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Volume Nr. 57, 20.09.73

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1973, 6. Wahlperiode, Band III, 43.-65. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
57. Sitzung vom 20. September 1973 
Soweit — so gut, oder auch so schlecht. Um so größer wird 
aber die Verwirrung, wenn wenige Tage später statt prak 
tikabler Vorschläge in dieser Richtung ein lautstarkes 
Trommelfeuer in genau entgegengesetzter Richtung ein- 
setzt. Ich meine damit die jüngsten steuerpolitischen Vor 
schläge der Opposition zur vorzeitigen Entlastung aller 
Bürger und damit auch der Bürger, die vorher geschont 
werden sollten. Bei Realisierung in dieser Konjunktur 
phase Kaufkraft in einer Größenordnung von mehr als 
8 Mrd. DM freizusetzen, sind populär anmutende, aber 
keine konjunktur- und stabilitätsgerechten Vorschläge. 
Durch die Stillegung von Staatseinnahmen und die Be 
grenzung der öffentlichen Verschuldung wird den Gebiets 
körperschaften viel wirksamer als mit den hier eben zitier 
ten Vorschlägen der Einnahmehahn abgedreht und damit 
gleichzeitig eine konjunkturwidrige Ausweitung öffent 
licher Ausgaben verhindert. In dieses Konzept gehört auch 
die Ankündigung der Bundesfinanzministeriums, im Jahr 
1974 unter Umständen eine neue Schuldendeckelverordnung 
und eine obligatorische Konjunkturausgleichsrücklage für 
die öffentliche Hand zu veranlassen. 
Wenn ich von der Aktivierung der Einnahmepolitik 
spreche, dann muß ich zum wiederholten Male darauf hin- 
weisen, daß eine finanzpolitische Lösung der nach meiner 
Ansicht erforderlichen gesellschaftspolitischen Aufgaben 
nur über eine Erhöhung der volkswirtschaftlichen Steuer 
lastquote möglich ist mit dem Ziel, durch eine verbesserte 
Infrastruktur die Basis für einen größeren volkswirtschaft 
lichen Nutzen, für mehr Gerechtigkeit und größere Chan 
cengleichheit zu schaffen. Ich hoffe, daß dieses Ziel in der 
Bundesrepublik Deutschland nicht zu lange vernachlässigt 
bleibt. 
Die notwendige Erhöhung des Staatsanteils am Sozial 
produkt — zum Wohle aller — ist allerdings leichter durch 
setzbar in einer Phase permanenter Vollbeschäftigung und 
in einem Zustand stetig steigenden Wohlstandes, weil in 
einer Wachstumsphase es auch dem Einzelnen, insbeson 
dere aber dem gutwilligen Bürger, zumutbarer erscheint, 
einen Teil des Wohlstandswachstums an die Gemeinschaft 
abzugeben. 
Aus dem volkswirtschaftlichen Bereich gibt es viele Aus 
strahlungen auf die Finanzpolitik der öffentlichen Hand. 
Positive und negative Wirkungen mischen sich und ergeben 
so das Wechselspiel täglichen Lebens. In letzter Zeit sind 
es wohl zumindest zu einem erheblichen Teil kritisch zu 
wertende Aspekte, die dabei registriert werden müssen. 
Aus der Vielzahl möglicher Beispiele lassen Sie mich drei 
herausgreifen. Zwei beschäftigen sich mit dem Problem der 
Konzentration in der Wirtschaft in unserer Stadt und ihre 
Bedeutung für die öffentlichen Aufgaben gerade hier in 
Berlin. 
Ein solcher Konzentrationsprozeß ist in den letzten Jah 
ren in Berlin z. B. im schlachtenden Gewerbe spürbar ge 
worden. Ich würde darauf nicht hinweisen, wenn die Ent 
wicklung auf dem öffentlichen Schlachthof mich nicht zu 
nehmend mit Sorge erfüllen würde. Aus der monopolartigen 
Stellung, die der Hauptbenutzer des städtischen Schlacht 
hofs inzwischen einnimmt, erwachsen Forderungen, denen 
der Eigenbetrieb nicht immer entsprechen kann, wenn ei 
als von der öffentlichen Hand vorgehaltene Einrichtung 
verstanden wird, 
— die für alle Interessierten geschaffen ist und 
— die eine gleichmäßige Berücksichtigung aller Benut 
zer zu gewährleisten hat. 
Der Senat wird deshalb sehr darauf achten, daß die unein 
geschränkte Handlungsfreiheit des der Allgemeinheit die 
nenden Eigenbetriebs-erhalten bleibt. 
