswesen im Gegensatz zu
den Presseveröffentlichungen, die heute noch einmal wie
derholt worden sind, sich heute dahin erklärt, daß Verträge
bisher nicht abgeschlossen, Aufträge bisher nicht erteilt
worden seien, die aus der Stelle zu finanzieren seien, bei
der der Sperrvermerk angebracht worden ist. Der „Tages
spiegel“ behauptet heute — wie Sie sich alle durch Einsicht
in die Zeitung überzeugen können — das Gegenteil. Wir
sind nicht in der Lage, heute und an dieser Stelle Namen
zu nennen von Bürgern, die sich der Zeitung aus begreif
lichen Gründen anvertraut haben. Aber, Herr Senator, wir
nehmen Sie mit dieser Erklärung beim Wort und erwarten,
daß hinterher, nicht nur dem Buchstaben nach, sondern
auch dem Sinne nach, die Erklärung zutrifft, die Sie hier
abgegeben haben. Denn eines ist klar: Werden erst einmal
vorbereitende Arbeiten durchgeführt, die damit im Zusam
menhang stehen — und solche sind ja auch durchgeführt
worden, selbst wenn sie nicht aus der Haushaltsstelle be
zahlt werden —, dann ist dies natürlich ein zusätzliches
Argument, um diese Beschlußempfehlung unter allen Um
ständen durchzusetzen. Denn wer will hinterher die Verant
wortung auf sich nehmen, daß Gelder, die bereits ausgege
ben worden sind, vergeudet wurden oder Versprechungen
die bereits gemacht worden sind, nicht eingehalten werden
körmen ?
Wir sind außerordentlich unzufrieden, Herr Senator, mit
Ihnen, was Ihre Äußerungen zum zweiten Teil unserer
Frage betrifft. Ich will es mir jetzt nicht so leicht machen
und sagen, daß das Ausschußprotokoll, auf das Sie sich be
rufen haben, kein Wortprotokoll ist.
Aber wenn Sie die Äußerungen, die hier wiedergegeben
worden sind, im Zusammenhang lesen — und Sie haben
ja dazu aufgefordert —, und wenn Sie darüber hinaus —
auch das sage ich — den Ton bedenken, in dem die Äuße
rungen im Ausschuß vorgetragen worden sind — und der
Ton macht bekanntlich die Musik —, dann bleibt das pein
liche Gefühl übrig, daß Ihnen die Bürgerinitiative ein
äußerst unbequemer Partner war, mit dessen Argumenten
sich auseinanderzusetzen unter Ihrer Würde ist. Denn es
ist ja nicht so, daß es sich darum handelte, eine einmalige
Äußerung von Ihnen auf die Goldwaage zu legen; es ist
ja nicht so, als ob die hier zitierte und von uns beanstan
dete Äußerung eine einmalige Entgleisung darstellte, über
die man hinwegsehen könnte. Solche Äußerungen gibt es
doch in weitem Rahmen, ob es sich dabei um den Ausschuß
von Bezirksbürgermeistern bei Kritik am Senat handelt,
ob es sich um das Verhalten gegenüber der Bürgerinitiative
handelt, oder ob Sie an anderer Stelle, über die wir hier
im Hause auch schon gesprochen haben, doch recht — ich
bitte um Entschuldigung, mir fällt kein anderer Ausdruck
ein — „naßforsche" Bemerkungen gemacht haben.
Nun, meine Damen und Herren, wir können dem Senator
Dr. Riebschläger hier wirklich nur den Rat geben, das nach
zuholen, was er aufgrund der Aufforderung des Herrn
Kollegen Rasch versäumt hat, sich nämlich wegen dieses
Tones und dieser Art zu argumentieren, bei den Betroffe
nen und vor diesem Hause zu entschuldigen, und ihm
würde dabei keine Zacke aus der Krone brechen. Nach
unserer Auffassung steht der Senator Dr. Riebschläger mit
seiner Art der Darstellung, mit seiner Art, dem Bürger
gegenüberzutreten, in Gefahr, zum Senator für „Tunnel
bau und Arroganz“ zu avancieren!
(Beifall bei der F.D.P.)
Die F.D.P .-Fraktion
(Glocke des Präsidenten)
— ich bin gleich fertig — wird dem Anträge der Fraktion
der CDU zustimmen, wenngleich sie sich den Hinweis dar
auf nicht versagen kann, daß dieser Antrag fast inhalts
gleich ist mit dem, den die CDU-Fraktion im Ausschuß
vorher abgelehnt hatte. Und schließlich: Sollten beide An
träge, nämlich der Antrag der F.D.P .-Fraktion auf Zurück
verweisung und der Antrag der Fraktion der CDU auf Ein
holung eines Gutachtens abgelehnt werden, dann beantra
gen wir für die eigentliche Hauptabstimmung namentliche
Abstimmung.
(Beifall bei der F.D.P.)
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