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Volume Nr. 45, 22.02.73

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1973, 6. Wahlperiode, Band III, 43.-65. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
45. Sitzung vom 22. Februar 1978 
1602 
sollte diese Zahlung damals offenbar nur dazu dienen, den 
Berlinern eine unzulängliche Besuchsregelung aufgrund 
einer unzulänglichen Politik zunächst einmal schmackhaft 
zu machen. 
(Zurufe von der SPD) 
Eine befristete Zahlung könnte jedoch nur als etwas ver 
standen werden wie eine psychologische Bearbeitung der 
Berliner, um sie in einer bestimmten politischen Situation 
für das zu gewinnen, was da geschehen war, und es ist nach 
wie vor berechtigt — auch heute berechtigt, da die Bundes 
regierung diese zeitliche Begrenzung zwar von vornherein 
beabsichtigt, aber nicht von vornherein der Öffentlichkeit 
mitgeteilt hat —, davon zu sprechen, daß man es hier mit 
einem peinlichen Akt der Täuschung zu tun hat. 
(Beifall bei der CDU) 
Dies war kein Beitrag zu einem ehrlichen Vertrag, sondern 
zu einer unehrenhaften Täuschung mündiger Bürger, und 
wenn Herr Bahr, der sicherlich für Wahrheitsfragen nur 
eine begrenzte Kompetenz besitzt 
(Beifall bei der CDU — Zurufe von der SPD — 
Unruhe) 
— Meine Damen und Herren, Herr Bahr hat gesagt, der 
Senat sei von diesem Vorgang insgesamt informiert ge 
wesen. Er sei auch darüber informiert gewesen — von 
Anfang an —, daß die Erstattung nur begrenzt sei. Wenn 
Herr Bahr recht haben sollte — Sie können das ja hier auf 
klären —, dann muß ich sagen, hat sich allerdings der 
Senat durch Mitwissen mitschuldig gemacht. Daran kom 
men Sie nicht vorbei. Wir erwarten zu diesem Vorgang eine 
Aufklärung, weil ja doch diese ganze Geschichte nur ent 
stehen konnte, nachdem man seinerzeit die Öffentlichkeit 
nicht hinreichend informiert hat. 
Nun ist für die erste Entscheidung der Bundesregierung, 
die wohl am 31. Januar gefallen ist, von seiten der Bundes 
regierung manches zur Begründung gesagt worden. Der 
jenige, der es eigentlich wissen müßte, hat jedenfalls ge 
sagt, finanzielle Gründe seien nicht ausschlaggebend ge 
wesen. Dies wäre auch gewiß wegen der Größenordnung, 
um die es hier geht — 20 Mio DM vermutlich —, schwer 
einsehbar. Es waren also politische Gründe, und wir haben 
einige politische Gründe in den letzten Tagen gehört. 
Da ist also zum einen gesagt worden, eine solche Indivi 
duelle Zahlung der Einreisegebühren durch den einzelnen 
solle auch dazu dienen, diesem einzelnen „ein internatio 
nales Bewußtsein zu wecken“. Dies ist gewiß im höchsten 
Grade makaber und widersinnig zudem. Internationales 
Bewußtsein zu wecken bei der Zahlung einer Gebühr für 
den Zugang zum anderen Teil der Stadt, das bedeutete doch 
ganz offensichtlich eine Abkehr von der These, daß der 
andere Teil Deutschlands und der andere Teil Berlins für 
uns nicht Ausland sind. Aber genau derjenige, der diese 
These einerseits vertritt, will nun mit Hilfe der Visagebüh 
ren internationales Bewußtsein wecken! Dies muß wirklich 
auf das schärfste zurückgewiesen werden und kann nicht 
als Ausdruck der Vernunft und der Konsequenz bezeichnet 
werden. 
(Beifall bei der CDU) 
Im übrigen wäre es auch deshalb inkonsequent, weil die 
Bundesregierung ja durchaus bereit ist, die Gebühren für 
den Transit zu zahlen. Wenn man also mit Konsequenz die 
Meinung verträte, man müsse internationales Bewußtsein 
wecken, müßte man das an jener Stelle, wo es um viel 
höhere Summen geht, auch tun. 
Und dann ist von einem anderen gesagt worden: Ja, die 
Berliner müßten gleichbehandelt werden. — Das heißt also 
in diesem Falle, gleich schlecht behandelt werden. Nun 
haben wir sehr viel Verständnis dafür, wenn es zu einer 
größtmöglichen Einheit im Rechtlichen, Praktischen und 
Politischen zwischen dem Bund und Berlin kommt und 
bleibt. Aber wenn man dieses Argument in dieser Situation 
hört, dann muß man sich ja wohl einiger anderer Dinge 
erinnern: Als wir seinerzeit gefordert haben, eben dieser 
Zwang zur Einreisegenehmigung, dieser Zwang zum Visum 
für West-Berliner, die nach Ostberlin gehen, dürfe nicht 
eintreten, da haben wir das damals auch damit begründet, 
daß die Westdeutschen ja damals keines Visums bedurften, 
als sie nach Ostberlin gingen, 1971. Und damals hat man 
es uns abgelehnt und gesagt, hier könne keine Bundes 
einheitlichkeit erzielt werden, und aus anderen Gründen 
sei die Regelung für die Berliner viel besser und das sei 
gut so. Entweder ist das Argument immer verfänglich, oder 
es ist falsch, wie es in diesem Falle war; und auch dem 
jenigen Herrn, der dieses Argument vorgetragen hat, muß 
gesagt werden, daß nicht die Vernunft aus ihm gesprochen 
hat, sondern offenbar nur der Versuch einer taktischen 
Finesse. 
