Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
89. Sitzung vom 6. Dezember 1974
denn so, wie Sie die Politik hier offensichtlich nach Ihrer
Konzeption weiterbetreiben wollen, wird die Zahl derjenigen,
die das Sozialprodukt tatsächlich erarbeiten, immer ge
ringer werden. - Und dann stelle ich die Frage: Wer wird
es dann letztlich noch erarbeiten können? Wer wird die
Fülle von Sozialleistungen in diesem Staat tatsächlich noch
erarbeiten, erwirtschaften und mit seinen Steuermitteln
aufbringen können ?
(BeifaH bei der CDU)
Präsident Sickert: Gestatten Sie eine weitere Zwischen
frage, Herr Abgeordneter Diepgen ?
Diepgen (CDU): Aber selbstverständlich!
Präsident Sickert: Bitte, Herr Abgeordneter Nauck!
Nauck (SPD): Herr Abgeordneter Diepgen, wie verein
baren sich Ihre Ausführungen mit dem Wahlprogramm der
CDU, in dem Sie ausdrücklich den Neubau eines Polizei
präsidiums fordern ?
Diepgen (CDU): Herr Kollege, Sie haben offenbar dieses
Parteiprogramm nicht insgesamt gelesen.
(Abg. Brinckmeier: Das ist auch schwierig!)
Da stehen nämlich klar und deutlich Begrenzungen hin
sichtlich der Daten drin, wann dieses Polizeipräsidium be
gonnen werden soll, und es steht auch klar darin, wie
insgesamt die Prioritäten gesetzt werden sollen. Wir haben
es hier nicht mit dem Problem zu tun, ob das eine oder
andere Projekt jeweils begonnen werden soll; hier ist es
eine Frage des Haushalts, ist es eine Frage der Prioritäten;
und bei den Prioritäten versagen Sie völlig!
(Beifall bei der CDU - Abg. Beier: Ist denn
so was drin!)
Meine Damen und Herren! Ich muß in der Zusammen
fassung noch zwei weitere Punkte anschneiden!
(Frau Abg. Renner: Nein!)
- Ich glaube Ihnen, daß Sie dagegen etwas haben. - Bei
den Alternativen zeigte sich vor allen Dingen im Bereich
der Haushaltswirtschaft, und zwar nicht so sehr in der
Frage, ob bestimmte Mittel ausgegeben werden sollen, son
dern mehr in der Frage des Wie, folgendes: Wir haben hier
eine Fülle von Auflagenbeschlüssen beantragt. Die Ab
stimmungsmaschinerie der SPD hat jeweils unsere Alter
nativen, ob es im Bereich des Wohnungswesens, im Bereich
von Jugend und Sport oder im Bereich der Universitäten
war, niedergestimmt.
(Starke Unruhe bei der SPD)
Wir haben feststellen müssen, und das ist der weitere
Punkt, der hier in der Zusammenfassung genannt werden
darf - ich bin gleich fertig -, daß offenbar der Herr Kol
lege Brinckmeier meint, die Schwierigkeiten, die wir in der
Lücke, die offensichtlich im Landeshaushalt 1975 entstehen
wird Aber die Zahl, die ich nannte, 500 Mio DM Ein
nahmedefizit, ist schlüssig nicht widerlegt worden. Herr
Kollege Mendel hat sie in der Generalaussprache noch ein
mal ausdrücklich erwähnt und begründet. Und ich stelle
hier auch die These auf: Wir werden es sein, die - leider,
in diesem Zusammenhang - Mitte des nächsten Jahres
recht haben werden. Aber eine weitere Verschuldung, Herr
Kollege Brinckmeier, ist nicht etwa eine mögliche Alter
native, sondern sie ist wirtschaftlich, sie ist konjunktur
politisch und sie ist gesellschaftspolitisch unmöglich. -
Vielen Dank!
(Beifall bei der CDU)
Präsident Sickert: Das Wort hat Herr Abgeordneter
Oxfort.
