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Volume Nr. 33, 06.07.72

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1972, 6. Wahlperiode, Band II, 22.-42. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
83. Sitzung vom 6. Juli 1972 
1175 
wobei ein Formalismus benutzt wurde, der völlig unver 
ständlich ist und an dem vielleicht ein spanischer Zere 
monienmeister Freude gehabt hätte. 
Im einzelnen sah das so aus: 
1. Die SPD-Mitglieder des Ausschusses meinten, es könne 
schon sein, daß sich die Inkompetenz des Gründungsaus 
schusses des Zentralinstituts für Soziale Medizin aus Be 
schlüssen des Kuratoriums der FU ergibt. Nur deshalb, 
weil sich die Inkompetenz des Gründungsausschusses nicht 
aus einem bestimmten Kuratoriumsbeschluß ergibt, son 
dern sich aus einer Reihe von Kuratoriumsbeschlüssen her 
leiten läßt, lehnte die SPD die Untersuchung ab und setzte 
einen entsprechenden Beschluß des Ausschusses durch. 
2. Die SPD-Mitglieder des Ausschusses räumten durch 
aus ein, daß der Senator für Wissenschaft und Kunst dem 
Universitätspräsidenten eine bestimmte Rechtsauffassung 
in der Erwartung zugeleitet habe, daß diese Rechtsauffas 
sung vom Universitätspräsidenten beachtet werde. Nur 
deswegen, weil im Untersuchungsauftrag dieses Ereignis 
untechnisch als „Rechtsanweisung“ bezeichnet ist, lehnte 
die SPD die Untersuchung des Vorgangs ab und setzte 
mit ihrer Majorität einen entsprechenden Beschluß durch. 
Der Ausschußvorsitzende weigerte sich, über konkrete 
Beweisanträge der CDU-Fraktion auch nur abstimmen zu 
lassen. Zielstrebig und, wie ich meine, im offenen Wider 
spruch zum Gesetz hat die SPD das Recht der Opposition 
vereitelt, im Rahmen der parlamentarischen Untersuchung 
Beweise zu erheben und die ermittelten Tatbestände ge 
gebenenfalls zum Gegenstand eines Minderheitenberichtes 
zu machen. Das allein wäre die gesetzlich vorgeschriebene 
Verfahrensweise gewesen. Die CDU hätte sich zum Bei 
spiel im Rahmen des Untersuchungsauftrages gerne dafür 
interessiert, wieso der Universitätspräsident in Überschrei 
tung seiner eigenen Befugnisse den Gründungsausschuß des 
Zentralinstituts für Soziale Medizin mit den Eigenschaften 
eines Institutsrats ausgestattet hat. Wir wollten klären, 
nach welchen Kriterien der Universitätspräsident durch 
einsamen Beschluß angeordnet hat, wer diesem Grün 
dungsausschuß als Mitglied angehören soll und wie es u. a. 
zu der unglaublichen Fehlentscheidung kommen konnte, 
daß jemand zum Mitglied des Gründungsausschusses er 
nannt wurde, der sich zuvor als Störer von Sitzungen der 
Universitätsgremien hervorgetan hatte. Bei der Einschlie 
ßung des Akademischen Senats hatte der betreffende Herr 
selber mit Hand angelegt. Hier hat sich die Universität in 
der Tat als Klassenkampfuniversität erwiesen; statt eines 
Ordnungsverfahrens wurden dem Herrn, der die Störungen 
mitzuverantworten hat, Befugnisse in einem wichtigen 
Gremium der Universität eingeräumt. Wir hätten nur als 
Beispiel gerne gewußt, wieso der Gründungsausschuß 
überhaupt Kompetenzen in Personalangelegenheiten erhielt, 
von denen er dann im Sinne einer sozialistischen Kader 
politik kräftig Gebrauch machte, 
Stellv. Präsident Lorenz: Herr Abgeordneter, gestatten 
Sie eine Zwischenfrage ? 
Lemmer (CDU), Berichterstatter für die Minderheit: — 
und wie es in unserem freiheitlichen Rechtsstaat geschehen 
konnte, daß der Gründungsausschuß selbst eine Schreib 
kraft erst emsteilte, nachdem die Bewerberin ihre links 
extremen politischen Aktivitäten ausreichend nachgewiesen 
hatte; das ergibt sich aus den dem Ausschuß bereits be 
kanntgewordenen Unterlagen. — Bitte schön, eine Zwi 
schenfrage. 
Stellv. Präsident Lorenz: Herr Abgeordneter Glagow! 
Glagow (SPD): Herr Lemmer, eine Frage an Sie nach 
dem Grund der Berichterstattung dieses Punktes, der gar 
nicht Gegenstand irgendeiner Untersuchung war ? 
(Zuruf von der SPD: So ist es!) 