Es waren also, wie wir gehört haben, politische Gründe 
maßgebend. Nun fragt man sich dann, welche denn aber? 
Denn außer den genannten, die fadenscheinig und falsch 
sind, hat die Bundesregierung keinen anderen politischen 
Grund vorgetragen. Ganz im Gegenteil, sie hat gestern 
einen bestimmten Grund im zuständigen Ausschuß in Bonn 
zurückgewiesen, nämlich den Grund, daß hier etwa ein 
Entgegenkommen vorhanden sei aufgrund einer Äußerung 
und Verpflichtung gegenüber der anderen Seite. Aber so 
lange die Bundesregierung keine vernünftigen Argumente 
vorträgt — auch nicht dafür, daß sie jetzt einen Rückzieher 
macht —, so lange müssen der Verdacht und der Zweifel 
da sein, daß dennoch derartige Überlegungen eine Rolle 
gespielt haben, Überlegungen nämlich, der anderen Seite in 
einem bestimmten Punkte entgegenzukommen. 
Ich will den Bewertungen dieses Vorganges nicht neue 
Vokabeln hinzufügen. Da war ja eine bemerkenswerte 
Übereinstimmung zwischen Vertretern aller Parteien fest 
stellbar. Diese gingen von „unklug“, „unsinnig" bis „in 
stinktlos“. Dem kann man auch schwerlich etwas hinzu 
fügen. Aber ich glaube, man sollte doch das Entscheidende 
hier einmal feststellen, weil es einen Kernpunkt der Politik 
der Bundesregierung berührt, so wie sie uns diese Politik 
immer erklärt hat: Wenn es dazu gekommen wäre oder 
später dazu kommen sollte, daß die Bundesregierung und 
die öffentliche Hand nicht mehr bereit sind, die anfallenden 
Gebühren zu erstatten, dann würde eine solche Entschei 
dung praktisch die Politik der SED unterstützen, die darauf 
abzielt, durch eine Erhöhung der Preise eine Verringerung 
der Besuchsneigung und eine Verringerung der Zahl der 
Besuche zu erreichen. Eine solche Maßnahme würde sich 
dann als ein praktisches Wohlverhalten zur Förderung der 
Abgrenzung entpuppen. Wenn jemand das nicht will, wenn 
jemand also dieses Ziel anstrebt, das die Bundesregierung 
proklamiert hat, ein möglichst hohes Maß an Kontakten, 
möglichst zahlreiche Besuche und lebendige Verbindungen 
zu erreichen, dann — meine ich — muß er auch die Konse 
quenzen in diesem praktischen Bereich ziehen, zumal ja in 
vielfältiger Weise viel großzügigere Zahlungen an die Re 
gierung der DDR geleistet werden. Wenn es hier um den 
Kernbereich der Politik geht — für die wir viel geopfert 
haben, alle wissen das ja auch —, die menschlichen Be 
ziehungen zu erhalten, dann — meine ich — ist es äußerst 
peinlich, wenn über diese Frage überhaupt eine solche Dis 
kussion entstanden ist. 
(Beifall bei der CDU) 
Das muß niemand anders vertreten als die Bundesregie 
rung. Nun hat der Regierende Bürgermeister hier eine 
Erklärung abgegeben, die den einzelnen Bürger befriedigt, 
weil das erhalten bleibt, was ihm 1971 zugesichert wurde, 
daß er nämlich diese Gebühren nicht aus eigener Tasche 
zu zahlen hat. Aber es besteht Unklarheit darüber, wer 
diese zahlen soll. Insofern ist es ein bißchen kurios mit 
dieser Erklärung, denn beide — Bundesregierung und 
Senat — sagen: Es wird gezahlt. Aber jeder von beiden 
sagt: Ich nicht! Man muß sich die Verhandlungssituation 
einmal vorstellen zwischen Bundesregierung und Senat: 
Keiner von beiden will zahlen, aber beide sagen dem 
Bürger: Es wird gezahlt werden. Was dabei herauskommt, 
wissen wir noch nicht. Aber auch dies ist ein Grund dafür, 
daß die Anträge, die hier dem Hause vorgelegt werden, 
nicht überflüssig geworden sind, sondern daß diese Anträge 
noch beraten werden sollen. 
Nun muß man doch aber im Hinblick auf die Offenheit 
dieser Frage noch eine Bemerkung machen; Es darf nicht 
dazu kommen — dies stelle ich für meine Fraktion fest —. 
daß das Endergebnis so aussieht, daß der Berliner Senat
	        
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