Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
83. Sitzung vom 6. Juli 1972
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wobei ein Formalismus benutzt wurde, der völlig unver
ständlich ist und an dem vielleicht ein spanischer Zere
monienmeister Freude gehabt hätte.
Im einzelnen sah das so aus:
1. Die SPD-Mitglieder des Ausschusses meinten, es könne
schon sein, daß sich die Inkompetenz des Gründungsaus
schusses des Zentralinstituts für Soziale Medizin aus Be
schlüssen des Kuratoriums der FU ergibt. Nur deshalb,
weil sich die Inkompetenz des Gründungsausschusses nicht
aus einem bestimmten Kuratoriumsbeschluß ergibt, son
dern sich aus einer Reihe von Kuratoriumsbeschlüssen her
leiten läßt, lehnte die SPD die Untersuchung ab und setzte
einen entsprechenden Beschluß des Ausschusses durch.
2. Die SPD-Mitglieder des Ausschusses räumten durch
aus ein, daß der Senator für Wissenschaft und Kunst dem
Universitätspräsidenten eine bestimmte Rechtsauffassung
in der Erwartung zugeleitet habe, daß diese Rechtsauffas
sung vom Universitätspräsidenten beachtet werde. Nur
deswegen, weil im Untersuchungsauftrag dieses Ereignis
untechnisch als „Rechtsanweisung“ bezeichnet ist, lehnte
die SPD die Untersuchung des Vorgangs ab und setzte
mit ihrer Majorität einen entsprechenden Beschluß durch.
Der Ausschußvorsitzende weigerte sich, über konkrete
Beweisanträge der CDU-Fraktion auch nur abstimmen zu
lassen. Zielstrebig und, wie ich meine, im offenen Wider
spruch zum Gesetz hat die SPD das Recht der Opposition
vereitelt, im Rahmen der parlamentarischen Untersuchung
Beweise zu erheben und die ermittelten Tatbestände ge
gebenenfalls zum Gegenstand eines Minderheitenberichtes
zu machen. Das allein wäre die gesetzlich vorgeschriebene
Verfahrensweise gewesen. Die CDU hätte sich zum Bei
spiel im Rahmen des Untersuchungsauftrages gerne dafür
interessiert, wieso der Universitätspräsident in Überschrei
tung seiner eigenen Befugnisse den Gründungsausschuß des
Zentralinstituts für Soziale Medizin mit den Eigenschaften
eines Institutsrats ausgestattet hat. Wir wollten klären,
nach welchen Kriterien der Universitätspräsident durch
einsamen Beschluß angeordnet hat, wer diesem Grün
dungsausschuß als Mitglied angehören soll und wie es u. a.
zu der unglaublichen Fehlentscheidung kommen konnte,
daß jemand zum Mitglied des Gründungsausschusses er
nannt wurde, der sich zuvor als Störer von Sitzungen der
Universitätsgremien hervorgetan hatte. Bei der Einschlie
ßung des Akademischen Senats hatte der betreffende Herr
selber mit Hand angelegt. Hier hat sich die Universität in
der Tat als Klassenkampfuniversität erwiesen; statt eines
Ordnungsverfahrens wurden dem Herrn, der die Störungen
mitzuverantworten hat, Befugnisse in einem wichtigen
Gremium der Universität eingeräumt. Wir hätten nur als
Beispiel gerne gewußt, wieso der Gründungsausschuß
überhaupt Kompetenzen in Personalangelegenheiten erhielt,
von denen er dann im Sinne einer sozialistischen Kader
politik kräftig Gebrauch machte,
Stellv. Präsident Lorenz: Herr Abgeordneter, gestatten
Sie eine Zwischenfrage ?
Lemmer (CDU), Berichterstatter für die Minderheit: —
und wie es in unserem freiheitlichen Rechtsstaat geschehen
konnte, daß der Gründungsausschuß selbst eine Schreib
kraft erst emsteilte, nachdem die Bewerberin ihre links
extremen politischen Aktivitäten ausreichend nachgewiesen
hatte; das ergibt sich aus den dem Ausschuß bereits be
kanntgewordenen Unterlagen. — Bitte schön, eine Zwi
schenfrage.
Stellv. Präsident Lorenz: Herr Abgeordneter Glagow!
Glagow (SPD): Herr Lemmer, eine Frage an Sie nach
dem Grund der Berichterstattung dieses Punktes, der gar
nicht Gegenstand irgendeiner Untersuchung war ?
(Zuruf von der SPD: So ist es!)
Lemmer (CDU), Berichterstatter für die Minderheit: Ich
bemühe mich im Gegensatz zum Ausschußvorsitzenden, ein
ganz klein bißchen auch materiellen Inhalt hineinzubringen
und meinen Minderheitenbericht nicht nur mit Formalismen
anzufüllen.
