Path:
Volume Nr. 52, 07.06.73

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1973, 6. Wahlperiode, Band III, 43.-65. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
63. Sitzung vom 7. Juni 1973 
rung war zeitweise so gestört, daß von einer umfassenden 
Unterrichtung der Bundesregierung über die Haltung des 
Senats in entscheidenden politischen Fragen dieser Stadt 
nicht mehr gesprochen werden konnte. 
(Abg. Brinckmeier: Das stimmt doch nicht, 
Herr Hoppe!) 
— Sagen Sie das nicht. Ich könnte Ihnen mit der Wieder 
gabe von Gesprächen, die ich in dieser Sache selbst ge 
führt habe, beweisen, daß es so war. Aber Ich will Ihnen 
jetzt diese Darstellung ersparen, zumal es für Sie nicht 
besser wird, wenn ich sage, mit welchem Mitglied der Bun 
desregierung ich gesprochen habe. 
(Abg. Hannemann: Da müssen Sie ein bißchen 
mehr sagen!) 
Bei der Einbeziehung Berlins in den Grundlagenvertrag 
im Hinblick auf die Berücksichtigung bei den Folgeverträ 
gen ist der offen ausgetragene Meinungsstreit über Form 
und Inhalt der getroffenen Regelung noch in guter Erinne 
rung. Mehr Überzeugungsarbeit im Stillen wäre der Sache 
ganz gewiß dienlicher gewesen. Auch in dieser Frage hat 
der Herr Regierende Bürgermeister nicht gerade durch 
Führungsqualitäten geglänzt und diplomatisches Feinge 
fühl gezeigt. 
Im Umgang mit der sowjetischen Regierung und ihren 
Vertretern hat sich der Senat dann mehr als unklug ver 
halten. In fast fahrlässiger Weise wurden Positionen des 
Viermächte-Abkommens aufs Spiel gesetzt. Was mit dem 
völlig unbegreiflichen Zugeständnis des Senats im Zusam 
menhang mit der sowjetischen Industrieausstellung sichtbar 
wurde, hatte bei dem Reit- und Springturnier der Grünen 
Woche seinen Anfang genommen. Noch vor einem Jahr 
hatte man bei dem Großen Preis von Deutschland auf 
diesem Turnier mit aller Selbstverständlichkeit die Natio 
nalhymne zur Siegerehrung abgespielt. Diesmal glaubte man, 
den Sowjets versichern zu müssen, daß die Bundesregie 
rung nicht Veranstalter des Turniers sei. Wo jedem anderen 
das Sprichwort „Nachtigall, ick hör dir trappsen!“ einge 
fallen wäre, da wollte der Senat keine politische Absicht 
erkennen. Er hat sich den damit verbundenen Ansehensver 
lust selbst zuzuschreiben. 
Diese Kette von politischen Fehlentscheidungen und Miß 
griffen wird ergänzt durch eine Personalpolitik, die in ihrer 
Einseitigkeit kaum noch zu überbieten ist. Die penetrante 
Art, mit der hier Parteigänger gefördert werden, ging 
offenbar selbst der eigenen Fraktion über die Hutschnur. 
Und doch sollte sich der Senat bald besinnen und diese 
Praxis schleunigst aufgeben, sonst wird sich der Regie 
rende Bürgermeister sagen lassen müssen, er kenne offen 
bar keine Staatsbürger mehr, er kenne nur noch SPD- 
Mitglieder. 
Vor diesem Hintergrund liest sich der schriftliche Bericht 
über die Arbeit des Senats in den vergangenen zwei Jahren 
manchmal wie eine Geschichte aus Tausendundeiner Nacht. 
Dazu jetzt nur in Stichpunkten einige Bemerkungen, denn 
nach der Aussprache über die politische Grundsatzerklä 
rung soll die Debatte in der Sache ja in der nächsten 
Sitzung fortgesetzt werden: 
Zum Thema öffentliche Finanzen wird es auch künftig 
die unterschiedliche Betrachtung geben, die ln diesem 
Hause zwischen Regierung und Opposition bereits in der 
Vergangenheit deutlich geworden ist; Wenn der Senat ln 
seinem Bericht formuliert und der Regierende Bürger 
meister heute noch einmal betont, daß das Regierungspro 
gramm die Grenzen berücksichtigt, die durch die Entwick 
lung der Finanzen gezogen sind, so halten wir das für eine 
grenzenlose Übertreibung. Wir haben dagegen an anderer 
Stelle die Behauptung gewagt, daß der Senat oft den Sinn 
für Proportionen vermissen läßt und vielfach eine Maß 
losigkeit seines Handelns sichtbar wird. Aber dieser Mei 
nungsstreit — so meinen wir — sollte im Zusammenhang 
mit der finanzpolitischen Diskussion ausgetragen werden. 
Die Auseinandersetzung darüber gehört In die Haushalts 
debatte, und das Parlament wird sich alsbald nach den 
Parlamentsferien an Hand des neuen Haushaltsentwurfs 
dieser Thematik zuzuwenden haben. 
