Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
83. Sitzung vom 39. Juni 1973
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oder andere mögen sagen: Das ist eine Reaktion, wie wir
sie in all den Jahren immer wieder und stereotyp von den
Oppositionsbänken gehört haben.
(Zuruf von der CDU: Zur Sache!)
Ich persönlich nenne das: Eine gespenstische Debatte.
(Beifallbeider SPD)
2. Wenn angesichts der Tatsache, daß nach vier von fünf
Verfahren der Reisevereinbarung schon Hunterttausende
zu ihren Freunden und Verwandten gefahren sind
(Zurufe von der CDU)
und in naher Zukunft fahren werden, wenn angesichts einer
voll funktionierenden Transitregelung,
(Abg. Dr. Behrendt: Plumpes Ablenkungsmanöver!)
die tagtäglich für jeden überprüfbar ist, und wenn dann an
einem Punkte, der wichtig bleibt, die Sache noch nicht
klappt, tatsächlich jemand behaupten will, die Vereinbarun
gen, die wir mit der DDR abgeschlossen haben, seien ent
täuschend für alle Berliner, dann mögen andere sagen: Das
geht am Denken und Fühlen der Menschen in Ostberlin, in
West-Berlin und in der DDR vorbei; oder sie mögen sagen:
Das geht genauso an ihrem Denken und Fühlen vorbei,
wie das Nein der Berliner CDU zu den Passierscheinregelun
gen 1963.
(Beifall bei der SPD)
Ich halte das jedenfalls für „gespenstisch“, was hier an
geführt wird.
(Zurufe von der CDU)
3. Wenn man die Erklärungen der Berliner Parteien im
Dezember 1971 bei Abschluß der Vereinbarung vergleicht
mit ihren Erklärungen heute und dabei feststellt, was da
mals — orientiert am gleichen Text wie heute— an Beden
ken und an Vorwürfen vorgetragen wurde,
(Zurufe)
und wenn man hört, was man heute dem Senat und dem
Regierenden Bürgermeister vorwirft, und wenn man sieht,
wie der Franktionsvorsitzende der CDU damals schon auf
zwei Punkte hingewiesen hat, die nicht nur mögliche
Schwierigkeiten in der Praxis mit sich bringen werden,
nämlich die Mißbrauchsregelung und die Sofortbesuche,
wenn er damals schon versuchte, geschickt, wie er mm ein
mal ist — mein Kompliment, Herr Lummer —, die Leim
rute auszulegen, um gestützt auf diese beiden Punkte hier
und in Zukunft das Berlin-Abkommen und die Gesamt
politik des Senats und der Bundesregierung zu bekämpfen,
wenn man sich dies alles in Erinnerung ruft, dann mögen
andere meinen, Anhänger der Politik der Bundesregierung
erkennt man wohl nicht allein daran, daß sie lauthals und
mit schönen Worten lediglich sich zu dem bekennen, was
reibungslos funktioniert, was ohne Schwierigkeiten und frei
von Komplikationen läuft, sondern Anhänger der Bundes
regierung wird man besonders daran erkennen, wie sie sich
au,ch und gerade angesichts von Komplikationen und
Schwierigkeiten verhalten.
(Zuruf von der SPD; Sehr gut! — Beifall bei der SPD)
Oder andere werden dem Herrn Franktionsvorsitzenden der
CDU gratulieren, daß es ihm gelungen ist, seine Kollegen
von der F.D.P. auf diesen Abweg zu führen.
(Beifall bei der SPD — Heiterkeit bei der CDU)
Ich persönlich erlaube mir, das als „gespenstisch“ zu be
zeichnen.
Was allerdings das Grundmotiv der antragstellenden
Fraktion zu dieser Aktuellen Stunde betrifft, nämlich die
Beschwerde über eine sogenannte Parlamentsschelte des
Regierenden Bürgermeisters, so möchte ich dazu sagen:
1. Ich habe meine Meinung zur Debatte in der Öffentlich
keit insgesamt gesagt, ich habe mich nicht und auch nicht
speziell zu den Erörterungen im Abgeordnetenhaus von
Berlin geäußert.
2. Unabhängig davon nehme ich mir allerdings das Recht,
auch in Zukunft, ob als Regierender Bürgermeister, ob als
Mitglied des Abgeordnetenhauses aus Neukölln oder als
Bürger unserer Stadt, meine Meinung auch zu Stil und
Charakter von Erörterungen im Abgeordnetenhaus von
Berlin zu sagen.
3. Ich denke, es dabei zu belassen, und ich bin auch in
Zukunft nicht bereit, mir einen Maulkorb umhängen zu
lassen, auch dann nicht, wenn er schein-liberal verpackt
ist.
(Beifall bei der SPD — Buh-Rufe —
Unruhe bei der FJO.P. und der CDU)
Präsident Sickert: Das Wort hat der Herr Abgeordnete
Hoppe.
Hoppe (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Her
ren! In den letzten Tagen und Wochen und auch soeben
wieder sind wir Zeuge eines erstaunlichen Vorgangs gewor
den.
(Beifall bei der SPD)
— Sie sollten sich Ihren Beifall noch ein bißchen auf-
heben. —
(Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU)
Der Regierende Bürgermeister dieser Stadt spricht zwar
viel von seiner parlamentarischen Verantwortung, aber er
versucht gleichzeitig alles, um sich durch Vernebelung des
Sachverhalts und eine besondere Verzögerungstaktik die
ser Verantwortung zu entziehen.
(Sehr richtig; — bei der F.D.P. —
Beifall bei der F.D.P.)
Er handelt nach der Methode: Haltet den Dieb! Wir haben
nicht die Absicht, dieses Spiel mitzuspielen.
(Beifall bei der FX>.P.)
Meine Damen und Herren! Jeder in diesem Hause hat zu
entscheiden, wo er seine Grenze in diesem Spiel ziehen will.
Wir haben jedenfalls nicht die Absicht, uns von dem Regie
renden Bürgermeister für dumm verkaufen zu lassen.
(Sehr richtig! — bei der F.D.P.)
Herr Schütz ist es gewesen, der die-von ihm so bezeich-
neten und gerühmten Sofortbesuche zu seinem zentralen
Erfolg gemacht hat. Wahrscheinlich brauchte er dieses Er
folgserlebnis. Er hat aber mit seinen großsprecherischen
Formulierungen Erwartungen für Sofortbesuche geweckt
und Enttäuschungen geerntet. Wenn ihm diese Situation
nun Kritik einbringt, versucht er, die Dinge umzudrehen
und seine Kritiker anzuklagen.
(Abg. Oxf Ort: Sehr richtig!)
Sie — die Kritiker — würden, so behauptet er, einen
Nebenpunkt der Vereinbarung überbewerten. Sie würden
sich in eine Nebensächlichkeit verbeißen und dadurch die
ganze schöne Ostpolitik und das Viermächte-Abkommen ln
Mißkredit bringen.
(Zurufe von der SPD)
Meine Damen und Herren! Diese Politik, die mit Unter
stützung unserer Alliierten durchgesetzt werden konnte und
die internationale Anerkennung erfahren hat, ist weder
durch Klaus Schütz,
(Zuruf von der SPD: Doch!)
noch durch die berechtigte Kritik an seinem Fehlverhalten
in Frage zu stellen.
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(Zuruf von der F.D.P.: Sehr gut! — Beifall)