(Beifall bei der CDU)
Bei der Arbeit des Gründungsausschusses sollten ganz
offensichtlich die entscheidenden Weichen für die Entwick
lung der Sozialen Medizin durch eine stramme, durch
eine gezielte Personalauswahl gestellt werden. Der Unter
suchungsauftrag hätte die Möglichkeit gegeben, ein Stück,
nur ein Stück des langen Marsches durch die Institutionen
aus der Nähe zu verfolgen. Eine Ausschußmehrheit, die
eine parlamentarische Untersuchung über diese Dinge ver
hindert, bringt sich in den schlimmen Verdacht, diese be
drohlichen Praktiken decken zu wollen.
(Zuruf von der SPD)
Wer den Untersuchungsausschuß als Verdunkelungsaus
schuß verwenden möchte, kann allerdings mit der Beteili
gung der CDU-Fraktion nicht rechnen. Das übrigens ist
genau der Grund, weshalb wir selber schließlich die bittere
Konsequenz gezogen haben und die parlamentarische
Untersuchung — die allerdings notwendig, nur zu notwen
dig gewesen wäre — von uns aus beendet haben.
Auf der Strecke blieb dabei leider auch der für uns sehr
wichtige Punkt: Sicherung der Universitätsmitglieder und
des Studienbetriebes. Die Universität selber hat ja, um
der parlamentarischen Untersuchung zuvorzukommen, im
vorletzten Semester in zwei Fällen Untersuchungen für er
forderlich gehalten und durchgeführt. Das Ergebnis war
danach. Es handelt sich — ich muß in diesem Zusammen
hang daran erinnern — um die Gewaltaktionen mit Tät
lichkeiten und Verwüstungen im Friedrich-Meinecke-Insti-
tut und im Otto-Suhr-Institut, das immer noch den Namen
des unvergessenen Otto Suhr trägt. Die Aufklärung dieser
Ausschreitung in der hausgemachten FU-Untersuchung
endete bezeichnenderweise genau dann, wenn es um die
Feststellung persönlicher Verantwortung geht; gerade dar
auf wird es aber entscheidend ankommen müssen. Bei den
Ausschreitungen im Otto-Suhr-Institut konnte man aller
dings nicht umhin, wenigstens den Namen eines der Ran
dalierer zur Kenntnis zu nehmen. Mit einem Ordnungs
verfahren wurde der aber gar nicht erst belästigt, weil ein
solches — und jetzt wörtlich die Begründung des Fach
bereichsrates — „demokratisch ungemäß“ sei. Hier hatte
ganz offensichtlich die Universität ihre Aufgabe darin ge
sehen, der Avantgarde der Revolution Feuerschutz im Klas
senkampf zu gewähren. Um so wichtiger wäre es gewesen,
wenn das Parlament seine Pflicht getan und wenn die
Mehrheitspartei dem Untersuchungsausschuß die Chance
zu sachlicher Arbeit eröffnet hätte.
(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)
Das gilt zum Beispiel auch für die Vorgänge im Fried-
rich-Meinecke-Institut. Auf eine Kleine Anfrage des Kol
legen Dr. Heyden bestritt damals der Senat die Äußerung
des FU-Vizepräsidenten Professor Wesel, der über die Be
satzer des Instituts gesagt haben soll: Das seien alles seine
Freunde, die er, Wesel, namentlich oder von Angesicht
genau kenne. Aber für die Richtigkeit dieser Äußerung
haben sich spontan Zeugen gemeldet, die die Bemerkung
des Herrn Vizepräsidenten selber gehört haben. Hier hätte
der Untersuchungsausschuß den Versuch unternehmen kön
nen, notfalls durch eidliche Vernehmung des Vizepräsiden
ten, wenigstens einige der vielen kleinen und der vielen
großen Unbekannten, die zum Hochschulkampf mit allen
Mitteln entschlossen sind, namhaft zu machen. Die SPD
hat es nicht gewollt.
(Abg Glagow: Sie haben es doch gar nicht beantragt!)
Die Vergangenheit, die zu untersuchen gewesen wäre,
ist übrigens aktuell geblieben. Neben der Machterschlei
chung auf leisen Sohlen — der Kollege Rösler sprach in
der letzten Sitzung davon — haben wir erst wieder in
jüngster Zeit vielfältig Ausschreitungen, zum Beispiel im
Germanischen Seminar, erlebt. Ich erwähne das, um zu
zeigen, wie wenig sich im Laufe des letzten Jahres bis in
diese Tage geändert hat. Die Probleme sind eher noch bren
nender geworden.