Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
45. Sitzung vom 22. Februar 1978
1602
sollte diese Zahlung damals offenbar nur dazu dienen, den
Berlinern eine unzulängliche Besuchsregelung aufgrund
einer unzulänglichen Politik zunächst einmal schmackhaft
zu machen.
(Zurufe von der SPD)
Eine befristete Zahlung könnte jedoch nur als etwas ver
standen werden wie eine psychologische Bearbeitung der
Berliner, um sie in einer bestimmten politischen Situation
für das zu gewinnen, was da geschehen war, und es ist nach
wie vor berechtigt — auch heute berechtigt, da die Bundes
regierung diese zeitliche Begrenzung zwar von vornherein
beabsichtigt, aber nicht von vornherein der Öffentlichkeit
mitgeteilt hat —, davon zu sprechen, daß man es hier mit
einem peinlichen Akt der Täuschung zu tun hat.
(Beifall bei der CDU)
Dies war kein Beitrag zu einem ehrlichen Vertrag, sondern
zu einer unehrenhaften Täuschung mündiger Bürger, und
wenn Herr Bahr, der sicherlich für Wahrheitsfragen nur
eine begrenzte Kompetenz besitzt
(Beifall bei der CDU — Zurufe von der SPD —
Unruhe)
— Meine Damen und Herren, Herr Bahr hat gesagt, der
Senat sei von diesem Vorgang insgesamt informiert ge
wesen. Er sei auch darüber informiert gewesen — von
Anfang an —, daß die Erstattung nur begrenzt sei. Wenn
Herr Bahr recht haben sollte — Sie können das ja hier auf
klären —, dann muß ich sagen, hat sich allerdings der
Senat durch Mitwissen mitschuldig gemacht. Daran kom
men Sie nicht vorbei. Wir erwarten zu diesem Vorgang eine
Aufklärung, weil ja doch diese ganze Geschichte nur ent
stehen konnte, nachdem man seinerzeit die Öffentlichkeit
nicht hinreichend informiert hat.
Nun ist für die erste Entscheidung der Bundesregierung,
die wohl am 31. Januar gefallen ist, von seiten der Bundes
regierung manches zur Begründung gesagt worden. Der
jenige, der es eigentlich wissen müßte, hat jedenfalls ge
sagt, finanzielle Gründe seien nicht ausschlaggebend ge
wesen. Dies wäre auch gewiß wegen der Größenordnung,
um die es hier geht — 20 Mio DM vermutlich —, schwer
einsehbar. Es waren also politische Gründe, und wir haben
einige politische Gründe in den letzten Tagen gehört.
Da ist also zum einen gesagt worden, eine solche Indivi
duelle Zahlung der Einreisegebühren durch den einzelnen
solle auch dazu dienen, diesem einzelnen „ein internatio
nales Bewußtsein zu wecken“. Dies ist gewiß im höchsten
Grade makaber und widersinnig zudem. Internationales
Bewußtsein zu wecken bei der Zahlung einer Gebühr für
den Zugang zum anderen Teil der Stadt, das bedeutete doch
ganz offensichtlich eine Abkehr von der These, daß der
andere Teil Deutschlands und der andere Teil Berlins für
uns nicht Ausland sind. Aber genau derjenige, der diese
These einerseits vertritt, will nun mit Hilfe der Visagebüh
ren internationales Bewußtsein wecken! Dies muß wirklich
auf das schärfste zurückgewiesen werden und kann nicht
als Ausdruck der Vernunft und der Konsequenz bezeichnet
werden.
(Beifall bei der CDU)
Im übrigen wäre es auch deshalb inkonsequent, weil die
Bundesregierung ja durchaus bereit ist, die Gebühren für
den Transit zu zahlen. Wenn man also mit Konsequenz die
Meinung verträte, man müsse internationales Bewußtsein
wecken, müßte man das an jener Stelle, wo es um viel
höhere Summen geht, auch tun.
Und dann ist von einem anderen gesagt worden: Ja, die
Berliner müßten gleichbehandelt werden. — Das heißt also
in diesem Falle, gleich schlecht behandelt werden. Nun
haben wir sehr viel Verständnis dafür, wenn es zu einer
größtmöglichen Einheit im Rechtlichen, Praktischen und
Politischen zwischen dem Bund und Berlin kommt und
bleibt. Aber wenn man dieses Argument in dieser Situation
hört, dann muß man sich ja wohl einiger anderer Dinge
erinnern: Als wir seinerzeit gefordert haben, eben dieser
Zwang zur Einreisegenehmigung, dieser Zwang zum Visum
für West-Berliner, die nach Ostberlin gehen, dürfe nicht
eintreten, da haben wir das damals auch damit begründet,
daß die Westdeutschen ja damals keines Visums bedurften,
als sie nach Ostberlin gingen, 1971. Und damals hat man
es uns abgelehnt und gesagt, hier könne keine Bundes
einheitlichkeit erzielt werden, und aus anderen Gründen
sei die Regelung für die Berliner viel besser und das sei
gut so. Entweder ist das Argument immer verfänglich, oder
es ist falsch, wie es in diesem Falle war; und auch dem
jenigen Herrn, der dieses Argument vorgetragen hat, muß
gesagt werden, daß nicht die Vernunft aus ihm gesprochen
hat, sondern offenbar nur der Versuch einer taktischen
Finesse.