Lemmer (CDU), Berichterstatter für die Minderheit: Ich 
bemühe mich im Gegensatz zum Ausschußvorsitzenden, ein 
ganz klein bißchen auch materiellen Inhalt hineinzubringen 
und meinen Minderheitenbericht nicht nur mit Formalismen 
anzufüllen. 
(Beifall bei der CDU) 
Bei der Arbeit des Gründungsausschusses sollten ganz 
offensichtlich die entscheidenden Weichen für die Entwick 
lung der Sozialen Medizin durch eine stramme, durch 
eine gezielte Personalauswahl gestellt werden. Der Unter 
suchungsauftrag hätte die Möglichkeit gegeben, ein Stück, 
nur ein Stück des langen Marsches durch die Institutionen 
aus der Nähe zu verfolgen. Eine Ausschußmehrheit, die 
eine parlamentarische Untersuchung über diese Dinge ver 
hindert, bringt sich in den schlimmen Verdacht, diese be 
drohlichen Praktiken decken zu wollen. 
(Zuruf von der SPD) 
Wer den Untersuchungsausschuß als Verdunkelungsaus 
schuß verwenden möchte, kann allerdings mit der Beteili 
gung der CDU-Fraktion nicht rechnen. Das übrigens ist 
genau der Grund, weshalb wir selber schließlich die bittere 
Konsequenz gezogen haben und die parlamentarische 
Untersuchung — die allerdings notwendig, nur zu notwen 
dig gewesen wäre — von uns aus beendet haben. 
Auf der Strecke blieb dabei leider auch der für uns sehr 
wichtige Punkt: Sicherung der Universitätsmitglieder und 
des Studienbetriebes. Die Universität selber hat ja, um 
der parlamentarischen Untersuchung zuvorzukommen, im 
vorletzten Semester in zwei Fällen Untersuchungen für er 
forderlich gehalten und durchgeführt. Das Ergebnis war 
danach. Es handelt sich — ich muß in diesem Zusammen 
hang daran erinnern — um die Gewaltaktionen mit Tät 
lichkeiten und Verwüstungen im Friedrich-Meinecke-Insti- 
tut und im Otto-Suhr-Institut, das immer noch den Namen 
des unvergessenen Otto Suhr trägt. Die Aufklärung dieser 
Ausschreitung in der hausgemachten FU-Untersuchung 
endete bezeichnenderweise genau dann, wenn es um die 
Feststellung persönlicher Verantwortung geht; gerade dar 
auf wird es aber entscheidend ankommen müssen. Bei den 
Ausschreitungen im Otto-Suhr-Institut konnte man aller 
dings nicht umhin, wenigstens den Namen eines der Ran 
dalierer zur Kenntnis zu nehmen. Mit einem Ordnungs 
verfahren wurde der aber gar nicht erst belästigt, weil ein 
solches — und jetzt wörtlich die Begründung des Fach 
bereichsrates — „demokratisch ungemäß“ sei. Hier hatte 
ganz offensichtlich die Universität ihre Aufgabe darin ge 
sehen, der Avantgarde der Revolution Feuerschutz im Klas 
senkampf zu gewähren. Um so wichtiger wäre es gewesen, 
wenn das Parlament seine Pflicht getan und wenn die 
Mehrheitspartei dem Untersuchungsausschuß die Chance 
zu sachlicher Arbeit eröffnet hätte. 
(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!) 
Das gilt zum Beispiel auch für die Vorgänge im Fried- 
rich-Meinecke-Institut. Auf eine Kleine Anfrage des Kol 
legen Dr. Heyden bestritt damals der Senat die Äußerung 
des FU-Vizepräsidenten Professor Wesel, der über die Be 
satzer des Instituts gesagt haben soll: Das seien alles seine 
Freunde, die er, Wesel, namentlich oder von Angesicht 
genau kenne. Aber für die Richtigkeit dieser Äußerung 
haben sich spontan Zeugen gemeldet, die die Bemerkung 
des Herrn Vizepräsidenten selber gehört haben. Hier hätte 
der Untersuchungsausschuß den Versuch unternehmen kön 
nen, notfalls durch eidliche Vernehmung des Vizepräsiden 
ten, wenigstens einige der vielen kleinen und der vielen 
großen Unbekannten, die zum Hochschulkampf mit allen 
Mitteln entschlossen sind, namhaft zu machen. Die SPD 
hat es nicht gewollt. 
(Abg Glagow: Sie haben es doch gar nicht beantragt!) 
Die Vergangenheit, die zu untersuchen gewesen wäre, 
ist übrigens aktuell geblieben. Neben der Machterschlei 
chung auf leisen Sohlen — der Kollege Rösler sprach in 
der letzten Sitzung davon — haben wir erst wieder in 
jüngster Zeit vielfältig Ausschreitungen, zum Beispiel im 
Germanischen Seminar, erlebt. Ich erwähne das, um zu 
zeigen, wie wenig sich im Laufe des letzten Jahres bis in 
diese Tage geändert hat. Die Probleme sind eher noch bren 
nender geworden.
	        
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