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Volume Nr. 69, 14.03.74

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1974/75, 6. Wahlperiode, Band IV, 66.-93. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
69. Sitzung vom 14. März 1974 
Das muß man jenseits des Brandenburger Tores wissen. 
Wir werden nicht die vordergründige Erwartung pflegen, 
daß man zu verhandeln beginnt mit dem Ergebnis: Ja, wir 
hören mit den Störungen wieder auf, aber dafür dürft Ihr 
dies und jenes nicht tun. — Ich glaube, dies ist auch eine 
von den Westmächten mit sehr viel Berechtigung gehal 
tene Linie. 
3. Der Stand der Verhandlungen über die Folgeverträge 
nimmt sich erstmals seit langer Zeit jetzt etwas günstiger 
aus. Es zeigt sich, daß die andere Seite — und wir haben 
das auch schon bei anderen Punkten gemerkt —, wenn 
auch mit äußerstem Widerstreben, durch zähe Erörterun 
gen dahin zu bringen ist, den Buchstaben der Abkommen, 
vor allem des Grundlagenvertrages, doch schrittweise zu 
erfüllen. Aber so leicht, wie es sich mancher gedacht hat, 
ist es eben nicht. Und hier geht es weiterhin darum zu 
verhindern, daß die DDR unterhalb der verbrieften Zuge 
ständnisse bleibt, und es geht darum zu verhindern, daß 
sie sich ein zweites Mal manches bezahlen läßt, was bereits 
in den vorausgegangenen Abkommen ausbalanciert worden 
ist. 
4. Unsere Fraktion nimmt zustimmend davon Kenntnis, 
daß als Ergebnis der Verhandlungen zwischen Gaus und 
Nier heute das unterzeichnet wurde, was die im Vier- 
mächte-Abkommen beschriebenen Bindungen Berlins an 
den Bund bekräftigt und durch die Mitvertretung der West- 
Berliner durch die Bonner Vertretung in Ostberlin dann 
in die Praxis umgesetzt werden soll. Daß auch die Inter 
zonentreuhandstelle ohne Verhandlungen hier weiterver 
fährt, darf nicht völlig vernachlässigt werden. Es ist kein 
beiläufiges Ergebnis, daß sie hier bei uns weiterarbeitet. 
Allerdings sagen wir auch, daß erst die nächsten Monate 
zeigen können, wie weit sich das Ausgehandelte in der 
Praxis voll bewährt. Man sage uns nachher nicht wieder, 
wir hätten hier heute Begeisterung vorgezeigt, nein, das 
ist es nicht. Wir wissen, daß in Sachen Rechtshilfe die 
Moskauer Vorverhandlung fällig ist, bevor man auch hier 
zwischen Behörden und Gerichten zu mehr Klarheit kom 
men wird. Auch ich persönlich finde die nicht veröffentlich 
ten Erklärungen keine ganz glückliche Einrichtung. In 
dessen ist gerade am heutigen Tage, glaube ich, wirklich 
Herrn Gaus für diese Verhandlungsführung in den letzten 
Monaten ausdrücklich Dank zu sagen. 
(Beifall bei der SPD) 
Es ist auch für diejenigen, die von allen Seiten her mit 
Kritik bei falschen — wie wir meinen — Äußerungen oder 
gegenüber den zu langwierigen Verhandlungen nicht ge 
spart haben, festzustellen: Es ist etwas mehr erreicht wor 
den bei dem, was heute dort unterzeichnet worden ist, als 
man in den letzten Monaten angenommen hat. Wir möch 
ten hoffen — ich sage nicht, daß wir davon ausgehen —, 
daß dieses heutige Verhandlungsergebnis wenigstens ein 
kleines Zeichen dafür sei, daß nunmehr auch die DDR ein 
Stückchen mehr daran geht, sich dem Geist der Entspan 
nung in all den konkreten Punkten nicht weiter prinzipiell 
zu widersetzen. Kultur- und Sportvereinbarungen von der 
sowjetischen Verhandlungsetage her scheinen ja auch inzwi 
schen einen weiteren Schritt möglich zu machen. 
Eins muß ich aber erwähnen: Versuchsballons, wie die 
gestrige Cstberliner Zeitschriftenforderung nach der Er 
richtung von zwei getrennten deutschen Staatsangehörig 
keiten, sollten bei uns niemand über Gebühr beeindrucken. 
Sie gehören zum früheren Stör- und Testinstrumentarium 
der DDR-Politik und sind zum Mißerfolg verurteilt. Mehr 
sollte man meiner Meinung nach darüber gar nicht sagen, 
wenn man nicht denen, die solche Forderungen als Ver 
suchsballon ins Gelände bringen, in die Hände arbeiten 
will. 
Als Vorletztes sage ich: Wir werden dem Antrag der 
CDU auf Erstattung eines erneuten Berichts über die 
Durchführung des Viermächte-Abkommens, der jetzt an 
schließend zur Debatte steht, zustimmen, und ich schließe 
mit der Feststellung: Die sozialdemokratische Fraktion die 
ses Hauses billigt vorbehaltlos die Haltung des Senats und 
die Antwort des Regierenden Bürgermeisters auf die heu 
tige Große Anfrage. — Vielen Dank! 