In einem anderen Fall sind seit längerer Zeit auf dem 
Berliner Markt Konzentrationen von Unternehmen und Un 
ternehmungen des Baustoffgroßhandels zu beobachten, die 
der Senat für wirtschaftlich gefährlich hält. In besonderem 
Maße trifft dies für den West-Berliner Markt für Zement, 
für Kalksandstein und für Mörtel zu. Inwieweit die Unter 
nehmenspolitik auf diesen Märkten durch Maßnahmen wirt 
schaftspolitischer Art auf ein vernünftiges Maß zurück 
geschraubt werden kann, ist Gegenstand eingehender 
Untersuchungen der Kartellbehörde und des Preisamtes. 
Es sollte m. E. sichergestellt werden, daß auch auf diesem 
so entscheidenden Sektor durch stärkeren Wettbewerb das 
bestehende Preisniveau reguliert wird. 
Im übrigen möchte ich an dieser Stelle der Hoffnung 
Ausdruck geben, daß auch die bundesweiten Initiativen des 
Bundeskartellamtes in Bezug auf Preisabsprachen in der 
Bauwirtschaft, insbesondere bei Bauten der öffentlichen 
Hand, den öffentlichen Haushalten zugute kommen und 
endlich zur Lösung eines Problems führen, das in den ver 
gangenen Jahren zunehmend die Erfüllung öffentlicher Auf 
gaben beeinträchtigt hat. 
Den dritten Aspekt, den ich ansprechen möchte und der 
Sorge bereitet, ist der Tatbestand, daß in einigen Kreisen 
unserer Wirtschaft es immer selbstverständlicher zu wer 
den scheint, daß unternehmerische Gewinne Privatsache 
und unternehmerische Verluste eine Angelegenheit der Ge 
meinschaft sind. 
(Beifall bei der SPD) 
Ich will nicht verallgemeinern, aber der erkennbare Trend 
macht hellhörig. Bei zunehmender Zahl von Insolvenzen in 
der deutschen Wirtschaft, und neuerdings auch in Berlin, 
bekommt der Ruf nach der öffentlichen Hand, wenn es un 
ternehmerische Schwierigkeiten gibt, zunehmende Bedeu 
tung, ja zunehmende Brisanz. Mangel an Erfahrung oder 
zu geringer eigener Einsatz im Management immer größe 
rer Unternehmensgruppen, meist gepaart mit zu geringer 
Eigenkapitaldecke und zu kurzfristigen Fremdmitteln, kann 
nicht eine Begründung für eine Sozialisierung der Verluste 
sein, während vorher die Gewinne ganz selbstverständlich 
privatisiert wurden. 
(Abg. Brinckmeier: Sehr richtig! — Beifal bei der SPD) 
Ich möchte keine Zweifel aufkommen lassen. Der Senat hat 
bei Schwierigkeiten geholfen, wo er konnte und wo es ver 
tretbar war, und dies wird auch in Zukunft so sein, weil 
wir eine Politik des möglichst weitgehenden Schutzes von 
Arbeitsplätzen betreiben. Aber ein Naturgesetz auf öffent 
liche Hilfe im unternehmerischen Risiko gibt es nicht. 
Nach diesen kritischen Bemerkungen möchte ich einen 
konstruktiven Beitrag zur Debatte über eine Neuformulie 
rung des Konkursrechts leisten — eine Debatte, die in die 
sen Tagen durch einen Bundesminister eröffnet worden ist. 
Schutzbedürftig bei Konkursen und Vergleichsverfahren 
sind insbesondere die Arbeitnehmer, die Zulieferungsbe 
triebe und Subuntemehmer. 
(Beifall bei der SPD) 
Ich glaube — und nun, meine Damen und Herren, er 
schrecken Sie nicht, daß das ein Finanzminister sagt —, 
daß es an der Zeit ist, ihre Stellung im Konkursverfahren 
zu stärken und die überaus bevorrechtigte Stellung des Fis 
kus zurückzudrängen. Wenn im Konkursverfahren Steuer 
ansprüche nicht bevorrechtigt befriedigt werden, geht der 
Staat nicht Pleite, wenn aber rückständige Löhne oder an 
stehende Rechnungen nicht beglichen werden, können sich 
daraus menschliche Tragödien entwickeln, die im Grunde 
Unbeteiligte, auf jeden Fall aber am Konkurs Unschuldige 
treffen. Dieses gilt es für die Zukunft meines Erachtens 
zu verhindern. 
(Beifall bei der SPD und der CDU) 
Ich trage gesellschaftspolitische Aspekte unter verschie 
denen Gesichtspunkten aus Anlaß meiner Haushaltsreden 
Ihnen immer wieder vor, weil ich Besorgnis habe, ob die 
übergroße Mehrheit dieser Gesellschaft, in der wir leben 
und für die wir arbeiten, aus ihrer Bewußtseinslage heraus 
imstande ist, durch offensive Gesellschaftspolitik der Be 
drohung und Kampfansage durch eine Handvoll von Außen 
seitern Paroli zu bieten. Lassen Sie mich ein einfaches Bei 
spiel für das vortragen, was ich meine: Schulen, deren Bau 
wir heute forcieren, nützen uns, gesellschaftspolitisch be- 
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