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Volume Nr. 50, 17.05.73

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1973, 6. Wahlperiode, Band III, 43.-65. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
60. Sitzung vom 17. Mai 1973 
1830 
befriedigenden Regelung entfernt sind. Und wenn gerade 
gestern ein Regierungssprecher in Bonn davon sprach, daß 
es nun gelte, die zum Abschluß bereitstehenden Verträge 
mit Leben zu erfüllen, mit Leben, meine Damen und Her 
ren, so kann man — wenn dieser Bemerkung auch sicher 
lich ein anderer Tenor zugrunde lag — nur mit Bitterkeit 
ausrufen, und das an die östliche Seite: Mit Leben erfüllen, 
ja; Tote an der Mauer und in den Grenzgewässern haben 
wir übergenug! 
Deutlich wird uns immer vor Augen geführt, wie wenig 
das Wort „Menschlichkeit" bei den Machthabern jenseits 
der Mauer gilt, wie stur Anordnungen befolgt werden, und 
gelte es auch, ein Menschenleben zu bewahren. Dem jetzi 
gen tragischen Vorfall sind ja andere vorangegangen. So 
hatte der Regierende Bürgermeister schon im Oktober 1972 
bei einem ähnlich tragischen Vorkommnis erklärt, daß die 
Zeit reif sei, sich um eine Regelung der Vernunft zu be 
mühen. Schon damals galt da das schreckliche Wort von 
dem Brunnen, der erst abgedeckt wird, wenn das Kind 
hineingefallen ist. Welch’ schreckliche Parallele heute wie 
der! Wir müssen in dem Zusammenhang aber auch fragen; 
Mit welcher Intensität ist der Senat an die Klärung dieser 
Fragen herangegangen? Warum kamen die Gespräche nur 
so zögernd voran? Kann der Senat darlegen, daß er sich 
mit allem Nachdruck um eine Klärung der Angelegenheit 
bemüht hat ? Funktioniert die bürokratische Maschine 
— auch diejenige der Alliierten — schnell genug, wenn es 
um Menschenleben geht? Sind die Anweisungen an Polizei 
und Feuerwehr wirklich so eindeutig, daß man behaupten 
könnte, das Menschenmögliche getan zu haben? Fragen 
über Fragen. Wir meinen, wenn nicht in kürzester Frist 
eine befriedigende Vereinbarung mit der östlichen Seite zu 
erzielen ist, dann müssen die Berliner Organe mit ver 
schärften Richtlinien versehen werden, die unter Um 
ständen auch ein gewisses Risiko einschließen. Dann gilt 
es aber auch, die gefährdeten Grenzbereiche besser abzu 
schirmen. 
Mehr Menschlichkeit, meine Damen und Herren! Auf 
manchen Gebieten scheinen wir noch weit davon entfernt zu 
sein. Wir hoffen, daß der Senat diesen bestürzenden Vor 
gängen die ihnen gebührende Priorität einräumt. Das 
Leben ist höher einzuschätzen als die Einhaltung bloßer 
Ordnungsprinzipien an der Grenze. Dieses sagte Herr 
Bürgermeister Neubauer im November 1972. Dem stimmen 
wir zu. Wir fordern den Senat auf, aus dem Stadium der 
Erklärungen herauszutreten und seine Einstellung in der 
Praxis unter Beweis zu stellen. 
(Beifall bei der CDU) 
Stellv. Präsident Hoppe: Meine Damen und Herren! 
Weitere Wortmeldungen habe ich nicht. Wir sind damit am 
Ende der Aktuellen Stunde. Ich hoffe sehr, daß die Selbst 
bescheidung des Parlaments allseits begriffen wird und daß 
die Bemühungen des Senats nunmehr zu einem schnellen 
Erfolg führen. 
(Beifall) 
Meine Damen und Herren! Bevor ich die lfd. Nr. 1 der 
Tagesordnung aufrufe, darf ich mitteilen, daß nach inter 
fraktioneller Übereinkunft die Tagesordnungspunkte 4, 5, 
11 und 12 ln der heutigen Sitzung nicht behandelt, sondern 
auf die Plenarsitzung am 24. Mal 1973 vertagt werden. — 
Da kein Widerspruch zu hören ist, stelle ich fest, daß das 
Haus so beschlossen hat. 