Oxfort (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Her
ren! Nach zweitägiger anstrengender, teils ermüdender,
teils erfrischender Debatte gilt es, das Resümee der Haus
haltsberatungen für das Jahr 1975 zu ziehen. Stärker als
in den Vorjahren wurde dabei von der Opposition die Frage
nach der Leistung des amtierenden Senats aufgeworfen.
Die letzte Haushaltsberatung vor den Neuwahlen zum Ab
geordnetenhaus ist sowohl vom Senat und von der Mehr
heitsfraktion als auch von den Oppositionsparteien zum
Anlaß genommen worden, eigene Leistungen im Hinblick
auf den 2. März herauszustellen und fremde Leistungen zu
kritisieren. Dies ging nicht ohne Wunden ab und konnte
wohl auch nicht ohne Wunden abgehen.
Wir stehen vor dem Ende einer Legislaturperiode, in
welcher die Sozialdemokratische Partei erstmals in der
Nachkriegsgeschichte dieser Stadt die Regierungsgewalt
alleinverantwortlich getragen hat. Gerade deshalb war die
Opposition aufgerufen, ihre kritischen Sonden an dieses
Experiment zu legen. Wie der Haushaltssprecher der FDP.-
Fraktion, Walter Rasch, zu Recht in der Generaldebatte
hervorgehoben hat, mußte sich der Senat in den hinter uns
liegenden Beratungen an seinen eigenen Versprechungen
messen lassen. Noch immer klingt uns das große Wort des
Senats aus den Richtlinien der Regierungspolitik in den
Ohren, wonach Berlin zum Modell einer modernen Groß
stadt in allen Bereichen des Lebens ausgebaut werden soll.
(Abg. Konrad; Aber doch nicht in vier Jahren!)
Die Frage, welche die F.D.P.-Fraktion während der Bera
tungen zu prüfen hatte, war also, in welchen Bereichen des
Lebens, in welchen Bereichen der politischen Verantwor
tung der Senat in bundesweitem und internationalem Maß
stab Modellcharakter erreicht hat.
Sehen wir uns also um! Gab es - um nur einige Bei
spiele aufzuführen — diesen Modellcharakter in der Wirt
schafts- und Haushaltspolitik? - Hat der Senat
durch besondere strukturelle Maßnahmen die Voll
beschäftigung gesichert? - Haben der Skandal um
den „Kreisel“, der dem Ansehen Berlins so schwer ge
schadet hat, die obskure Planung des Kongreßzentrums, die
Affäre um den „Telegraf“-Kredit ,die Gründung der ob
skuren Gesellschaft für Öffentlichkeitsarbeit Berlin zu
einem wirtschafts- und haushaltspolitischen Modell werden
lassen ? - Diese Fragen zu stellen heißt, sie zu verneinen.
Hat der Senat mit seiner Universitätspolitik die Verhält
nisse im Universitätsbereich verbessert und dazu beigetra
gen, daß die Berliner Universitäten für die Hochschulpolitik
anderer Bundesländer Modell geworden sind ?
(Abg. Pawlak: Ja!)
Hat der Senat auf dem Gebiete des Umweltschutzes Maß
nahmen ergriffen, die im Bewußtsein der Bevölkerung
positiv nachgewirkt hätten und als eine allgemeine Wohltat
empfunden worden wären ?
(Abg. Pawlak: Ja!)
- Ich weiß, es gibt Spaßvögel unter Ihnen!
(Zurufe von der SPD: Ja!)
Ist die Baupolitik des Senats an den Bedürfnissen der
Bürger unserer Stadt ausgerichtet gewesen ?
Hat der Senat die Überzeugung zu wecken verstanden,
daß der Bürger Partner der politisch Verantwortlichen
geworden ist ?
Ist der Zehlendorfer Tunnel nicht geradezu ein Parade
beispiel dafür, in welch schonungsloser Weise Prestige-
Gesichtspunkten bei Entscheidungen der Vorzug gegeben
wird, während das so oft beschworene Bündnis mit dem
Bürger zum bloßen Lippenbekenntnis degradiert wird ?
Ist die Bekämpfung der Kriminalität in unserer Stadt
auf einem Stand angelangt, daß die Bürger unserer Stadt
sich zu Recht sicher fühlen dürfen ?
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