Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
40. Sitzung vom 6. Dezember 1972
1398
bei der Haushaltsberatung verständlich. Sonst wäre es un
begreiflich, daß nicht einmal die erzielten Einsparungen
zur Ausgabenkürzung führten, sondern nur zu einer Um
schichtung der Ausgaben. So legte der Hauptausschuß in
seiner großen Güte die eingesparten 5 Millionen dem Sena
tor für Finanzen bei den Bewilligungsmitteln wieder drauf.
Und doch sind wir nicht aus unserer Verantwortung für
die Stabilitätspolitik entlassen und wir sollten uns schon
gar nicht selber daraus entlassen. „Der Preisentwicklung
gilt unsere besondere Aufmerksamkeit. Obgleich die Bun
desrepublik international zu den Ländern mit der gering
sten Preissteigerung zählt, wissen wir, daß immer die
Arbeitnehmer die Hauptlast dieser Entwicklung zu tragen
haben.“ Verehrter Herr Kollege Stobbe, diese Feststellung
zu treffen, beinhaltet noch keine liberale Provokation,
vielmehr habe ich nur zwei Sätze aus dem Berlin-Pro
gramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
zitiert.
(Abg. Stobbe; Ja warum zitieren Sie es denn?)
— Um das Berlin der Zukunft schaffen zu können, waren
sich die Sozialdemokraten am 29. November 1970 noch der
Tastache bewußt, daß dazu auch die Preisstabilität ge
hört. Sie haben deshalb in der Nr. 47 ihres Programms
zusätzlich beteuert: „Was wir im Rahmen der Berliner
Wirtschafts- und Finanzpolitik tun konnten, haben wir
durch antizyklische Politik der öffentlichen Hand getan.“
— Es ist nicht einzusehen, warum diese Aussage, die für
die Vergangenheit richtig war, jetzt ihre Aussagekraft ein
büßen soll. Gewiß, es ist schwer, die Aufgaben der Gegen
wart zu meistern, die Investitionen für die Zukunft nicht
zu versäumen und gleichzeitig die Stabilität zu wahren und
so Reformen und Solidität im Einklang zu halten. Aber
dabei läßt sich einfach nicht übersehen, daß wir in der
Vergangenheit aus dem Gleichschritt geraten sind. Der
Rückstau an Reformen gerade auf dem Eildungssektor
hat uns eine solche Ausgabenflut beschert, daß wir Mühe
haben werden, Reformen und Stabilität wieder zu syn
chronisieren. Und doch muß genau dies geschehen, wenn
die Reformpolitik auch auf Dauer Bestand haben soll.
Weil wir einer solchen Entwicklung nicht tatenlos Zu
sehen wollen, wird die F D.P.-Fraktion den Antrag stellen,
den Haushaltsplan 1973 in Einnahmen und Ausgaben
jeweils um 100 Millionen zu senken. Auch damit sind die
Probleme nicht gelöst, aber die Vogel-Strauß-Politik muß
endlich aufhören. Eine Minderausgabe in dieser Höhe ist
notwendig und vertretbar. Der Senat wird In der Lage
sein, Einsparungen in diesem Umfange durch Sperrung
von neuen Planstellen und durch Verfügungsbeschränkun
gen zu erzielen. Auf der Einnahmeseite wird die Kredit
aufnahme um 100 Millionen reduziert, so daß die Neuver
schuldung auf einen Betrag gesenkt werden kann, der
unter 500 Millionen liegt. Ich bitte um Verständnis dafür,
daß ich mich in diesem Augenblick an das stillschweigende
Einvernehmen halte und die Bemessung der Bundeshilfe
außerhalb der Betrachtung lasse.
Vielleicht wird der Senat und die Mehrheitsfraktion ein
wenden, die Opposition mache es sich sehr einfach mit die
ser pauschalen Kürzung, die Alternative einer anderen
Haushaltspolitik sei nicht deutlich geworden. Auf das
immer wiederkehrende Verlangen nach haushaltspolitischen
Alternativen der Opposition komme ich am Schluß dieser
Rede noch zurück. Diese Diskussion sollte endlich zu einem
Abschluß gebracht werden. Dabei würde ich gern klarstel
len, daß es sich dabei um nichts anderes handelt als um
ein taktisches Mittel der Regierung in der parlamenta
rischen Auseinandersetzung mit der Opposition. Bei der
haushaltstechnischen Operation der Veranschlagung einer
Minderausgabe nehme ich aber zunächst auf das beispiel
gebende Verhalten dieses Senats in den letzten beiden
Haushaltsjahren Bezug. Wenn die Minderausgabe für den
Senat in der Vergangenheit ein angemessenes Mittel seiner
Haushaltspolitik sein durfte, wird es das für die Opposi
tion ebenfalls sein können. Den Schopenhauerschen Ein
wand, daß es noch lange nicht dasselbe sei, wenn zwei
dasselbe tun, würde ich hier nicht gelten lassen.
