Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
88. Sitzung vom 5. Dezember 1974
— Das war überhaupt nicht die Frage. Wer hier vom
Abschmelzen von Planstellen spricht, meint also vorhan
dene Planstellen und meint damit Einschränkung und
redet über ein Problem menschlicher Art mit einer Formu
lierung, die ich für meinen Teil nicht akzeptiere und der
ich widerspreche. Klarer Fall.
Präsident Sickert: Gestatten Sie eine Zwischenfrage? —
Bitte, Herr Abgeordneter Diepgen!
Diepgen (CDU): Herr Senator! Stimmen Sie mir zu, daß
Ihre Formulierung von dem Einzelschicksal schon des
wegen nicht richtig ist, weil es einen natürlichen Abgang
im Rahmen einer öffentlichen Verwaltung gibt, und das
Abschmelzen natürlich nur in diesem Zusammenhang zu
sehen ist. Stimmen Sie mir zu, daß es jährlich einige
Pensionierungen und einige Eintritte in das Rentenalter
gibt?
Striek, Senator für Finanzen: Herr Abgeordneter! Wenn
Sie vom Festhalten an der Planstellenzahl gesprochen
hätten und wenn Sie. davon gesprochen hätten, daß frei
werdende Stellen nicht neu besetzt werden sollen, hätte ich
mich mit Ihnen sachlich darüber auseinandergesetzt. Ich
hätte Ihnen zwar gesagt, daß dies
(Abg. Diepgen: Das ist doch Abschmelzen!)
Mit der gleichen Leichtfertigkeit
Präsident Sickert: Gestatten Sie eine weitere Zwischen
frage? — Herr Abgeordnete Padberg!
Padberg (CDU): Herr Senator Striek! Sind Sie sich dar
über klar, daß der Begriff des Abschmelzens überhaupt
keine Erfindung Berlins und auch nicht des Herrn Abgeord
neten Diepgen ist, sondern ein Ausdruck, der von der Lan
desregierung Nordrhein-Westfalens gebraucht worden ist?
Striek, Senator für Finanzen: Erstens ist mir ganz gleich,
wer das erfunden hat. Ich wehre mich dagegen, daß mit
Menschen besetzte Funktionen in dieser Weise, mit diesen
Begriffen behandelt werden.
(Beifall bei der SPD)
Herr Abgeordneter Diepgen! Ihnen ist in Ihrer Dar
legung an einem entscheidenden Punkt ein Fehler unter
laufen, den Sie bitte nochmal prüfen sollten, ehe Sie solche
Vorwürfe gegen den Senat im Raum stehen lassen. Sie
haben davon gesprochen, daß in der Bauverwaltung sozu
sagen der Trick veranstaltet worden ist — den Ausdruck
haben Sie nicht gebraucht, den gebrauche ich —, daß
137 Stellen der l-%-Einsparung einfach in nichtplanmäßige
Stellen umgewandelt worden seien. Dieses ist auch nicht
der Fall.
(Abg. Diepgen; Habe ich auch nicht gesagt!)
— Nun, wir werden es nachlesen.
Und nun zu den Investitionen und zu der Frage, wie sie
finanziert werden sollen. Es ist hier so dargelegt worden,
nls ob es ein unverantwortlicher Schritt ist, zukunfts
gestaltende Investitionen angesichts Bevölkerungsstruktur
und ähnlichem durch Schuldenmachen, als durch An
leihen zu finanzieren. Ich stelle fest, was ich in erster
Lesung hier bereits ohne Widerspruch durch dieses Haus
testgestellt habe, daß 22,8 % der Investitionen nur durch
Anleihen, Schuldscheindarlehen und ähnliches finanziert
werden, aber über 77 % durch allgemeine Deckungsmittel.
Und ich wiederhole, was ich vor einem Jahr hier gesagt
habe: Wenn irgendwo in dieser Volkswirtschaft Investitio
nen auf dieser Basis, auf dieser Relation durch Eigen
finanzierung und Fremdfinanzierung heute noch möglich
®tnd, dann wäre jeder stolz darauf, der dieses fertigbringt,
tch würde Sie bitten, die Angriffe gegen diesen Teil der
Finanzpolitik etwas zurückhaltender zu äußern und die
Alternative dazu aufzuzeigen. Sie haben gesagt, die Alter
native sähen Sie darin, daß Eingriffe in die konsumtiven
Ausgaben erfolgen müssen. Ich frage Sie: Wo sind in den
Ausschußberatungen diese Eingriffe in die konsumtiven
Ausgaben in Form von Anträgen gewesen ?
