Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
49. Sitzung vom 10. Mai 1973
bestanden worden. Auch die Sowjetunion muß lernen, mit
dem Geist von Verträgen und mit der Ernsthaftigkeit der
deutschen Position zu leben, und auch die Alliierten müssen
(Zuruf des Abg. Oxfort)
wissen, daß die Interessen Berlins nicht erst dann beein
trächtigt sind, wenn Verträge offenkundig verletzt werden,
sondern auch dann, wenn sie zu einseitig ausgelegt werden.
Wenn nun die CDU, meine Damen und Herren, wegen
der durch nichts — auch nicht durch mich — zu billigenden
oder in ihrer politischen Wichtigkeit herabzustufenden, von
sowjetischer Seite inszenierten Rand- und Begleiterschei
nungen im Vorfeld und bei der Eröffnung dieser Ausstel
lung den Wert dieser Ausstellung insgesamt zu bestreiten
versucht — und, Herr Kollege Lorenz, Sie haben da so
eine Formulierung dringehabt: „lieber keine Ausstel
lung“ —,
(Abg. Lorenz: Als unter diesen Umständen!)
dann muß ich Ihnen sagen: Dieses allerdings wäre keine
Alternative: denn die Durchführung dieser Ausstellung ist
doch letzten Endes die Ausfüllung und Nutzung dessen,
was uns vertraglich gegeben ist.
(Abg. Lorenz: Aber nicht unter den Umständen!)
Was Ihre Vorwürfe, Herr Kollege Lorenz, gegen den Senat
betrifft, so ist hier ganz deutlich festzuhalten, dem DDR-
Botschafter ist es verwehrt worden, hier in West-Berlin
protokollarisch aufzutreten. Ich weiß nicht, Herr Kollege
Lorenz, ob Sie sich da versprochen haben. Er hat hier keine
Funktion ln West-Berlin. Ich habe da herausgehört „eine
Funktion“.
(Abg. Lorenz; Ich habe „keine“ gesagt!)
Die Flaggenhissung, um auch dieses sehr deutlich zu
sagen, hat bedauerlicherweise optisch hervorgehoben, was
rechtlich und substantiell bereits vom Senat verhindert
worden war, und insofern begrüßen wir ausdrücklich die
Korrektur, die der Senat und der Regierende Bürgermeister
in dieser Entscheidung vorgenommen haben, aber wir
wehren uns auch gegen den Versuch, mit Fahnen versuchen
zu wollen, hier Politik in diesem Hause zu machen.
(Empörte Zurufe von der CDU)
Was letztlich für uns politisch das wichtigste zu sein
scheint: Durch den Verlauf dieser Ausstellung und durch
den Besuch des Bundeswirtschaftsministers auf dieser
Ausstellung ist genau das demonstriert worden, was ver
traglicher Inhalt ist, nämlich die Bindung Berlins und die
Möglichkeit, diese Ausstellungen durchzuführen, und dieser
Versuch scheint uns wichtiger als der Eklat eines Abbruchs
zu sein.
Es bleibt abschließend festzuhalten, daß sich die Sowjet
union durch die Umstände der Eröffnung selbst einen
denkbar schlechten Dienst erwiesen hat,
(Abg. Lorenz: Sehr richtig!)
was auch die Besucherzahlen deutlich demonstrieren. Und
es ist festzuhalten, daß für die laufenden Verhandlungen
der Bundesregierung, die mit der Sowjet-Union geführt
werden, wichtige, neue Erkenntnisse nach dem Abkommen
gesammelt wurden, und wir gehen davon aus, daß diese
Erfahrungen in die Verhandlungen aufgenommen werden
und daß auch Herrn Breschnew dazu ein deutliches Wort
gesagt wird. Im übrigen begrüßen wir die Erklärung des
Bundeskanzlers hierzu.
(Beifall bei der SPD)
Präsident Sickert: Das Wort hat der Abgeordnete
Oxfort.
