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Volume Nr. 41, 07.12.72

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1972, 6. Wahlperiode, Band II, 22.-42. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
41. Sitzung vom 7. Dezember 1973 
anderen sollen 2 Mio DM für zusätzliche Einstellung von 
Vertretungskräften für den Grundschulbereich bereit 
gestellt werden. 
Ich gehe davon aus, daß jedes Mitglied dieses Hauses, das 
sich nur ein ganz klein wenig um die Probleme der Berliner 
Schule kümmert, auch mit dem Problem, das in diesem 
Antrag angesprochen ist, vertraut gemacht hat. Eine Viel 
zahl von Stunden fällt aufgrund von Krankheit der Lehrer 
in den Berliner Schulen aus. Ich habe gerade heute Vor 
mittag einmal eine Umfrage in einigen Schulen durch 
geführt und dabei feststellen müssen, daß 208 bis 240 
Lehrerstunden — es geht hier um eine Umfrage im Bezirk 
Reinickendorf — im Monat ausfallen, was die ganze Trag 
weite der Problematik zeigt. Der Versuch, durch Teilungs- 
stunden, durch Senkung der Klassenfrequenzen und durch 
ähnliche Maßnahmen ein Mehr an Chancengerechtigkeit zu 
erreichen, muß daher immer dann scheitern, wenn wir in 
der Problematik der Vertretungskräfte nicht weiter voran 
kommen. Sie, meine Damen und Herren — ich spreche jetzt 
insbesondere die Sozialdemokraten in diesem Hause an —, 
müssen also entscheiden, ob Sie eine Ausdehnung der Stel 
lenpläne an der Freien Universität um faktisch über 450 
Stellen im außerklinischen Bereich für wichtiger halten als 
den Versuch, die gröbsten Schwierigkeiten im Grundschul 
bereich wenigstens zu bereinigen. Sie müssen entscheiden, 
ob Sie ein Tutorenprogramm, dessen Praxis noch dazu 
rechtlich umstritten ist, höher bewerten als den Versuch, 
die Ausgangsbasis im Bildungswesen im Sinne von mehr 
Chancengerechtigkeit zu verbessern. Und Sie müssen auch 
entscheiden und haben hier leider schon negativ entschie 
den vorhin in der Abstimmung, ob Sie die Polizeischau oder 
die Mittel für die Selbstdarstellung des Berliner Senats 
unter der Haushaltsstelle „Berlin-Informationen“ für wich 
tiger halten als eine wirkungsvolle Hilfe für die Sechs- bis 
Zwölfjährigen im Grundschulbereich. 
Dabei ist bei unseren Anträgen auch Raum für eine 
weitere kontinuierliche Entwicklung der Personalsituation 
an der Freien Universität, und es ist auch Raum für eine 
Fortführung des Tutorenprogramms. Dabei, meine Damen 
und Herren, kann ich Sie hier nur eindringlich bitten, sich 
unserem Antrag anzuschließen, denn nur mit dieser Ent 
scheidung — davon bin ich fest überzeugt — werden Sie 
auch vor den Eltern in Ihrem Wahlkreis und zuhause in 
Ihrem Wahlkreis bestehen können, sonst sicher nicht. 
(Zuruf der Frau Abg. Renner) 
Bei der Gestaltung des Haushalts stoßen wir immer wie 
der auf die Gegenpole bezirklicher Verantwortung und Not 
wendigkeit einer gezielten Schulpolitik. Wir haben diese 
Problematik im Hauptausschuß des öfteren erörtert. Ich 
will hier nur zwei Forderungen vortragen; 
1. Wir fordern vom Senat bei der Fortschreibung des 
Schulentwicklungsplans eine genaue Zweckbestimmung der 
beabsichtigten Erhöhung der Haushaltsmittel. Es muß aus 
gewiesen werden, welche Kosten zu welchem Zweck an 
welcher Schule in welchem Bezirk ausgewiesen werden 
können und müssen. Nur so kann nämlich vermieden wer 
den, daß in diesem Hause beschlossene zusätzliche Mittel 
im Rahmen der Gesamtbindung nachher den eigentlich vor 
gesehenen Empfänger nicht erreichen. Ich denke beispiels 
weise dabei an die Kleine Anfrage zur Frage der Mittel für 
Sonderschulen. 
2. Wir erwarten, daß der Senat ein dauerhaftes Modell 
erarbeitet, mit dem er die Verschiebung der Bevölkerung 
111 der Stadt und damit die Grundlagen für die gesamt 
gebundenen Ansätze besser in den Griff bekommt. Zur Zeit 
spiegeln alle Pläne die Wirklichkeit nicht wider. 
Bel diesen Forderungen, meine Damen und Herren, bin 
Ich bereits bei einer kritischen Würdigung der Schulpolitik 
des Senats. Wir würdigen dabei auch die positiven Seiten 
der Bilanz: Die großen Anstrengungen beim Oberschulbau- 
Programm, die Bemühungen, zusätzliche Lehrer aus ande 
ren Bundesländern für Berlin zu werben. Wir stellen auch 
rest: In der aktuellen und sehr bedeutsamen Auseinander 
setzung um die Prüfungspraxis am Wissenschaftlichen 
Landesprüfungsamt wird der Schulsenator, vorausgesetzt 
er bleibt bei seiner Zielsetzung, mit der Unterstützung 
meiner Fraktion rechnen können. Ich will dabei allerdings 
schon jetzt anklingen lassen, daß wir mit dem Verhalten 
der anderen betroffenen Senatsverwaltung nicht einver 
standen sind und es zumindest als bedenklich charakteri 
sieren müssen. 
