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Volume Nr. 36, 26.10.72

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1972, 6. Wahlperiode, Band II, 22.-42. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
36. Sitzung vom 26. Oktober 1972 
1259 
Jawohl, jetzt führen wir sie durch. Im übrigen muß ich 
mein großes Erstaunen darüber zum Ausdruck bringen, 
daß Sie sich hier in einer Angelegenheit auseinanderma 
növrieren gegenüber Ihren Freunden in der übrigen Bun 
desrepublik. Es sind einige Länder schon zitiert worden. 
Ich darf zwei dieser Länder herausgreifen, die nicht von 
unseren Parteifreunden regiert werden. Bayern ist hier 
erwähnt worden. Bayern führt dieses KMK-Modell entspre 
chend dem Entwurf, der zugrunde lag, seit 1969 durch, zur 
Zeit an 36 Gymnasien — in ganz Berlin haben wir rund 
60 —. Und nächstes Jahr, Herr Kollege Diepgen und Herr 
Kollege Ulzen, werden in Bayern 2000 Abiturienten die 
Reifeprüfung nach diesem KMK-Modell ablegen. Ich glaube, 
daß wir solche Daten einfach mal Ihrer Stellungnahme 
hier gegenüberhalten müssen, 
(Abg. Schwarz: Sehr gut!) 
und ich frage mich, worauf Sie mit diesem Hinauszögern 
spekulieren. Schleswig-Holstein ist ein weiteres Beispiel, 
dort wurde bereits an rund zwei Dritteln aller Gymnasien 
dieses Modell eingeführt. Ich frage mich: Was will die 
CDU eigentlich, wenn ich einmal den Rahmen etwas weiter 
fasse und nicht nur auf Berlin sehe. Sie müssen sich mit 
Ihren Freunden einmal darüber unterhalten. Das heißt, 
soweit würde ich zusammenfassen wollen: Sie müssen sich 
hüten vor dem Vorwurf, der sich aufdrängt, Sie seien 
Reformmuffel, 
(Frau Abg. Renner: Sehr gut!) 
und ich glaube, daß die Verwirklichung unsere Aufgabe ist, 
wenn die Voraussetzungen gegeben sind — und wir haben 
hier sehr ausführlich die Stellungnahme des zuständigen 
Senators gehört, und — wenn wir Zeitung gelesen haben — 
auch die Stellungnahmen von Berufsverbänden. Das nur 
mal als Einschiebsel, Herr Kollege Ulzen; Sie wissen das 
ganz genau. Sie sind ja ein Kollege. Insofern darf ich Sie 
daran erinnern, daß Sie von der Berliner Lehrerzeitung 
nur die letzte Ausgabe aufzuschlagen brauchen; 
(Abg. Hitzigrath: Liest er doch nicht!) 
dort steht wortwörtlich die grundsätzlich positive Stellung 
nahme der GEW zu dieser Reform. Also sollten Sie doch 
nicht so tun, als ob die Berufsverbände — 
(Abg. Ulzen: Sie müssen differenzieren!) 
Auch der Philologenverband hat hier — Sie fordern jetzt 
mit Recht die Differenzierung — sehr differenzierte und 
in der Tendenz grundsätzlich positiv zu vermerkende Stel 
lungnahmen abgegeben. 
Ich glaube, man kann es kurz machen. Wer morgen gute 
Schulen will, muß heute für Reformen sorgen. 
(Beifall bei der SPD) 
Stellv. Präsident Hoppe: Das Wort hat Herr Abgeord 
neter Kayser. 
Kayser (F.D.P.): Meine Damen und Herren! Haben Sie 
keine Bange, daß diese Debatte sich sehr in die Länge zie 
hen wird, denn es wird ja demnächst noch Anlaß geben, 
die Vorstellungen des Senats anhand seiner konkreten Ge 
setzesvorlage auf ihre Praktikabilität zu untersuchen. Doch 
einige Anmerkungen — soweit sie sich jetzt aus der Dis 
kussion über die Bedenken aus Lehrer-, Eltern- und Schü 
lerkreisen ergeben — möchte ich doch hier darlegen. Wir 
haben die hoffentlich nicht unberechtigte Erwartung, daß 
his zur Aussprache über diese Gesetzesvorlage die Beden 
ken dann soweit entkräftet sind, daß die Vorlage, die als 
solche in ihrer schulreformerischen Zielsetzung weitgehend 
unbestritten ist, auch nicht Anlaß zu — was wohl eben 
einige Akzente des Kollegen Hauff zeigten — etwas ge 
wollten polemischen Akzenten Anlaß gibt. Ich glaube, die 
Sache Ist nicht so strittig, als daß man sich nun unbedingt 
dort abgrenzen muß, wo es nicht nötig ist. 
