Path:
Volume Nr. 36, 26.10.72

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1972, 6. Wahlperiode, Band II, 22.-42. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
36. Sitzung vom 26. Oktober 1972 
1274 
Zum Problem des Ruhestandsbeamten ist von der CDU- 
Fraktion zum Ausdruck gebracht worden, daß auch sie die 
sich in den Ländern Schleswig-Holstein und Hessen ab 
zeichnende negative Entwicklung bezüglich der Ruhestands 
beamten erkannt habe und bereit sei, in Berlin eine ähnliche 
Entwicklung zu verhindern und notwendige Konsequenzen 
zu ziehen. Die in den Beratungen von seiten der Senats 
verwaltung geltend gemachte finanzielle Privilegierung der 
Ruhestandsbeamten — nämlich Ruhestandsbezüge, Ab 
geordnetendiäten und gegebenenfalls weitere Nebenein 
künfte — ist von der CDU als nicht den Realitäten ent 
sprechend angesehen worden. 
Übereinstimmend ist von allen Fraktionen im Ausschuß 
die unterschiedliche Behandlung der Bediensteten der 
Haupt- und Bezirksverwaltungen kritisiert worden. 
So weit im großen und ganzen der Inhalt des Beratungs 
ergebnisses im Ausschuß. Ich darf Sie abschließend im 
Namen des Innenausschusses bitten, den Beschlußempfeh- 
lungen, die durch mehrheitliche Entscheidung zustande ge 
kommen sind, zuzustimmen. — Ich danke Ihnen! 
(Beifall bei der SPD) 
Stellv. Präsident Lorenz: Ich danke dem Herrn Bericht 
erstatter. 
Für den Verfassungsausschuß wird auf eine Bericht 
erstattung verzichtet. 
Ich eröffne die II. Lesung über alle drei Gesetzentwürfe. 
Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Luster. 
Luster (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Her 
ren! Entgegen der Empfehlung des Herrn Berichterstatters 
kann ich Sie nur dringend warnen, der Beschlußempfeh 
lung des zuständigen Ausschusses zuzustimmen. Das, was 
der Ausschuß beschlossen hat, ist für uns —- wie der Herr 
Berichterstatter zurückhaltend, wie er das tun mußte, vor 
getragen hat — nicht nur nicht befriedigend, es ist beun 
ruhigend. Man könnte nach langen Beratungen dieses 
Themas — und wir haben uns ja im Jahre 1970, also 
während der vergangenen Legislaturperiode schon mit 
dieser Frage beschäftigt — das abschließende Votum 
darunter setzen: Außer Spesen nichts gewesen. So soll es 
unserer Meinung nach nicht sein. Ich darf daher schon am 
Anfang für meine Fraktion beantragen, unsere Anträge 
dem zuständigen Innenausschuß zur erneuten Beratung 
zurückzuverweisen. 
Meine Damen und Herren! Unseres Erachtens kommt 
der Frage der Inkompatibilität eine grundsätzliche Bedeu 
tung zu. Nur in zweiter Linie erscheint es uns relevant in 
diesem Zusammenhang: Wie verhindern wir eine Über 
repräsentation des öffentlichen Dienstes im Parlament? 
Wichtig scheint uns zuerst zu sein, wie wir die Ineffektivi 
tät der Kontrolle der Regierung und Verwaltung seitens 
des Parlaments durch dessen Abgeordnete verhindern. 
Auch wir wissen — und der Herr Berichterstatter hat das 
vorgetragen —, daß der Gedanke von Montesquieu hin 
sichtlich der Gewaltenteilung ein Prinzip ist, das sich nicht 
lupenrein durchführen läßt; jedoch erscheint uns der Um 
kehrschluß außerordentlich waghalsig, weil etwas nicht in 
seiner Perfektion durchgeführt werden könne, sei es 
unwichtig, den Gedankengängen überhaupt nachzugehen. 
