Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
87. Sitzung vom 4. Dezember 1974
Stellv. Präsident Lorenz: Weitere Wortmeldungen? —
Herr Abgeordneter Vetter!
Vetter (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Her
ren! Uns kommt es hier nicht auf das Erstgeburtsrecht an.
Wenn ich die Beiträge aus dem Bauausschuß und die des
Herrn Senators für Bau- und Wohnungswesen verfolgt
habe, geht es scheinbar nur darum: Wichtig ist, daß wir in
der Sache vorankommen. Wenn alle Parteien dieses Hauses
der gleichen Meinung sind und der Herr Bausenator auch,
dann werden wir uns freuen, daß wir recht schnell weiter
kommen.
Aber, Herr Senator, zu Ihrem letzten Beitrag: Wir haben
gerade vor kurzer Zeit im Ausschuß für Planung und
Stadtentwicklung das Ergebnis des Planungsteams disku
tiert. Und da ging es ja darum, daß immer gesagt wird:
Dies ist eine Arbeit des Planungsteams und nicht verbind
lich für den Senat. Ich habe bei meinen Ausführungen
dort keinen Widerspruch von seiten der SPD-Fraktion er
fahren, als ich gesagt habe: Dann muß der nächste Schritt
ein Generalverkehrsplan oder, wie Sie ihn nennen, Ver
kehrsentwicklungsplan sein, das muß als nächstes, als
Fortsetzung, als sinnvolle Weiterführung der Arbeit dieses
Planungsteams geschehen. Ich weiß also nicht, was Ihre
Redewendung hier soll, Sie wollen den Verkehr entwickeln
und keinen Plan aufstellen. Diesen Widerspruch verstehe
ich nicht. -— Danke sehr!
(Abg. Franke; Macht nichts!)
Stellv. Präsident Lorenz: Weitere Wortmeldungen liegen
nicht vor. Dann schließe ich die Beratung. Der Ältestenrat
empfiehlt, den Antrag an den Ausschuß für Bau- und
Wohnungswesen — federführend — und an den Ausschuß
für Planung und Stadtentwicklung zu überweisen. Wer da
für ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön,
das ist die Mehrheit. Damit ist die Überweisung beschlossen.
Ich rufe auf
lfd. Nr. 19, Drucksache 6/1577:
Antrag der Fraktion der CDU über das Thema
„Stadtentwicklung geht alle an“
Der Senat wird beauftragt, den Fraktionen des
Abgeordnetenhauses Namen und Anschriften der
jenigen Bürger Berlins mitzuteilen, die durch An
forderung der „Perspektiven der Stadtentwicklung“
ihre Bereitschaft zu erkennen gegeben haben, sich
durch ihre Kritik an der vom Senat gewünschten
Diskussion mit dem Ziel zu beteiligen, „daß aus
guten Vorschlägen noch bessere werden“.
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Lummer.
Lummer (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Her
ren! Seit 1969 hat es sich die SPD zur Devise gemacht,
mehr Demokratie zu wagen. Wir wollen Ihnen heute eine
Chance dazu geben.
(Gelächter bei der SPD)
Dabei brauchen Sie nicht mal ein Wagnis einzugehen,
meine Damen und Herren, sondern wenn Sie unserem An
trag zustimmen, können Sie ohne Risiko mehr Demokratie
Praktizieren. Ich will versuchen, Ihnen das zu erklären.
Der Senat hat eine — na, wie nennt man das — Perspek
tive zur Stadtentwicklung vorgelegt, die er aufgrund einer
öffentlichen Annonce den Bürgern avisiert hat; und die
Praktische Situation ist doch die, daß nun möglicherweise
®ine Reihe von Bürgern zwar in der Lage ist, diese Publi
kation einer Lektüre zu unterziehen, aber sie ist nicht in
der Lage, die andere kritische Meinung dazu zur Kenntnis
zu nehmen. Natürlich könnten Sie sagen: Dann soll doch
die CDU auch eine solche Anzeige machen und dem Bürger
ihre eigenen Vorstellungen avisieren.
(Abg. Dr. Haus: Sehr gut!)