Zum Termin möchte ich folgendes anmerken: Es ist da 
bei zu beachten, daß die Einschulungs- und damit die Ent 
lassungstermine in Berlin immer noch in etlichen Jahrgän 
gen vom Bundesgebiet abweichen. Man muß natürlich 
berücksichtigen, daß das Datum des 1.4. 73 Schwierigkeiten 
mit sich bringt, die im schulischen Bereich sehr schwer 
wiegen werden, andererseits aber auch bedenken, daß die 
Endtermine dann zunehmend besser mit dem Bundesgebiet 
übereinstimmen. Aber eins verstehe ich nicht, daß, wenn 
wegen des Termins Bedenken in der Öffentlichkeit erhoben 
werden, in einer öffentlichen Veranstaltung ein leitender 
Beamter der Hauptschulverwaltung sinngemäß meint: 
Wenn man jetzt schnell umstellt, gibt es keine Unruhe, 
wenn wir es aber später machen, gibt es Unruhe. Das ist 
eine verwaltungstaktische Einstellung, die gerade im päd 
agogischen Bereich kaum einen Ansatz für ein — sagen 
wir mal — fürsorgliches Denken enthält. Die Umstellung 
ist doch wohl — nehme ich an — keine Nacht- und Nebel 
aktion! Eine mögliche berechtigte, vielleicht auch unbe 
rechtigte, aber aus der Sorge heraus verständliche Kritik 
der Eltern darf man nicht jetzt von vornherein dadurch 
umgehen, daß man sagt: Regt Euch nicht groß auf, es 
wird doch gemacht. Weiterhin glaube ich, daß die praktisch 
nur 10 Wochen Umstellungszeit für die Schüler nicht aus 
reichend sind; da könnte man auch an andere Lösungen 
denken und muß nicht unbedingt diesen Stichtag nehmen, 
man könnte auch eine Gleitphase von einem halben oder 
einem Jahr vorsehen. Es ist immerhin so, daß die jetzigen 
Schüler der 8. und 9. Klassen in keiner Weise auf diese 
Umstellung kontinuierlich vorbereitet worden sind, weder 
organisatorisch noch curricular. Und wenn jetzt durch die 
Änderung der Kurse Schwerpunkte erwartet werden, dann 
muß man a"ch erwarten können, daß d'e Wahlbereit 
schaft und Wahlfähigkeit der Schüler schon soweit vor 
entwickelt sind, daß sie auch Entscheidungen treffen kön 
nen, die nicht zu unnötigen Schwierigkeiten wie Umstufun 
gen von Kursen oder bei Mindestzahlen in den Kursen usw. 
führen. Daß diese Dinge, die sich jetzt hier abzeichnen, 
vermeidbar gewesen wären, wenn die Diskussion zu die 
sem Punkte früher eröffnet worden wäre, ist wehl eindeu 
tig. Zum Beispiel ist im Lande Nordrhein-Westfalen diese 
Diskussion in der Tat früher begonnen worden und — wie 
wir glauben — in einer sachgerechteren Weise, so daß die 
Umstellung, die dort auch zur Zeit läuft, nicht als Hau-ruck- 
Aktion in den Schulkollegien vollzogen werden muß. Die 
Bedenken hinsichtlich einer S'^dertnur Berlins gegenüber 
dem Bundesgebiet sind terminlich nicht so durchgreifend, 
als daß man daran generelle Bedenken anhängen sollte. 
Vorteile sind auch vorhanden, zumal — wie schon angedeu 
tet — es ja auch im Bundesgebiet diese Umstellung schon 
in weiten Teilen — praktisch in fast allen Bundesländern — 
gibt. 
Die curricularen Entgegnungen des Senators zu der Kri 
tik der CDU sind sehr allgemein gehalten und insofern 
schwer überprüfbar. In der Tat besteht natürlich die Frage, 
wenn nicht einmal der gültige Rahmenplan in Berlin voll 
ständig vorliegt, wie das neue geheime Curriculum aus- 
sehen soll, denn es werden ganz andere Anforderungen an 
diese Halbjahreskurse gestellt werden, als daß man einfach 
den Rahmenplan der Fächer eines Schuljahres halbiert und 
dann entsprechend umstellt; gerade die Halbjahreskurse 
haben ja eine andere pädagogische Zielsetzung und damit 
auch stofflich einen anderen Inhalt. Ich glaube, hier wären 
ausführlichere Ausführungen nützlich gewesen, als uns 
nur den Hinweis zu geben: Es ist alles bestens vorbereitet, 
Ostern fällt bloß noch der Startschuß. 
Zur organisatorischen Vorbereitung nur noch die kri 
tische Anmerkung: Wie soll es aussehen, wenn sich die 
Schüler einer bestimmten Schule für ganz bestimmte Kurse 
mehrheitlich entscheiden, die aber in dieser Schule nicht 
angeboten werden können? Kommt es dann dazu, daß 
Lehrer umgesetzt werden, oder müssen dann Schüler um 
geschult werden oder wird ein Druck ausgeübt, daß ganz 
bestimmte Kurse gar nicht gewählt werden, weil das breite 
Angebot nur auf dem Papier möglich ist, aber doch nicht 
realisiert werden kann? Ich hoffe, daß auch zu diesem 
Punkte die Begründung der Gesetzesvorlage etwas weitere 
Einzelheiten enthalten wird. Ich glaube aber — und das 
abschließend —, daß eine sehr ausführliche und eingehende 
Information von Eltern und Schülern zur Umstellung der
	        
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