Denn die Gewaltenteilungslehre Montesquieus ist ja nicht 
bloß die Lehre von einer durch die Natur der Sache not 
wendig gegebenen Aufgabenteilung im Staat, sondern sie 
ist darüber hinaus die Theorie von der funktionellen Bin 
dung der politischen Kräfte im Staat und dem dadurch er 
reichten Gleichgewicht dieser Kräfte. Sie ist die Theorie 
von einem Gleichgewicht, das einerseits ein Zusammenspiel 
aller in einem Staat wirksamen politischen Kräfte ermög 
licht und damit die Stärkung des Staats einerseits herbei 
führt, aber gleichzeitig der Freiheit des einzelnen und dem 
über beiden stehenden Gesetz Raum bietet. Weil wir dies 
so sehen, ist das, was hier — wenn auch zu später Stunde — 
behandelt wird, eine prinzipielle Frage für uns. Und daher 
sagen wir: Wir halten daran fest, Amt und Mandat sind 
unvereinbar. Und um eine Formulierung von Herrn Ab 
geordneten Dr. Riebschläger — der sich vielleicht hier auch 
zu der Frage äußern wird — aufzunehmen: Auch wir sind 
nicht der Meinung, daß hier ein Purismus am Platze ist, 
aber schon gar nicht wünschen wir ein Püree auf diesem 
Gebiet, also eine untrennbare Vermanschung von Zustän 
digkeiten und Funktionen. Wir wissen, wie alle hier im 
Hause, jede Lösung wird Mängel haben; daraus folgt für 
uns allerdings nicht, daß wir das Problem überhaupt nicht 
lösen wollen oder, um eine Formulierung, wie sie von der 
Sru-Fraktion im Ausschuß am 28. Juni 1972 verwendet 
worden ist, daß wir uns mit einer Minimallösung zu 
friedengeben, wenn hier gesagt worden ist — ich glaube, 
auch vom Kollegen Dr. Riebschläger —, für eine Minimal 
lösung würde die Fraktion der SPD, im Falle, daß man sich 
verständigen könnte, jederzeit bereit sein. Das ist in einer 
wichtigen Frage Minimalismus, und dem können wir uns 
bei solcher wichtigen Frage nicht verschreiben. Wir sind 
auch nicht der Meinung, weil diese Lösung relativ spät 
käme, wenn wir sie jetzt beschlössen, daß wir sie dann 
überhaupt nicht beschließen sollen. Warum käme sie denn 
so spät, meine Damen und Herren? Die CDU-Fraktion 
ebenso übrigens wie die F.DJP.-Fraktion sind initiativ ge 
worden im Frühjahr des Jahres 1970, und wir haben Ver 
ständnis gehabt dafür, daß die SPD-Fraktion sich schwer 
getan hat, nun ihre Entscheidungen und ihre Entschlüsse 
zu fassen; deshalb mußte das, was zu beschließen war, in 
der vorigen Legislaturperiode vertagt werden, und wir 
haben das Problem heute auf dem Tisch. Aber wir können 
doch nun nicht mit dieser Begründung arbeiten, weil wir 
gedankliche Arbeit zu leisten hatten, vor uns ein bißchen 
hergeschoben haben, weil wir da einen späteren Zeitpunkt 
inzwischen erreicht haben, dann wollen wir es lieber jetzt 
gar nicht machen. Das ist uns dieser Frage nicht angemes 
sen. Und wenn der Herr Berichterstatter sagt: Das Problem 
ist gesehen worden, doch so sei es nicht zu lösen — sei die 
Auffassung der Mehrheit im Ausschuß gewesen —; dann 
fragen wir: Nun bitte schön, wir sind ja bei dieser in der 
Tat schwierig zu regelnden Frage, und in einer Frage, wo 
niemand sich anheischig machen kann, zu sagen, er habe 
das Patentrezept bereit, die andere Lösung mit Ihnen zu 
erörtern, wenn Sie doch die Alternative mal auf den Tisch 
des Hauses gelegt hätten in zwei Jahren, wo Sie angeblich 
so intensiv darüber nachgedacht haben. Sie haben uns eine 
Alternative nicht geboten und sagen: Weil wir uns nichts 
haben einfallen lassen können oder wollen, deshalb wollen 
wir auch das nicht, was Ihr gemacht habt. 
Nennen Sie es nun Reform der Demokratie oder nennen 
Sie es Reform des Parlaments; wessen Teil das ist, wovon 
wir hier sprechen, das ist immer ein Prozeß, der nie durch 
eine Maßnahme abgeschlossen werden kann, sondern der 
immer wieder neu überdacht werden darf. Aber zu sagen: 
Das geht nicht und darum wollen wir gar nichts, — das ist 
uns keine Alternative, und so kommen wir in der wichtigen 
Frage nicht weiter. Wir sehen das rechtlich, wir sehen das 
Ganze theoretisch, -wir sehen es grundsätzlich — ich habe 
zur Frage der Gewaltenteilung ein Wort gesagt —, aber wir 
sehen es auch ganz praktisch, wir sehen es in der Sorge 
um die Effizienz der Kontrolle des Parlaments. 
Nehmen Sie doch den Fall, den es gegeben hat — und 
ich brauche den Namen nicht zu nennen —, wo einer 
beispielsweise erstens ein Mitarbeiter in einer Bezirksver 
waltung ist, wo er zweitens Vorsitzender des Hauptperso 
nalrats der Berliner Verwaltung ist und wo er drittens 
Mitglied des Abgeordnetenhauses ist. In diesen drei Funk 
tionen hat er einmal — Mitarbeiter einer Bezirksverwal 
tung — den Innensenator als oberste Dienstbehörde, er 
hat ihn weiter in seiner Eigenschaft — immer der gleiche 
— als Vorsitzender des Hauptpersonalrats als Gesprächs 
partner und er hat ihn drittens als Mitglied des Abgeord 
netenhauses als ein von ihm kontrolliertes Senatsmitglied. 
Da sind doch unerfreuliche Verquickungen, die wir dem 
Betreffenden ja nicht anlasten können, sondern die in dem 
System bedingt sind. Und denken Sie sich etwa mal den 
wirklich nur sehr gedachten Fall, daß es einen Abgeordne
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.