Aber wenn dann in diesem Abschnitt des Senatsberichts 
davon gesprochen wird, daß der Ausbau Berlins zum Mo 
dell einer modernen Großstadt eine vorbildliche Einführung 
der Infrastruktur erfordert, und wenn dann in diesem Be 
richt losgelegt wird, was man alles gerade bedenkt und 
was man alles für Maßnahmen ergreifen wird, dann muß 
dem Leser, der sich ein wenig kritische Vernunft bewahrt 
hat, auffallen, daß das ganze Abeitsmaterial, das der Senat 
zur Bewältigung dieser Aufgabe benötigt, schlicht fehlt. Es 
gibt keinen Stadtentwicklungsplan, wir haben weder ein 
Fernverkehrskonzept noch ein Nahverkehrskonzept, wir 
haben kein Konzept über eine weitgesteckte Energiever 
sorgung, es fehlt der Hochschulentwicklungsrahmenplan. 
Alle Unterlagen, die erforderlich sind, um auftretende 
Einzelfragen, um aktuelle Probleme auf gesicherter Er 
kenntnisgrundlage behandeln und entscheiden zu können, 
sind nicht vorhanden. 
Wer das mit diesem Senatsbericht offenbart kriegt — und 
wenn man an der richtigen Stelle richtig liest, wird es ja 
nicht verschwiegen —, muß die Feststellung wagen dürfen, 
daß dieser Senat ohne ausreichende Erkenntnisquellen und 
Entscheidungshilfen für seine Politik wie bisher weiter 
wursteln wird. 
(Beifall bei der F.D.P.) 
Und wenn es hier überhaupt ein Modell der Politik geben 
sollte, dann ist es offenbar das Modell einer Wurstelpolitik. 
Was in dem Bericht über Planung gesagt wird, macht doch 
auch nur deutlich, daß die Planung der Planung bisher eben 
nicht gelungen ist. An dieser Stelle sind wir drauf und dran, 
zu sagen: Der Patient ist so verplant, daß die Planung ge 
glückt, aber die Politik zu Schaden gekommen ist. 
Aber man sollte ja die Hoffnung nicht aufgeben. Nur wenn 
auf derselben Seite des Berichts in diesem Zusammenhang 
von den Erfolgen der Rationalisierung mit den Mitteln der 
elektronischen Datenverarbeitung gesprochen wird, dann 
muß doch jeder noch einmal in tiefes Nachdenken verfallen, 
wo die gerühmten Erfolge denn tatsächlich zu suchen sein 
sollen. Eines wissen wir jedenfalls: Die Koordinierung des 
elektronischen Datensystems zwischen den Bereichen der 
allgemeinen Verwaltung und der Wissenschaft steht noch 
aus. Seit Monaten erwarten wir vom Senat, daß er uns ein 
Konzept übergreifender Planung für den Einsatz von EDV- 
Anlagen unterbreitet, weil wir alle wissen, welche Unsum 
men von Investitionskosten hierfür zu erwarten sind. Aber 
bisher ist uns der Senat eine Antwort auf die Frage schul 
dig geblieben: „Wie hältst du es mit dem Einsatz von elek 
tronischen Datenverarbeitungsgeräten im Gesamtbereich 
der Politik dieser Stadt, wenn sie tatsächlich Erleichterung 
und Hilfe für die Lösung der anstehenden Probleme brin 
gen sollen und um zu vermeiden, daiß wir mit riesigen 
Fehlinvestitionen in die Irre geführt werden?“ 
Ein Wort nur zum Bereich der Hochschulen: Hier sollte 
der Senat den heutigen Ausführungen des Regierenden 
Bürgermeisters und den Darlegungen im schriftlichen Be 
richt sehr bald Taten folgen lassen. Seine politischen Vor 
stellungen sollten dem Haus in Form einer Vorlage schnell 
zur Beratung und Beschlußfassung unterbreitet werden. 
Wenn das nicht unverzüglich geschieht, dann wird jener 
Teil der Hochschulpolitik von den Gerichten erledigt wer 
den, der nach der Entscheidung des Bundesverfassungs 
gerichtes keinen Bestand mehr haben kann — und davor 
sollten wir uns bewahren —. Hier ist unverzüglich eine Ent 
scheidung des Gesetzgebers geboten, hier könnte wirklich 
mit einem Vorschaltgesetz geholfen werden. In diesem 
Augenblick darf man über eine solche Maßnahme reden, 
und hier sollte der Senat nicht mehr warten. 
In diesem Abschnitt des Berichts steht — etwas versteckt 
und verloren — eine Aussage zur Stiftung Preußischer Kul 
turbesitz und zur Gründung einer „Nationalstiftung des Deut 
schen Volkes". Ich habe die Sorge, daß wir nicht zu der ange 
strebten Lösung kommen, die ganz gewiß im Interesse die 
ser Stadt und unserer Politik liegt, wenn dieses Ziel vom Se 
nat weiter so lieblos, als Pflichtübung abgehandelt wird, wie 
es hier geschehen ist. Ich sage das deshalb, weil es inzwi 
schen auch andere Initiativen aus der CDU/CSU-Fraktlon 
des Bundestages gibt, aus denen man erkennen muß, daß 
1928
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.