Lassen Sie mich jetzt einigen Einzelthemen zuwenden,
die wegen ihres finanziellen Gewichts oder wegen ihrer
prinzipiellen Bedeutung von allgemeinem Interesse sind.
Ich werde dabei nach der Gliederung des Haushaltsplans
Vorgehen, zumal man dabei zwangsläufig schnell an die
Senatskanzlei gerät und die Kritik am Verhalten des Re
gierenden Bürgermeisters beginnen kann. Es scheint mir
jedenfalls nicht unwichtig, daß es der Präsident des Rech
nungshofes war, der den Rechnungsprüfungsausschuß dar
auf hinwies, daß seit dem 1. Januar 1972 nur noch solche
Ansätze von der Prüfung durch den Rechnungshof aus
genommen werden dürfen, die für geheimzuhaltende Aus
gaben bestimmt sind. Dennoch sah der Haushaltsplan für
Repräsentationsmittel des Regierenden Bürgermeisters und
des Präsidenten des Abgeordnetenhauses wieder einen be
sonderen Prüfungsvermerk vor, nach dem nur der Prä
sident des Rechnungshofes prüfen kann. Da die Mitglieder
des Rechnungsprüfungsausschusses bei den in Rede ste
henden Ansätzen keine geheimzuhaltenden Dinge zu er
kennen vermochten, sollte auf eine Änderung hingewirkt
werden. Der Präsident des Abgeordnetenhauses ist dieser
Empfehlung gefolgt; dagegen hat der Regierende Bürger
meister dieses nach Absprache mit dem Senat nicht für
erforderlich gehalten.
(Zuruf von der F.D.P.: Hört, hört!)
Der Vorgang soll gewiß nicht überbewertet werden. Nie
mand wird bei der Höhe des Betrages, um den es geht,
von einem Reptilienfonds sprechen, allenfalls könnte es
sich um eine Schlangengrube handeln. Aber das Beispiel
ist eben treffend. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die
Haltung des Senats, der sich hier nicht der umfassenden
Kontrolle des Rechnungshofes stellen will.
Für die Öffentlichkeitsarbeit hat der Regierende Bürger
meister wieder zusätzliche Haushaltsmittel erhalten, und
dies, obschon sich der bisherige Betrag von 8 Millionen
auch nicht gerade ärmlich ausnahm. Ganz gewiß ist in Ber
lin eine gute Informationspolitik auch nach dem Abschluß
des Viermächte-Abkommens erforderlich. Aber wenn es
richtig ist, daß sich die Lage in dieser Stadt nach dem Ab
kommen verbessert hat, dann wird diese Arbeit künftig
leichter werden. Unter erleichterten Voraussetzungen
müßte diese Arbeit dann aber auch billiger zu leisten sein.
Wer daraufhin die Überlegungen zur Öffentlichkeitsarbeit
kritisch durchschaut, wird feststellen, daß es nicht nur um
Informationspolitik geht, sondern daß die Information
durch einen kräftigen Schuß Werbung — früher sagte man
dazu etwas unfeiner „Propaganda“ — ergänzt werden soll.
Und Propaganda war schon immer teuer, aber gerade auf
sie sollte in einer guten Demokratie verzichtet werden kön
nen, dies um so mehr, als dem Senat gar nicht so sehr an
einer offensiven Auseinandersetzung mit der politischen
Umgebung gelegen ist, sondern ihm liegt vielmehr daran,
diese Stadt bei der eigenen Bevölkerung ins rechte Licht
zu rücken. Er will den Bürger lehren, das ständig stei
gende Angebot an Lebensqualität zu erfassen. Dieser Nach
hilfeunterricht an Bewußtseinsbildung mutet denn doch
etwas komisch an. Den Berlinern — so meine ich — braucht
sicher nicht mit teuren Annoncen und Werbesprüchen ein
getrichtert zu werden, daß in dieser Stadt glückliche Men
schen leben, die sich selig preisen dürfen, von diesem
Senat regiert zu werden.
(Beifall bei der F.D.P.)
Meine Damen und Herren! Hier steht zu viel Geld für
kreative Naturen zur Verfügung. Dies führt dann dazu, daß
Geld für fragwürdige Ideen verpulvert wird. Im Augen
blick verfahren wir offenbar nach der Devise: Wer vieles
bringt, wird auch mal etwas vernünftiges bringen. Wer
sagt dem Presse- und Informationsamt endlich einmal, daß
Qualität sehr viel eher aus dem Zwang zur Sparsamkeit
entsteht ?
Beim Senator für Inneres nahm naturgemäß die Per-
sonalwirtschaft einen breiten Raum ein. Es soll nicht ge
leugnet werden, daß alle Fraktionen des Hauses den Stel
lenmehranforderungen des Senats mit großer Reserve
begegnet sind. Die Ankündigung der Bundesregierung,
Personalstellen im öffentlichen Dienst zu verringern, und
ihre Empfehlung an die Länder und Gemeinden, ähnlich
zu verfahren, klingt wie die Verheißung aus einer anderen
Welt. Der Senat schien von dieser Aufforderung allerdings