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Volume Nr. 89, 06.12.74

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1974/75, 6. Wahlperiode, Band IV, 66.-93. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
89. Sitzung vom 6. Dezember 1974 
uns damit auseinandersetzen, daß wir über den Winter zu- 
irunaest Aroeicsiose haben werden. Allein das Baufach 
wirrt ja jedes Jahr im Winter Menschen auf die Straße, 
lind so genügt es einrach nicht, wenn im Arbeitsbeschaf- 
rungsprogranim des Senats rür den Winter 2 000 Plätze zur 
Vertagung gesteht werden. Ich sage bewußt „2 000 Plätze“. 
Es heißt, es wird auf 2 000 Plätze erweitert. Hier sollte 
sich der Senat Gedanken machen, ob diese Platzzahl nicht 
erhöht werden kann. Ich glaube, die geplante Höhe wird 
nicht ganz reichen, Herr Senator Liehr. Die anderen Fra 
gen, die damit Zusammenhängen, sind Fragen der Wirt 
schaft und sollten auch entsprechend behandelt wer 
den. Darüber hinaus ist ja vorgesehen, Herr Senator Liehr, 
daß diese 2 000 Plätze hauptsächlich im Garten- und Land- 
scnaftsbau Verwendung finden sollen. Ich frage Sie allen 
Ernstes: Was machen Sie mit diesen 2 000 Leuten, wenn 
Frost herrscht und Schnee liegt und diese Leute gar nicht 
im Garten- und Landschafts bau arbeiten können? Ich 
glaube, dann wird dieses Programm hinfällig. 
Gleichzeitig müssen wir uns Gedanken machen über die 
Entwicklung der arbeitenden Bevölkerung. Wir werden es 
erleben, daß wir in den nächsten Jahren - bis 1990 - eine zu 
rückgehende Bevölkerungszahl haben werden. In den neue 
sten Mitteilungen der Industrie- und Handelskammer sind 
diese Zahlen ja sehr gut ausgedruckt, ich möchte sie hier 
nicht im einzelnen wiederholen. Um das Arbeitskräftepo 
tential in dieser Stadt aufrechtzuerhalten, müssen wir Wert 
darauf legen, den westdeutschen Arbeitnehmern, daß 
heißt den Arbeitern, die aus der Bundesrepublick zu uns 
kommen, vernünftige Angebote zu machen, ihnen über die 
Möglichkeiten der ARWOBAU hinaus Räume und Wohnun 
gen zur Verfügung zu stellen, die den Ansprüchen dieser 
Leute genügen. Es reicht nicht aus, wenn wir Einraumwoh 
nungen bauen, wie es in der ARWOBAU größtenteils ge 
schieht, sondern wir müssen daran denken, daß Familien 
in unsere Stadt kommen möchten, und für diese Familien 
fehlt einfach der entsprechende Wohnraum. Vielleicht, Herr 
Senator Liehr, können wir von Ihnen oder Ihrem Ressort 
erfahren, wieviel Bundesbürger nach Westdeutschland zu 
rückgehen, weil sie hier nicht den entsprechenden Wohn 
raum finden. 
Wir hatten ja auch schon in diesem Zusammenhang das 
Problem der Gastarbeiter, das heißt der ausländischen Ar 
beiter, die von außerhalb der EWG-Raums, kommen. Hier 
sollten wir langfristige Pläne ausarbeiten, sollten uns Ge 
danken machen, wie man langfristig den in Deutschland 
verbleibenden Ausländem gerecht werden soll. Es sollte 
die Möglichkeit geprüft werden, diese Leute zu naturalisie 
ren, um auf diese Weise Arbeitskräfte zu gewinnen, die sich 
als Deutsche fühlen und eines Tages unserer Stadt auch 
entsprechende Impulse geben können. Ich verweise auf aus 
ländische Beispiele: Australien, Neuseeland, Amerika. Dort 
sind Ausländer nach der Naturalisierung auch in den Po 
lizei-, in den Behördendienst hineingekommen. Das wäre 
eine Aufgabe, die wir auch gern angepackt sehen möchten. 
Wir werden noch einige Zeit zu ihrer Lösung brauchen. 
Aus meinen Ausführungen - ich konnte mich ja nur 
kurzfassen, dieses Thema ist ja so umfangreich, daß man 
stundenlang darüber sprechen könnte - können Sie entneh 
men, daß wir größtenteils mit der Arbeit des Ressorts Ar 
beit und Soziales zufrieden sind. Aus der Sicht der Schule 
gesehen, könnte man die Note 4 geben. Aber uns freien 
Demokraten reicht die Note 4 einfach nicht aus, und des 
halb sind wir leider nicht in der Lage, Herr Senator, Ihrem 
Ressort die Zustimmung zu geben. - Ich danke Ihnen. 
(Beifall bei der F.D.P.) 
Präsident Sickert: Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. 
Bodin. 
Dr. Bodin (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und 
Herren! Ich möchte zu einigen Punkten, die hier angespro 
chen wurden, Stellung nehmen und gleich einleitend meine 
Verwunderung darüber ausdrücken, daß diese Diskussion 
so stattgefunden hat, als hätten wir überhaupt noch keine 
Ausschußberatungen gehabt. 