Es waren also, wie wir gehört haben, politische Gründe
maßgebend. Nun fragt man sich dann, welche denn aber?
Denn außer den genannten, die fadenscheinig und falsch
sind, hat die Bundesregierung keinen anderen politischen
Grund vorgetragen. Ganz im Gegenteil, sie hat gestern
einen bestimmten Grund im zuständigen Ausschuß in Bonn
zurückgewiesen, nämlich den Grund, daß hier etwa ein
Entgegenkommen vorhanden sei aufgrund einer Äußerung
und Verpflichtung gegenüber der anderen Seite. Aber so
lange die Bundesregierung keine vernünftigen Argumente
vorträgt — auch nicht dafür, daß sie jetzt einen Rückzieher
macht —, so lange müssen der Verdacht und der Zweifel
da sein, daß dennoch derartige Überlegungen eine Rolle
gespielt haben, Überlegungen nämlich, der anderen Seite in
einem bestimmten Punkte entgegenzukommen.
Ich will den Bewertungen dieses Vorganges nicht neue
Vokabeln hinzufügen. Da war ja eine bemerkenswerte
Übereinstimmung zwischen Vertretern aller Parteien fest
stellbar. Diese gingen von „unklug“, „unsinnig" bis „in
stinktlos“. Dem kann man auch schwerlich etwas hinzu
fügen. Aber ich glaube, man sollte doch das Entscheidende
hier einmal feststellen, weil es einen Kernpunkt der Politik
der Bundesregierung berührt, so wie sie uns diese Politik
immer erklärt hat: Wenn es dazu gekommen wäre oder
später dazu kommen sollte, daß die Bundesregierung und
die öffentliche Hand nicht mehr bereit sind, die anfallenden
Gebühren zu erstatten, dann würde eine solche Entschei
dung praktisch die Politik der SED unterstützen, die darauf
abzielt, durch eine Erhöhung der Preise eine Verringerung
der Besuchsneigung und eine Verringerung der Zahl der
Besuche zu erreichen. Eine solche Maßnahme würde sich
dann als ein praktisches Wohlverhalten zur Förderung der
Abgrenzung entpuppen. Wenn jemand das nicht will, wenn
jemand also dieses Ziel anstrebt, das die Bundesregierung
proklamiert hat, ein möglichst hohes Maß an Kontakten,
möglichst zahlreiche Besuche und lebendige Verbindungen
zu erreichen, dann — meine ich — muß er auch die Konse
quenzen in diesem praktischen Bereich ziehen, zumal ja in
vielfältiger Weise viel großzügigere Zahlungen an die Re
gierung der DDR geleistet werden. Wenn es hier um den
Kernbereich der Politik geht — für die wir viel geopfert
haben, alle wissen das ja auch —, die menschlichen Be
ziehungen zu erhalten, dann — meine ich — ist es äußerst
peinlich, wenn über diese Frage überhaupt eine solche Dis
kussion entstanden ist.
(Beifall bei der CDU)
Das muß niemand anders vertreten als die Bundesregie
rung. Nun hat der Regierende Bürgermeister hier eine
Erklärung abgegeben, die den einzelnen Bürger befriedigt,
weil das erhalten bleibt, was ihm 1971 zugesichert wurde,
daß er nämlich diese Gebühren nicht aus eigener Tasche
zu zahlen hat. Aber es besteht Unklarheit darüber, wer
diese zahlen soll. Insofern ist es ein bißchen kurios mit
dieser Erklärung, denn beide — Bundesregierung und
Senat — sagen: Es wird gezahlt. Aber jeder von beiden
sagt: Ich nicht! Man muß sich die Verhandlungssituation
einmal vorstellen zwischen Bundesregierung und Senat:
Keiner von beiden will zahlen, aber beide sagen dem
Bürger: Es wird gezahlt werden. Was dabei herauskommt,
wissen wir noch nicht. Aber auch dies ist ein Grund dafür,
daß die Anträge, die hier dem Hause vorgelegt werden,
nicht überflüssig geworden sind, sondern daß diese Anträge
noch beraten werden sollen.
Nun muß man doch aber im Hinblick auf die Offenheit
dieser Frage noch eine Bemerkung machen; Es darf nicht
dazu kommen — dies stelle ich für meine Fraktion fest —.
daß das Endergebnis so aussieht, daß der Berliner Senat