(Abg. Mendel: 13 Millionen!)
— Nein, Augenblick, 20 Anträge waren es — mit
10 289 000 Mark von der CDU-Fraktion, der größte Antrag
davon 6 Millionen, der kleinste 15 000 Mark wert. Streiten
wir uns jetzt nicht. Ich sage 10 299 000, Sie sagen 12 Mil
lionen. — Alle, die hier rechnen können in diesem Hause,
weise ich nur auf die Relation hin, die ich ja damit auch
in dem Zeitungsinterview, das Sie erwähnt haben, schon
gegeben habe. 15 000 Mark an einer Position zu streichen,
6 Millionen an einer Position zu streichen, die 5 000 Millio
nen Volumen hat, das kann doch nicht die Alternative der
Opposition zur Finanzpolitik des Senats sein. Dieses kann
doch wohl nicht behauptet werden.
(Beifall bei der SPD)
Die CDU-Fraktion wird gut beraten sein, wenn sie ein
mal in einer über dieses Land hinausgreifenden Diskussion
mit ihren politischen Freunden die Finanzpolitik der Län
der schlechthin zur Diskussion stellt und mit denen disku
tiert. Dann würden Sie eine solche Bemerkung über ver
antwortungslose Finanzpolitik, wie sie hier gefallen ist,
zwischen dem Bund- und den sozialdemokratisch regierten
Ländern einerseits und den geradezu verantwortungs
bewußten anderen Ländern andererseits nicht machen.
Ich spreche nicht gern über die Einzelberatungen, die im
Finanzplanungsrat stattfinden. Aber ich sage Urnen jetzt
hier nur — und Sie können es nachprüfen —: Ich habe auf
ähnliche Bemerkungen des Finanzministers des Freistaates
Bayern bisher dreimal ohne Antwort im Finanzplanungsrat
in verschiedenen Sitzungen den Vertreter des Freistaats
Bayern gefragt, bei welchem Teil der konsumtiven Aus
gaben er eigentlich die Einsparungen vornehmen möchte
und würde, um seinem Land eine Verschuldung Jahr für
Jahr von 2 Milliarden oder anderthalb Milliarden zu erspa
ren. Ich bin ohne Antwort geblieben. Und als ich mich stark
machte dafür, daß der Finanzplanungsrat für das Jahr 1975
eine Höchstgrenze für die Zuwachsrate der öffentlichen
Haushalte festlegt, ist das zunächst am Veto des Landes
Schleswig-Holstein gescheitert, und wir haben nachher
nicht einmal einstimmig ein Pressekommunique verabschie
den können, weil das Land Schleswig-Holstein meinte, daß
von 74 zu 75 eine höhere Zuwachsrate des öffentlichen
Haushaltes stattfinden müßte als nur mit 10 %.
(Hört! Hört! von der SPD)
Nun sagte der Sprecher der CDU-Fraktion hier in der
zweiten Lesung, es wäre von mir zuviel erwartet, die Alter
native der Opposition dargestellt zu bekommen an einem
Haushalt. Herr Abgeordneter Diepgen, ich habe natürlich
in Vorbereitung auf den heutigen und den morgigen Tag
mir auch noch einmal das Protokoll der 83. Sitzung vom
23. Oktober 1974 Wort für Wort durchgelesen, was ich
gesagt habe, was die drei Herren Sprecher der drei Frak
tionen hier gesagt haben. Und wenn Sie dort die Seite 3032
aufschlagen, finden Sie die Stellungnahme der CDU-Frak
tion zur Finanzplanung für die Jahre 1974/78. Wäre dann
nicht dort der Ort gewesen, in die längerfristig wirkende
Auseinandersetzung mit diesem Senat über seine Finanz
politik zu gehen? Ich habe nochmal Wort für Wort nach
gelesen. Natürlich ist Vorbehalt gemacht worden gegen die
Verschuldungspolitik. Natürlich ist dieses und jenes an
gesprochen worden. Aber ist eine Alternative auch nur in
Konturen sichtbar gemacht worden? Ich meine nein. Die
Alternative scheint ja in zwei Bauwerken zu bestehen,
wenn ich die Debatte hier richtig werte; denn andere
Alternativen sind ja nicht aufgemacht worden.
Darf ich also zunächst erst einmal das eine aufgreifen.
Damit kann ja wohl nur die Bürgschaftspolitik des Senats
gemeint sein. Lassen Sie mich einmal die Zahlen hier nen
nen. Der Senat von Berlin hat seit 1950 Bürgschaften für
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