(Beifall bei der SPD) 
Präsident Sickert: Das Wort hat der Abgeordnete Oxfort. 
Oxfort (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Her 
ren! Erlauben Sie mir, daß ich eine Vorbemerkung mache: 
Ich glaube, wir wären alle sehr viel besser daran und die 
Debatte gerade hier in Berlin über einen solchen Tages 
ordnungspunkt würde nützlicher geführt werden können, 
wenn wir uns alle daran gewöhnen würden, uns nicht ge 
genseitig Reden vorzulesen. 
(Beifall von Frau Abg. Döring und bei der F.D.P.) 
Aber zur Sache. Namens der Fraktion der F.D.P. habe 
ich zunächst zu sagen, daß die Antwort des Senats auf die 
Große Anfrage der CDU in der Tat eine sachliche und un 
geschminkte Auskunft über die Lage um Berlin darstellt, 
wenn ich das Thema, über das wir sprechen, so umschrei 
ben darf. Diese Auskunft und die Debatte über die Große 
Anfrage erfolgt in einer Zeit, in der es in der Berliner Be 
völkerung — dies muß hier offen ausgesprochen werden — 
Enttäuschung und Verbitterung über die Situation der Ber 
lin-Politik gibt, in der sich der enttäuschte Erwartungs 
horizont über eine mögliche Veränderung in der Politik in 
und um Berlin niederschlägt. Wir können nicht übersehen, 
daß der Senat an dieser Entwicklung eine Mitverantwor 
tung zu tragen hat. Vieles von dem, was er selbst bei Be 
ginn des Inkrafttretens der Vereinbarung versprochen hat, 
konnte er nicht einhalten. 
Aber es ist nicht damit getan, daß wir immer nur in die 
Vergangenheit zurückschauen oder nur auf einen bestimm 
ten Zeitpunkt zurückschauen, sondern ich meine, wir müs 
sen uns auch einmal die Fragen stellen: 1. Bleibt unter dem 
Strich heute noch Positives übrig? 2. Wer möchte im Nach 
hinein die Verträge ungeschehen machen? 
(Frau Abg. Renner: Keiner!) 
Befinden wir uns im Ernst in einer Situation, in der wir 
sagen könnten: Es wäre besser, es hätte die Verträge nicht 
gegeben ? 
(Abg. Lummer: Bessere Verträge! 
— Frau Abg. Renner: Das hätten Sie nie geschafft!) 
Ich glaube, darauf muß man zunächst eindeutig antworten 
und sagen: Nein, es wäre nicht möglich zu sagen: Es 
wäre besser, wenn die Verträge nicht geschlossen worden 
wären. — Auf die Frage, ob bessere Verträge hätten ge 
schlossen werden können, 
(Abg. Lummer: Das ist der Punkt!) 
Herr Kollege Lummer, werde ich noch zurückkommen. 
Wir haben auch eindeutig festzustellen und zu sagen, daß 
trotz aller Widerwärtigkeiten und Probleme unter dem 
Strich Positives übrigbleibt. Der Regierende Bürgermeister 
hat in seiner Auskunft, die er dem Hause hier gegeben 
hat, eine Reihe solcher Tatsachen aufgezählt, die ich hier 
nicht zu wiederholen brauche. 
Versuchen wir einmal, uns zu erinnern: Die Bundes 
regierung — und das scheint mir in der Kritik der CDU- 
Fraktion untergegangen zu sein — konnte erst im Jahre 
1969 aufgrund der damals bestehenden politischen Lage 
und aufgrund der historischen Entwicklung, die bis zu die 
sem Zeitpunkt nach 1945 gelaufen war, mit ihrer Politik 
der Entspannung beginnen. Ausgangspunkt dieser Über 
legung war, daß man Realität gegen Realität setzt. In der 
Tat — und hier kommen wir zu dem Punkt, auf den der 
Herr Kollege Lummer mit seinem Zwischenruf hingewiesen 
hat — haben wir uns ganz nüchtern die Frage zu stellen, 
ohne etwas zu beschönigen oder zu verteufeln: Ist es ge 
lungen, ja konnte es gelingen, den Grundsatz: Anerken 
nung der Realität hier und Anerkennung der Realität dort, 
in vollem Umfange durchzusetzen? Wir alle wissen, daß es 
nur möglich war, praktische Regelungen zu erreichen, und 
daß es zu keinem Zeitpunkt eine Chance dafür gegeben 
hat, die grundsätzlichen Meinungsunterschiede etwa zwi 
schen den Westmächten und der Sowjetunion oder zwischen 
der Bundesrepublik Deutschland und der DDR zu beseiti 
gen. Es konnte also nur um möglichst gute und vollstän 
dige praktische Regelungen gehen. Und hier stimme ich 
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