Ich rufe auf die 
lfd. Nr. 1, Drucksache 6/862; 
Große Anfrage der Fraktion der FJD.P. über Ver 
halten des Senats zur Kündigung der Verträge Uber 
die Nutzung der Kindertagesstätten zum 31. März 
1972 
1. Wie beurteilt der Senat heute sein Gesamtver 
halten im Zusammenhang mit den im Frühjahr 
1972 ausgesprochenen Kündigungen der Kinder- 
tagesstätten-Nutzungsverträge ? 
Wie will er insbesondere die Tatsache rechtferti 
gen, daß er ein parlamentarisch bestrittenes 
Kündigungsrecht, das er selbst rechtlich für 
zweifelhaft hielt, ausübte und dabei zögernde 
Eltern zum Abschluß neuer Verträge nötigte, 
indem er ihnen androhte, ihre Kinder von der 
weiteren Betreuung auszuschließen ? 
2. Welche finanziellen Folgerungen hat der Senat 
Inzwischen gegenüber den betroffenen Eltern aus 
dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts 
Berlin vom 2. April 1973 gezogen? 
Werden insbesondere die betroffenen Eltern für 
die entstandenen Nachteile entschädigt, und ist 
der Senat darüber hinaus bereit, die alten Ver 
träge auf Verlangen der Eltern zu erfüllen ? 
3. Welche Konsequenzen wird der Senat aus dem 
rechtlichen und politischen Pehlverhalten der 
Senatorin für Familie, Jugend und Sport ziehen? 
Die Fraktion der F.D.P. hat beantragt, die Redezeit 
beschränkung aufzuheben. — Wiederspruch dagegen wird 
nicht erhoben, also hat das Haus so beschlossen. Zur Be 
gründung für die anfragende Fraktion hat das Wort Herr 
Abgeordneter Wahl. 
Wahl (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Her 
ren! Wir stellen heute eine Große Anfrage über das Ver 
halten des Senats zur Kündigung der Verträge über die 
Nutzung der Kindertagesstätten zum 31. März 1972, und 
wir fragen darin nach drei Teilkomplexen. Ich möchte dazu 
einiges ausführen. Es wird nicht leicht sein, diese Anfrage 
zu beschränken auf den Vorgang, den wir mit unserer 
Großen Anfrage meinen, und allzu oft in den sachlichen 
Inhalt dieser Verordnung einzusteigen. Ich will es aber 
trotzdem versuchen. 
Nach einer Diskussion von über einem Jahr über das 
Problem der Gebühren in den Kindertagesstätten besteht 
ein dringendes öffentliches Interesse an Konsequenzen zum 
Fehlverhalten des Senats in dieser Frage. Frau Senatorin 
Reichel, Sie haben doch wohl — wie jetzt inzwischen fest 
steht — in der Behandlung dieser Verträge die Aufgabe, 
die in der Bezeichnung Ihrer Amtsstelle liegt, und Ihre 
Amtspflichten vernachlässigt, indem Sie das Wohl der 
Familie und der Jugend eben nicht in dem Maße im Auge 
behalten haben, wie wir es eigentlich hätten erwarten 
können. 
(Zuruf von der SPD; Geradezu lachhaft!) 
Wir bleiben, wie schon bei unserer ersten Großen Anfrage, 
bei dem Vorwurf, daß Sie dem sozialpolitischen und bil 
dungspolitischen Fortschritt entgegengewirkt haben, und 
dies mit Mitteln, die nicht nur unfair, wie wir damals 
gesagt haben, sondern, wie wir heute wissen, auch rechts 
widrig waren. Die Enttäuschung über Ihre Amtsführung 
ist bei uns deshalb besonders groß, weil Sie bis zur Über 
nahme Ihres Amtes als progressiv galten. 
Wir Freien Demokraten haben vor über einem Jahr hier 
Im Abgeordnetenhaus einen Gesetzentwurf eingebracht zur 
vorschulischen Erziehung — bitte sagen Sie nicht: Was hat 
das heute mit dem Thema zu tun? An einer Stelle dieses 
Gesetzentwurfes gehen wir auch auf die Gebührenfrage 
ein — und wissen nach der Entwicklung in den Ausschüs 
sen und der Meinung, wie sie vom Senat und von der sie 
tragenden Mehrheitsfraktion inzwischen mehrfach ge 
äußert wurde, über das Schicksal dieses unseres Gesetzent 
wurfes natürlich schon recht gut Bescheid. Sie haben uns 
ln den Debatten den Vorwurf des Abschreibens von Geset 
zen, die ln anderen Bundesländern bereits praktiziert wer 
den, gemacht, und ich möchte hier heute und gerade an 
dieser Stelle und in diesem Zusammenhang sagen: Dann
	        
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