Ich komme jetzt erst einmal auf die Frage der Behin 
derten und nachher auf den Seniorenplan. Wir haben doch, 
gerade was das Problem der Behinderten anbetrifft, in 
absoluter Einmütigkeit - möchte ich sagen -, die Verbes 
serungen der letzten Jahre alle miteinander verabschiedet, 
beinahe konform und nicht kontrovers, wobei jeder noch 
überlegt hat, wie er noch einige Verbesserungen anbringen 
könnte, und die anderen haben mitgezogen, so daß ich 
eigentlich verwundert bin über diesen Eindruck, der hier 
erweckt wird, als ob auf diesem Gebiet überhaupt noch 
nicht viel getan worden wäre. 
Herr Kollege Krüger, ich bitte, den Begriff „Melde 
pflicht“ beiseite zu lassen. Sie wissen ja, daß wir aus 
bestimmten Gründen die Uberweisungspflicht für Behin 
derte und nicht die Meldepflicht beschlossen haben. Wir 
haben insofern auch ein Einvernehmen erzielt. Was uns 
fehlt - und das haben wir auch zum Ausdruck gebracht -, 
ist die Möglichkeit, den von Ihnen angesprochenen Per 
sonenkreis der über 25jährigen in Einrichtungen unterzu 
bringen, die ihnen gemäß sind. Das ist aber ein Problem, 
das ja auch in das Gesundheitswesen hinüberspielt, nicht 
nur in den Bereich Arbeit und Soziales. Das andere Pro 
blem ist die Frage der kurzfristigen Unterbringung von 
Behinderten, um die Familien vorübergehend zu entlasten; 
aber auch da besteht völlige Einigkeit. 
Wenn ich jetzt noch darauf komme, wie auch jetzt 
gerade das Schwerbehindertengesetz, ein neues Bundes 
gesetz, die Überlegungen, die wir seit Jahren mit dem 
Berliner Schwerbeschädigtengesetz praktiziert haben, ge 
wissermaßen im zivilen Sektor nachvollzogen hat, dann 
kann ich doch auch nur sagen: Da waren wir doch schon 
ein ganzes Stück voraus. Auch hinsichtlich der Problema 
tik des Blinden- und Hilflosenpflegegeldgesetzes sind wir 
doch in Berlin ganz im Vorfeld. Wir haben im Grunde 
doch schon vieles gemeinsam erreicht. 
Wenn jetzt im Bundesgesetz die Problematik der kosten 
freien Nahverkehrsnutzung durch Behinderte ins Gespräch 
kommt, da werden wir Berliner auch wieder darauf hin- 
weisen können und müssen, daß wir in dieser Richtung 
auch schon vorgeprellt sind, oder sagen wir einmal: diese 
Vergünstigung vorgezogen haben, so daß wir darauf achten 
müssen, daß nicht etwa durch bundesgesetzliche Rege 
lungen die Berliner Gesetzgebung verschlechtert wird. Ich 
meine, die von Ihnen vorgebrachten Vorwürfe sind nicht 
recht begründet. 
Und das andere, der Seniorenplan. Sehen Sie, der Senio 
renplan ist - und das liegt ja einfach an der Sache selbst, 
nachdem wir in diesem Jahren den Gipfel der Anzahl älterer 
Mitbürger prozentual und absolut in unserer Stadt errei 
chen werden - ja die Zusammenfassung aller Aktivitäten, 
die in den Bezirken zum großen Teil schon seit Jahren 
gelaufen sind, die nur nicht koordiniert waren. Und das ist 
doch nur zu unterstützen. Auf der anderen Seite wurden 
aber neue Erkenntnisse eingearbeitet, die zum großen Teil 
aus dem Ausland übernommen werden konnten, soweit sie 
auf unsere Verhältnisse übertragbar waren. Wir haben auch 
da im Ausschuß festgestellt, daß wir auf diesem Gebiet 
einen Katalog haben, gerade nachdem wir gleichzeitig die 
Vorlage behandeln über die Situation der älteren Bürger 
in unserer Stadt, wo wir also durch Befragungen wissen, 
wie es aussieht, zum Beispiel in der vorhin von Herrn Kol 
legen Dr. Behrendt angesprochenen Frage der Totalver 
sorgung. 
Dieser Seniorenplan ist doch nicht etwa ein „Beglük- 
kungskorsett“ für ältere Menschen, sondern er ist ausge 
sprochen ein Angebot, ein vielfältiges Angebot. 
Und ich muß sagen, Herr Kollege Dr. Behrendt: Was 
Sie über die Totalversorgung, über das Anspruchsdenken 
gesagt haben, ist natürlich eine sehr gefährliche Äußerung- 
Wir wollen ja gerade ein Angebot machen, das dann auch 
benutzt wird, worauf ein Anspruch besteht; denn sonst hat 
es keinen Zweck, dann kommen wir wieder in die Probleme 
der reinen Wohlfahrt, der reinen Unterstützung; denn wir 
sind uns darüber klar -, das haben wir auch in den Aus 
schußsitzungen immer wieder besprochen -, es ist nicht 
unmittelbar eine finanzielle Frage bei den älteren Men- 
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