Nur, meine Damen und Herren, muß man dabei sehen
— und dies wird auch sicherlich niemand im Hause be
streiten —, daß eine Exekutive im Regelfall einen erheb
lichen finanziellen und auch organisatorischen Vorsprung
hat. Und man wird auch sehen müssen: Wenn wir es
täten, wäre es gleichermaßen die Benutzung von Steuer
geldern, und warum soll man zweimal — gewissermaßen
also doppelt — hier Steuergeld verschleudern. Wir meinen,
wenn man es sich richtig überlegt, dann muß es im Inter
esse einer Partei liegen, die für mehr Demokratie ist, daß
der Bürger eine echte Chance hat, seine Meinung zu bilden,
indem er nicht nur die eine Auffassung hört, sondern auch
die andere. Wir alle sind ja der Meinung, auch der andere
Teil solle gehört werden.
Und dies, meine Damen und Herren, hat auch der Senat
gesagt. Deshalb sind wir ja so hoffnungsfroh, daß die
Sozialdemokraten unserem Antrag zustimmen werden,
denn im Werbeausschuß ist vor einiger Zeit eine Konzeption
vorgelegt worden, in der es auch um die Frage der Stadt
entwicklung ging. Dabei ist übereinstimmend festgestellt
worden — ich zitiere jetzt hier aus diesem Dokument des
Senats:
Es ist eine Hauptaufgabe, Verständnis für gemeinsam
zu erfüllende kommunalpolitische Aufgaben zu er
reichen.
(Abg. Brinckmeier; Na bitte!)
Gut! Wenn es aber dann um diese Art von Gemeinsam
keit geht, dann muß der Bürger ja doch alle Auffassungen,
die hier in diesem Parlament vertreten worden sind, auch
zur Kenntnis nehmen können. Der Sache nach geht es doch
einfach darum, daß jenem Grundsatz von Demokratie
Rechnung getragen wird, der heute herrschende Auffas
sung geworden ist, daß die eigentliche Kontrolle der Exe
kutive, der Regierung, in der Opposition zu erblicken ist.
Und diese Frage hat ja jetzt auch ein wenig — heute kann
man es in den Zeitungen lesen — zu Konflikten bei dem
Problem eines Wahlkampfabkommens geführt. Man muß
doch einfach sehen: Wir können doch nicht nur die Par
teien in einer gewissen Weise beschränken oder einschrän
ken und bei solchen Planungen die Regierung einfach her
auslassen, die Regierung, die im Grunde nichts anderes ist
als ein Exekutivkomitee der parlamentarischen Mehrheit.
Und hier, meine ich, haben Sie also eine Chance, jener
herrschenden Auffassung von Demokratie Rechnung zu
tragen, mehr Demokratie zu wagen, indem Sie unserem
Antrag zustimmen und den Bürger auch in die Lage ver
setzen, unsere Auffassung zur Stadtentwicklung zu hören.
Nun könnte hier jemand auf die Idee kommen — ich will
damit ein denkbares Argument vorwegnehmen —, ein
solcher Antrag sei rechtlich bedenklich, wenn nämlich der
Senat Anschriften an andere Fraktionen weitergibt, die er
aufgrund der Wünsche von Bürgern gesammelt hat. Nun
will ich Ihnen sagen, diese Frage kann man rechtlich nicht
eindeutig beantworten, aber es kommt uns nicht darauf an,
in den Besitz der Anschriften zu kommen, um die Bürger
zu anderen Themen zu beeinflussen; uns kommt es viel
mehr darauf an, daß die Bürger, die das Senatsdokument
bekommen haben, auch in den Besitz unserer Auffassungen
kommen, damit sie in der Lage sind, objektiv eine Meinung
zu bilden. Insofern würden wir auch einer Regelung zu
stimmen, die praktisch einem Änderungsantrag gleichkäme,
wenn der Senat unsere Auffassungen, die wir ihm dann
gern schriftlich überreichen würden, mit in den Umschlag
hineintäte und seine und unsere Auffassung dem Bürger
überließe. Das wäre doch sicherlich ein sehr eleganter Weg,
und es wäre nach meinem Dafürhalten ein Weg. der, wie
gesagt, eine Chance bietet, mehr Demokratie gar nicht zu
wagen, sondern zu praktizieren.
Wir würden es sehr bedauern, wenn die Sozialdemokra
ten einem so sinnvollen Antrag ihre Zustimmung versagen
würden. Wir müßten dann daran zweifeln, daß jener Bun-
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