Oxfort (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Her
ren! Der Herr Kollege Heß hat ln mehreren Teilen seines
Beitrages versucht, der Debatte eine Richtung zu geben, um
die es in diesem Hause eigentlich gar nicht geht.
(Abg. Lorenz: Sehr richtig!)
Ich bezweifle, verehrter Herr Kollege Heß, ob sich die
Sowjetunion mit ihrem Verhalten anläßlich der Eröffnung
der sowjetischen Ausstellung wirklich einen schlechten
Dienst erwiesen hat. Offenbar — im Gegensatz zu Ihnen —
weiß die Sowjetunion sehr wohl zu unterscheiden, wo
einerseits der materielle Vorteil gesucht und andererseits
der eigene politische Standpunkt betont werden muß.
(Zuruf: Sehr richtig! — Beifall bei der F.D.P.)
Es wäre erwägenswert, wenn eine solche Betrachtungs
weise auch bei uns Platz griffe.
Sie haben davon gesprochen, daß man ln diesem Hause
mit Fahnen keine Politik machen solle; wir alle haben
eine Zeit erlebt, nach der es uns problematisch erscheint,
allzuviel Wert auf Fahnen zu legen. Verehrter Herr Kol
lege Heß, im Umgang mit einer Macht, die im protokolla
rischen Verkehr gerade im Zusammenhang mit der Aus
legung Internationaler Verträge besonderen Wert auf solche
Einzelheiten legt, kann man auf diese Dinge nicht genug
achten. Und alles, was Sie ln diesem Zusammenhang über
das „Politikmachen“ mit Fahnen gesagt haben, geht nicht
nur an der Sache vorbei, sondern schadet dem Standpunkt,
den wir — glaube ich — bisher gemeinsam in dieser Stadt
eingenommen haben.
(Beifall bei der CDU und der F.D.P.)
Ich spreche hier für eine Fraktion, die bekanntermaßen
die Ostpolitik der Bundesregierung unterstützt,
(Zuruf von der CDU: Welche Fraktion?)
sich zum Berlin-Abkommen bekannt hat und sich nach wie
vor dazu bekennt. Um so mehr ist es unsere Verpflichtung,
darauf zu achten, daß im Zusammenhang mit der Aus
legung dieser Abkommen keine Fehler begangen werden,
die schließlich darauf hinauslaufen, diese Abkommen ein
schränkend zu unserem Nachteil zu interpretieren. Da zieht
nun in der Tat durch die letzte Berliner Geschichte wie ein
roter Faden eine Reihe von Mißgriffen, die darauf hinaus
laufen, der Gegenseite Recht zu geben. Das fing hier neu
lich mit der Deutschlandhalle an. setzte sich über die
sowjetische Industrieausstellung fort und — sogar das kann
man sagen — fand einen gewissen Höhepunkt In der Er
klärung des Herrn Regierenden Bürgermeisters, man solle
das Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und dem sowje
tischen Parteichef nicht mit Berlin-Problemen belasten.
Gott sei Dank hat die Bundesregierung diesen Ratschlag
nicht aufgegriffen.
Lassen Sie mich hier in aller Deutlichkeit sagen: Es ist
für diese Stadt, für ihr künftiges Schicksal einfach uner
träglich, daß allein die sowjetische Flagge aus Anlaß der
Eröffnung einer Internationalen Ausstellung aufgezogen
wird und daß der anwesende Staatssekretär der Bundes
regierung in der bekannten Welse behandelt wird, wäh
rend gleichzeitig der Berliner Regierende Bürgermeister
sich in intime Gespräche mit den Gästen begibt.
(Beifall bei der CDU und der F.D.P.)
Wir empfinden das deshalb als unerträglich, weil all das,
was jetzt Stückchen für Stückchen geschieht, schließlich
eines Tages gegen uns verwendet werden kann, und wir
können hier nicht früh genug den Anfängen wehren.
(Beifall bei der CDU und der F.D.P.)
Wir haben in der Vergangenheit oft genug Anlaß gehabt,
den Regierenden Bürgermeister im Zusammenhang mit
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