Wir müssen den Senat aber neben diesen Fakten auch 
an seinen eigenen Ankündigungen messen, und daran, ob 
Probleme gelöst oder wenigstens angepackt wurden, die in 
diesem Hause immer wieder zur Diskussion gestellt wurden. 
Und dabei kommen wir — ich sage leider — zu einem be 
merkenswerten Katalog an unerfüllten Versprechungen und 
an hinausgeschobenen Problemen. Der Senator für Schul 
wesen hat den Schulentwicklungsplan für den Herbst dieses 
Jahres angekündigt. Wir warten noch heute darauf. Der 
Senator für Schulwesen hat einen Entwurf eines Mit 
bestimmungsgesetzes — er sagt jetzt Schulverfassungs 
gesetzes — angekündigt. Wir warten auch darauf noch 
heute. 
In der letzten Etatdebatte haben wir das Problem des Bil 
dungsgefälles zwischen den Bezirken in dieser Stadt ange 
sprochen. Wir haben im Zusammenhang mit der Ausländer 
problematik auf die Potenzierung dieser Schwierigkeiten 
hingewiesen und feststellen müssen, daß gerade die Bezirke 
weiter benachteiligt werden, deren Bevölkerung sowieso 
unter die Kategorie der sozial Schwächeren einzuordnen ist. 
Wir sehen keinen Anhaltspunkt, daß der Senat hier wir 
kungsvoll dieses Problem aufgegriffen hat. 
Die SPD stellt immer in den Vordergrund ihrer Argu 
mentation das Ziel: Mehr Chancengerechtigkeit. Wir teilen 
diese Zielsetzung. Doch in der Praxis besteht ein Wider 
spruch in der Politik des Senats, wenn er gerade die Be 
zirke mit ihren Problemen allein läßt, die man gemeinhin 
als Arbeiterbezirke bezeichnet: Tiergarten, Kreuzberg und 
so weiter. Genauso ist es, wenn man feststellen muß, daß 
der Sonderschulbereich offenbar an die Peripherie der 
schulpolitischen Überlegungen dieses Senats gerückt ist und 
wenn wir feststellen müssen, daß die Grundschule nicht in 
der notwendigen Form gefördert wird. Chancengerechtig 
keit im Bildungswesen kann doch nur von den Ausgangs 
positionen aus hergestellt werden und damit bei Eintritt in 
das Bildungssystem. Der Herr Senator wird jetzt sicherlich 
diese Argumentation mit dem Hinweis zu widerlegen ver 
suchen, daß die integrierte Gesamtschule hier Erfolge er 
zielt habe. Das ist richtig, die bisherigen Ergebnisse zeigen 
eine Verbesserung der Durchlässigkeit in Richtung weiter 
qualifizierender Kurse. Damit ist aber unsere Argumenta 
tion nicht entkräftet, denn um mehr Chancengerechtigkeit 
im Bildungswesen zu verwirklichen, können wir nicht erst 
in der Mittelstufe, sondern wir müssen bereits vorher be 
ginnen, das heißt, im Grundschulbereich, das heißt aber 
auch im Sonderschulbereich, im Bereich vorschulischer Er 
ziehung. 
Der Herr Kollege Schwarz — ich komme gleich zum 
Schluß — hat sich in der letzten Debatte über unsere 
Große Anfrage zum beruflichen Schulwesen als Hellseher 
betätigen wollen. Er hat erwartet, daß wir noch eine Reihe 
parlamentarischer Initiativen einbringen werden, so zum 
Problem Sonderschulwesen, zum Problem Erwachsenenbil 
dung. Zu dieser Vermutung hat Sie sicherlich die Beurtei 
lung, Ihre eigene Beurteilung der Senatspolitik geführt, und 
ich kann nur sagen; Sie haben recht gehabt, dort klaffen 
auch Lücken. Es klaffen Lücken dort wie im berufsbilden 
den Schulwesen, wie im Sonderschulwesen, wie im Grund 
schulbereich. Und diese Lücken, meine Damen und Herren 
— bemerkenswerterweise immer zu Lasten der noch eigent 
lich nach den Traditionen Ihrer Partei präferenzierten 
Gruppen der Arbeitnehmer, der sozial Benachteiligten —, 
und die nicht eingehaltenen Versprechungen des Senats zur 
Schulpolitik müssen uns einfach zwangsläufig zu unserem 
Nein zu diesem Etat veranlassen. Wir müssen nein sagen, 
weil wir uns begreifen als eine Opposition, die weiterdrän 
gen will zu vernünftigen Lösungen, 
(Heiterkeit bei der SPD) 
und ich darf hier weiterhin noch die Bitte aussprechen, daß 
Sie unserem Antrag zu dem Vertretungstreffen im Sinne 
1451
	        
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